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Wynwood, Miami: Wenn Kunst (ver)wandelt

Wachhalten, aufklären, zum Nachdenken anregen: Aufgaben, oder besser: Aussage von Kunst. Historisch waren verschiedenste Kunststile situative Beschreibungen, Momentaufnahmen und eben partiell durchaus auch mit politischen Attitüden besetzt. Gerade neuzeitliche Kunst versteht sich zunehmend aufklärerisch, ist provokativ. Was für das Gros der Betrachter zunächst als Bestandteil von Graffiti gilt, ist dabei so viel mehr. Street Art ist eine in freien Formen gelebte urbane Ausdruckskunst. 

Erfinder der Street Art

Dabei dürfte wohl eher wenig bekannt sein, dass es nicht die amerikanischen Künstler der 1970er Jahre waren, die innerhalb der Begrifflichkeit agierten. Zumindest nicht als Pioniere. Der in Essen geborene Maler und Grafiker Werner Nöfer entwickelte aus der „Cruisin 4“ Künstlergruppe erste Monumente der heutigen Street Art. Er schuf diverse Wallpaintings im öffentlichen Raum, so auch bereits 1968 die Fassadenmalerei am Gemäuer des Hamburger Clubs Grünspan und in der Folge noch diverse Werke an der Universität Hamburg.

Wallpaintig in den Straßen von Miami. Foto: Michael Schabacker
Wallpaintig in den Straßen von Miami. Foto: Michael Schabacker

Nöfer gilt dabei als der mehr oder weniger unbekannte Erfinder der Street Art, die heute, meist in nicht kommerzieller Form, als die urbane Gestaltungskunst schlechthin gilt: sozusagen Kunst von Hamburg in die ganze Welt. Zunächst war die Namensgebung nicht im Fokus der bildenden und gestaltenden Kunst. Es waren Kunstwerke die als Wandmalerei, als Wallpaintings ihr Dasein fristeten. Und wer sich noch an die 1970er und 1980er Jahre erinnert, weiß, dass diverse Werke einer Übermalung zum Opfer fielen.

Auch bekannt dürfte es sein, dass Begrifflichkeiten, obwohl symbiotisch existent, eben dann doch als Kunstform divergieren. Denn Graffiti ist nicht gleich Street Art, obschon beide als urbane Gestaltungskunst gelten. Tatsächlich sind die Ursprünge von Graffiti noch wesentlich älter zu datieren. Bereits im 19. Jahrhundert gab es die ersten bekannten Schriftzüge im städtischen Raum von Joseph Kyselak, der seinen Namen auf Wanderschaft an den Wänden hinterließ. Mal abgesehen von noch früheren Kratzarbeiten in Pompeji, entwickelte sich „Graffiti“ dann erst „richtig“ in den 1940er und 1950er Jahren.

Streetart an einer Wand des Hip-Hop Museums in Miami. Foto: Michael Schabacker
Streetart an einer Wand des Hip-Hop Museums in Miami. Foto: Michael Schabacker

Wegführung zu Auftragsarbeiten

Graffiti gilt als urbanes Sprungbrett für die Street Art Szene. Viele Street Art Künstler haben ihren künstlerischen Ursprung im Graffiti, die zumeist illegal an Wänden oder Gegenständen angebracht wurden – und natürlich heutzutage immer noch werden. Einen Wandel erfuhr die urbane Kunstform erst spät: Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz folgte auch die kommerzielle Wegführung zu Auftragsarbeiten und gezielt positionierter Kunst in den Stadtgebieten.      

Fashion und Art District

Diese Entwicklungsprozesse der Street Art finalisierten sich vor etwas mehr als 20 Jahren auch in Miami – auch wenn die Intention ursprünglich eine andere war. Denn dort, in Wynwood, einem Stadtteil Miamis, der lange Zeit als „Little San Juan“ bezeichnet wurde und allgemein als „El Barrio“ bekannt ist, entwickelte sich die urbane Kunst sehr zielstrebig, eher gewollt. Dabei lässt sich der Stadtteil „grob“ in zwei Bezirke unterscheiden: Zum einen ist es der Fashion District entlang der West 5th Avenue, und dann der Art District im Norden des Stadtteils.

Auch das ist Wynwood: Kunst an Wand und Fabrik. Foto: Michael Schabacker
Auch das ist Wynwood: Kunst an Wand und Fabrik. Foto: Michael Schabacker

Größte Open-Air-Straßenkunstinstallation

Entwickelte sich das Modeviertel in den 1920er Jahren als jüdische New Yorker hier Fabriken bauten, ist die Entwicklungsgeschichte des Art Destricts wesentlich jünger. 2003 wurde von einer Gruppe Kunsthändler, Künstlern und Kuratoren (Mark Cortzee, Nina Arias und Nick Cindric) die „Wynwood Art District Association“ gegründet. Und mit dieser erfolgte der Startschuss für eines der mittlerweile bekanntesten Kunstviertel der Welt. 

