Mit 423 Hektar Rebfläche zählt Stuttgart zu den größten Weinbaugemeinden in Deutschland. Keine andere Großstadt außer Wien hat so viel Wein zu bieten wie die schwäbische Landeshauptstadt. Stuttgart blickt auf eine jahrhundertealte Weinbautradition zurück, die bis ins 13. Jahrhundert reicht. Der Weinbau ist tief in der Stadtgeschichte und im Selbstverständnis der Region verwurzelt.
Keine sechs Kilometer trennen das futuristische Mercedes-Benz-Museum und die endlos grauen Werkshallen des Automobilherstellers in Untertürkheim von Fellbach, wo Rainer Schnaitmann ein Weingut der Spitzenklasse führt. 2006 war sein gleichnamiges Weingut das damals jüngste VDP-Mitglied. Die ein Jahr später erfolgte Auszeichnung zum „Aufsteiger des Jahres“ durch den Gault Millau-Weinführer markierte für das Weingut einen qualitativen Wendepunkt und beschleunigte die Wahrnehmung als Vorreiter in der deutschen Weinbranche.
Seit 2016 ist das Gut biozertifiziert, im vergangenen Jahr produzierten Namensgeber Schnaitmann und sein Team auf 25 Hektar Rebfläche rund 100.000 Liter Wein. Der Großteil der Stöcke steht in der Württemberger Toplage Fellbacher Lämmler, die sich durch bis zu 100 Meter Höhenunterschied und unterschiedlich stark geprägte kalk- und gipshaltige Keuperböden auszeichnet.

„Ich glaube, die Musik nützt dem Wein“
Musik steht hoch im Kurs im Weingut Schnaitmann. Er selbst spielt leidenschaftlich gern Klavier, erzählt er dem „Kulinariker“. Doch leider kommt er allzu selten zum Üben. Die Fässer im Weinkeller werden permanent mit Musik beschallt. Bach, Mozart und Keith Jarrett versetzen nicht nur die Weine, sondern auch den Winzer in Schwingungen: „Schönheit ist immer wichtig und ich glaube, die Musik nützt dem Wein“, sagt Schnaitmann, „und sei es nur dadurch, dass wir uns im Keller wohler fühlen.“ Der mit viel positiver Energie geladene Spitzenwinzer liebt Keith Jarrett und die Ausnahmepianistin Hélène Grimaud.
„Anders“ nennt sich Schnaitmanns Beitrag zum „Nat’Cool”-Gemeinschaftsprojekt von zehn innovativen europäischen Winzern unter Leitung des Weinbauvisionärs Dirk Niepoort. Im Zentrum steht ein leichter Trinkwein aus einer für die jeweilige Region traditionellen Rebsorte. Die Cuvée aus 50 Prozent Trollinger und 50 Prozent Lemberger ist spontan vergoren mit Stielen und Stängeln. Nach sechs Monaten im Edelstahltank kommt der Wein unfiltriert und ungeschwefelt auf die Flasche.
„Anders“ müsste eigentlich auch der großartige Sauvignon Blanc Réserve heißen. Denn schon der Duft unterscheidet sich gänzlich von den traditionellen Sauvignon Blancs. Anstelle der typischen Zitrus- und Stachelbeernoten entfaltet sich beim Sauvignon Blanc Réserve von Rainer Schnaitmann ein vielschichtiges Aromenspiel mit Anklängen an Macadamia-Nuss, gelber Frucht, Melone und exotischen Nuancen. Die Trauben stammen aus der ältesten Parzelle im Fellbacher Goldberg, werden nach kurzer Maischestandzeit spontan vergoren und reifen anschließend zehn Monate auf der Vollhefe in einem neuen 500-Liter-Tonneau. Das Ergebnis ist ein faszinierender und tiefgründiger Wein mit Burgunder-ähnlicher Komplexität.

