In Höhe des legendären Hotels Monopol sind dies etwa „Florianek“, der Glück bringende Schornsteinfegerzwerg, und „Recyclinek“, ein Winzling, der sich an einer Mülltonne zu schaffen macht. Nur Schritte weiter sucht ein Zwerg mit Lupe drei weitere vorbeispazierende Wichte. Und etwas weiter die Straße hinauf in Richtung Markt tippt der Zwerg „Programmer Capgeminiusz“ eifrig auf seinem Laptop, während er entspannt seine Schuhe auf einem Tisch ausruht, auf dem auch die unvermeidliche Kaffeetasse steht. Ein Ende dieses einzigartigen Zwergenbooms in Wroclaw ist nicht absehbar. Denn es geht die Mär, dass sich gerade in guten Zeiten die Zwerge vermehrt wieder auf Wroclaws Straßen zeigen.
Und Wroclaw geht es gut – politisch wie wirtschaftlich! Dass diese Legion der Zwerge von Tag zu Tag größer wird, liegt sicher aber auch daran, dass eigentlich jeder einen solchen Zwerg in Auftrag geben und aufstellen lassen kann. Da sind die Stadtgewaltigen generös – wenn denn das Motiv stimmig ist. Kostenpunkt: maximal 5000 Zloty, ca. 1200 Euro! Die ersten dieser Bronzezwerge wurden im August 2005 aufgestellt. Damals hatte der Bildhauer Tomasz Moczek, Absolvent der Akademie für Kunst und Design in Wroclaw, vom Bürgermeister den Auftrag erhalten, die ersten fünf Zwergen-Monumente zu schaffen. Unter ihnen waren auch die „Syzyfki“, die heute zu den berühmtesten und beleibtesten Zwergen Wroclaws zählen. Und diese zwei Sisyphos-Zwerge müssen wie in der antiken griechischen Mythologie tagein tagaus eine große polierte Marmorkugel auf der Swidnicka in Richtung Rynek, Wroclaws „Ring“ genanntem riesigem, 3,8 ha großen alten Marktplatz rollen. Ein schier aussichtsloses Unterfangen.
Denn während der Zwerg vorn sich mit dem Rücken gegen die Kugel stemmt, versucht der Gnom hinten, die Kugel vorwärts zu rollen. Aber Sisyphos war und ist im Volksglauben stets auch der Schalk, ein gerissenes menschliches Schlitzohr, das selbst Götter in Rage bringen und dank skrupelloser Schlauheit sogar trickreich den Tod zu überlisten sucht. Und da können die längst zum Markenzeichen avancierten Breslauer Zwerge jederzeit mithalten – vor allem aus historischer Sicht. Dies alles weiß natürlich auch Paulina Maloy. Beim Treff mit ihr in der Barbara Kulturzone Wroclaw weist schon die Leuchtreklame „Barbara“ darauf hin, dass hier ein besonderer Ort ist. Dies betrifft weniger das heute gut besuchte Etno Café im Haus, auch nicht die vielen ausliegenden Flyer und Broschüren oder das Ticketoffice für Kulturveranstaltungen in der Stadt. Die Kulturzone wurde eingerichtet, als Wroclaw 2016 Kulturhauptstadt Europas wurde.
Heute dient der Ort vor allem auch zur internationalen Vernetzung der städtischen Kulturaktivitäten, ist ein wichtiger Info-Punkt für alle kulturinteressierten Touristen , veranstaltet Workshops, Literaturabende und Stadtführungen und bringt monatlich eine wichtige Infoquelle, den englischsprachigen „Wroclaw Cultural Guide“ heraus. Kultur für alle ist hei angesagt, Ziel ist, Räume für Schönheit zu schaffen. Die Kulturzone wurde an einem ganz besonderen Ort eingerichtet. Denn hier, an der Ecke Swidnicka 8 B/Kazimierza Wielego öffnete einst die Bar „Barbara“. Und die war nicht nur höchst beliebt, sondern auch Treff jener Studenten, Künstler und Oppositionellen, die ab 1981 von Wroclaw aus ihren ebenso einsamen wie witzigen Kampf gegen das polnische Staatsestablishment führten.