Hute geht man durch das Viertel und wird an Street Art kaum vorbeischauen können: Hunderte Werke sind an den Mauern der Straßen und Häuser vermalt worden, diverse Galerien und Museen stellen Kunstwerke aus. Tatsächlich hat sich hier in den letzten 20 Jahren die größte Open-Air-Straßenkunstinstallation der Welt entwickelt. Nicht umsonst zählte „Curbed“, eine Website für Immobilien und Städteplanung vom New York Magazin, Wynwood Walls, das 2009 geschaffene und größte Museum für Murals (Wandmalerei) 2018 zu einem der 16 Instagram tauglichsten Orte der USA.

Kunst in den Wynwood Walls. Foto: Michael Schabacker
Kunst in den Wynwood Walls. Foto: Michael Schabacker

Künstler in den Wynwood Walls

Ein Besuch des Viertels ist ohne eine Begehung der Wynwood Walls kaum vorstellbar. Natürlich sind die Kunstwerke außerhalb der Mauern des Museums beeindruckend und fesselnd, keine Frage. Aber die Street Art wird im Museum tatsächlich noch einmal intensiver projiziert, erlebbarer dargestellt. Dies wird schon alleine durch die folgende Statistik des Museums verdeutlicht: Drei Millionen Besucher jährlich kommen in das Museum, mehr als 100 Künstler aus 21 Ländern haben hier ihre Kunstwerke verewigt, 35.000 Quadratmeter Wandfläche sind bemalt worden – und dies durch mehr als 100.000 Sprühflaschen. 

Mit einer Figur, also etwas jenseits von Street Art, ist auch der in New York lebende Maler, Straßenkünstler und Designer Ron English als einer der bekanntesten lebenden Künstler der Gegenwart im Museum vertreten. Die riesige Hulk Figur eines Kindes ist ein wahrer Hingucker, keine Frage. English ist ein Vorreiter der boomenden Vinyl-Art-Figuren-Bewegung und hat einzigartige und heiß begehrter Sammlerstücke auf den Markt gebracht. Bekannt geworden für die breite Öfferntlichkeit wurde der Künstler durch Kino- und Fernsehauftritte in „Exit through the Gift Shop“, „Supersize Me“, „Die Simpsons“ oder auch „Street Art Throwdown“.

Kunstwerk von Ron English. Foto: Michael Schabacker
Kunstwerk von Ron English. Foto: Michael Schabacker

„Buff Monster“

Zum Teil werden die Kunstwerke in den Wynwood Walls sogar interaktiv, „lernen Laufen“. So zum Beispiel auch in dem Werk von „Buff Monster“. Der 1979 auf Hawaii geborene Künstler machte sich in Kalifornien einen Namen, indem er in Los Angeles an verschiedenen Orten der Stadt tausende handgedruckte Poster und Aufkleber anbrachte. Sein „Monster-Kunstwerk“ kann durch einen QR-Code gescannt werden und die dargestellten Kreaturen fangen an sich auf dem Handy zu bewegen. Interaktion par excellence!

Der in Los Angeles geborene Künstler Kai ist ebenfalls durch einen seiner „Imginary Friend (IF)-Charakter“ vertreten. Seine Werke sind charakterisiert durch eine künstlerische Neutralität, soll heißen: weder Geschlecht, noch Hautfarbe oder Rasse sind in seinen Werken identifizierbar. Seine Kunstwerke haben mittlerweile einen internationalen Ruf, er stellte bereits auf der Miami Art Basel und der ComplexCon aus. Seine Zementinstallationen, Galeriarbeiten und Wandgemälde sind auch in New York, Amsterdam, London, Paris, Hebron (Israel) und Peking zu finden.

Street Art im Areal des Museums. Foto: Michael Schabacker
Street Art im Areal des Museums. Foto: Michael Schabacker

Ein Gang durch die Geschichte

Tatsächlich ist ein Besuch der Wynwood Walls auch ein Gang durch die Geschichte und Kultur der Menschheit. Diverse Künstler zeigen durch ihre Arbeiten, wie Street Art gestalterisch Geschichten erzählen kann. Gerade die bereits oben erwähnte Interaktion durch Anbringung von QR-Codes und die daraus resultierenden Videointegrationen sind fantastisch und erzeugen wunderbare Gedankenspiele!

Übrigens: Genau neben dem Museum befindet sich mit dem Moxy Hotel ein wunderbares „Kunst-Hotel“. Zur Lobby geht es mit dem Fahrstuhl nach oben – und dieser ist sehr kunstvoll und imposant verziert. Und wer sich im Hotel noch weiter mit der hiesigen Kunst beschäftigen will: In der Leseecke des Moxy befindet sich genügend Literatur zum Thema „Miami &% Kunst“.

Fahrstuhl-Kunst im Moxy Wynwood. Foto: Michael Schabacker
Fahrstuhl-Kunst im Moxy Wynwood. Foto: Michael Schabacker

Informationen:

Wynwood Walls: www.thewynwoodwalls.com

Moxy: www.marriott.com/en-us/hotels/miaon-moxy-miami-wynwood/overview

Fotos: Michael Schabacker

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