Luftschutzbunker als Wein- und Sektkeller
Dass auch Genossenschaften Top-Weine erzeugen, zeigt die nur drei Kilometer entfernte Weinmanufaktur Stuttgart. Saskia Wörthwein ist dort seit Herbst 2023 Geschäftsführerin und Vorstandssprecherin – Nomen est Omen sozusagen. Die gebürtige Niederländerin ist die erste Frau an der Spitze der 1887 gegründeten und damit ältesten Winzergenossenschaft Baden-Württembergs, die heute von 23 Betrieben beliefert wird. Die Wirtschaftsmathematikerin ließ sich zur Weinerlebnisführerin ausbilden und brachte das neue Ehrenamt als Vorstand des dafür gegründeten Vereins voran. Außerdem ist sie Sommelière und hat einen MBA in Wine, Sustainability and Sales am Weincampus in Neustadt gemacht.
Kurzweilig, eloquent und mit exzellentem önologischem Fachwissen führt sie durch den Betrieb. Im „Sektbunker“ zückt Saskia Wörthwein einen Säbel – und köpft die Sektflasche mit einem Hieb. „Sabrage par excellence“, würden die Experten dazu sagen. Der Bunker, in dem heute feinste Sekte (manche reifen nach der traditionellen Flaschengärung bis zu fünf Jahre auf der Hefe) und Weine lagern, diente im Zweiten Weltkrieg als Schutzraum für die Bevölkerung, da Untertürkheim als Industriestandort häufig bombardiert wurde. Der Bunker bietet optimale Bedingungen für die langsame Reifung von Weinen und Sekten, was deren Komplexität und Perlage verstärkt.
Seit 2019 ist die Weinmanufaktur Stuttgart als erste Genossenschaft in Deutschland Fair’n‘ Green zertifiziert. Das-Siegel steht für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie, die über reinen Bio-Anbau hinausgeht. Neben dem Verzicht auf synthetische Stickstoffdünger und Herbizide und der Förderung der Biodiversität im Weinberg umfasst es eine ressourcensparende Wirtschaftsweise, faire Arbeitsbedingungen sowie die Zusammenarbeit mit zertifizierten Partnern. Eine Bioumstellung schließt Geschäftsführerin Wörthwein nicht aus. „Aber es ist ein langer Weg in einer Genossenschaft“, sagt sie uns. Ihr Credo: Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit müssen im Gleichgewicht sein.

Alles, was das Schwabenherz begehrt
Die Weinmanufaktur, die einst den Zaren belieferte, zählt zu den besten Kooperativen Deutschlands. Handlese, spontane Vergärung und lange Hefelagerung prägen den Stil. Mit gutem Grund belegten der Lemberger Großer Stern und der Syrah beim deutschen Rotweinpreis im Jahr 2021 jeweils den ersten und zweiten Platz.
Ob eine geführte kulinarische Tour, das einmal jährlich ab Ende August stattfindende Stuttgarter Weindorf, eine Hop-on-Hop-off-Bustour durch die Weinberge oder Weinproben im Weinbaumuseum: Die Schwabenmetropole Stuttgart hat für jeden Geschmack und jedes Interesse etwas zu bieten.
Liebhaber feiner Rebsäfte finden im „Weinhaus Stetter“ im Stuttgarter Bohnenviertel eine kaum zu übertreffende Auswahl an Württemberger Gewächsen, zu denen ausgewählte, stets frisch zubereitete traditionelle Gerichte serviert werden. Über 500 Positionen warten in Stuttgarts ältester Weinhandlung darauf, zu durchaus trinkfreundlichen Preisen verkostet zu werden. Die Küche der gemütlichen Weinstube bietet vom Wurstsalat über saure Nierle und Maultaschen bis hin zu Linsen mit handgeschabten Spätzle alles, was das Schwabenherz begehrt.
Sieben Gehminuten in Richtung Nordwesten entfernt findet sich mit der Stuttgarter Markthalle ein wahres Mekka für Feinschmecker und Liebhaber von Wohn- und Gartenkultur. Sie vereint somit kulinarische Vielfalt mit stilvollem Ambiente und historischem Charme. Neben frischen Lebensmitteln und internationalen Delikatessen finden sich im Obergeschoss des 1914 im Jugendstil errichteten Gebäudes diverse Läden für Haus und Garten, Wohnaccessoires, Kunst, Schmuck und Beauty-Produkte.

Informationen:
Weinhaus Stetter: www.weinhaus-stetter.net
Stuttgarter Weindorf: www.stuttgarter-weindorf.de
Stuttgart Führungen und (kulinarische) Touren: www.stuttgart-tourist.de
Fotos: Christian Euler, Stuttgart Marketing, Sarah Schmid, Goldamsel Film, Rainer Schnaitmann