Daran erinnert direkt vor der Tür der größte und älteste Gnom von Wroclaw: „Papa Zwerg“. Aufgestellt wurde der gusseiserne Geselle schon 2001. Initiatoren waren Studenten der Kunsthochschule Wroclaw. Mit diesem Zwerg wollten sie an die Aktivitäten jener „Orange Alternative“ erinnern, einer der antikommunistisch orientierten Untergrundbewegungen, die in Wroclaw begann und dann landesweit größte Aufmerksamkeit erhielt. Der nackte eiserne Papa Zwerg steht übrigens grimmig verschmitzt lächelnd auf einer riesigen menschlichen Fingerkuppe. Und es lohnt sich, ihn auch einmal rückwärtig zu beschauen. Denn in seiner linken Hand verbirgt sich ein Sein, während die rechte Handfläche leer ist. Dies erinnert natürlich an die Proteste, die ab 1981 auch vor dem „Barbara“ stattfanden.
Waldemar Fydrych war Begründer der „Orange Alternative“. Der 1953 in Torun (Thorn) geborene Aktivist und Happening-Künstler studierte in Wroclaw Geschichte und Kunstgeschichte. 1980 verfasst er das „Sozialistische Surrealismus Manifest“ das zum Rückgrat der Bewegung „Orange Alternative“ (polnisch „Pomarańczowa Alternatywa“ bzw. „Narancs Alternativa“) werden sollte. Mit Wieslaw Cupala edierte er eine Spaßzeitschrift gleichen Namens, von der 15 Ausgaben erschienen. Sieben dieser Ausgaben erschienen während des Studentenstreiks in Wroclaw im November und Dezember 1980. Und dann schlossen sich der Gruppe mehr und mehr Sympathisanten an. Erste und dann später populärste Aktion der Gruppe war, dass man Zwerge auf jene farbigen Flächen malte, die die städtische Miliz meist über Parolen für Polens neue freie Gewerkschaft Solidarnosc gepinselt hatte. Ein Protest, der dann ganz Polen erfasste!
Tausende Zwerge erschienen auf den Hauswänden der großen Städte. Die ersten Zwerge malten Waldemar Fydrych, Spitzname „Major“, und Wieslaw Cupala, Spitzname „Rittmeister“, in der Nacht vom 30.8. auf den 31.8.1982 in Wroclaw. Das Pseudonym „Major“ erwarb sich Fydrych dennoch in anderem Zusammenhang. Zur militärischen Musterung einberufen, erschien er in der Uniform eines Majors und täuschte dann ungebremsten Enthusiasmus vor, was ihm den Vorwurf der Unzurechnungsfähigkeit einbrachte. Als er seinem Vorgesetzen die Ehre erweisen sollte, nannte er diesen „Oberst“, blieb aber bei seinem eigenen Rang „Major“. Ab 1985 folgten landesweit bis zu 60 Happenings und Veranstaltungen der „Orange Alternative“, vor allem in den Jahren 1987 bis 1989. Der landesweite Durchbruch kam 1987 mit der Aktion „Verteilung von Toilettenpapier“ während des offenen Theaterfestivals in Wroclaw, wo der Mangel an dieser Alltagsware satirisch aufs Korn genommen wurde. Dabei spielten sinnlos witzige Parolen wie „Es gibt keine Freiheit ohne Zwerge“, die im Juni 1988 10.000 Demonstranten in Wroclaw skandiert haben sollen, stets eine große Rolle. Nachdem die Orange Alternative sich 1990 aufgelöst hatte, wurde sie 2001 wiedererweckt und existiert mit Ausstellungen und Performances bis heute. Markenzeichen sind und bleiben ein orangenes Gewand und/oder die orangene Zwergenzipfelmütze.
Heute wird die Orange Alternative als Aktion zwischen Surrealismus und Dadaismus eingeordnet. Aber auch aus den Niederlanden stehen Bewegungen Pate. Da war einmal die von 1965 bis 1967 existierende Provo-Bewegung, der sich dann von 1969 bis 1974 die Kabouterbewegung anschloss. Und die wiederum machte ebenfalls mit Kobold- und Heinzelmännchen auf sich aufmerksam.
Information:
Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel
Visit Wroclaw (Breslau): https://visitwroclaw.eu/de
Übernachten:
Hotel Monopol, https://monopolwroclaw.hotel.com.pl/hotel-monopol-wroclaw
Essen und Trinken:
Rest. Pod Fredra, www.podfredra.pl
Attraktion:
„Barbara“ Strefa Kultury (Kulturzone Wroclaw/Culture Zone Wrocław), http://strefakultury.pl/en/homepage/#
Fotos: Jürgen Sorges