Zugpferd für die „50Best“ ist er immer noch. Das „El Bulli“ mit seiner ehemals elaborierten Lage direkt am Meer ist Begriff, ist Leitbild. Und für ihn vielleicht auch ein Stigma. Vielleicht. Doch unbestritten prägte er die mittlerweile (zweit)wichtigste gastronomische Liste im kulinarischen Neuzeitkalender. Und die Frage muss gestattet sein: Wozu überhaupt NOCH eine Liste? Oder besser: Warum ÜBERHAUPT eine Liste?
Nun, Listen müssen eben sein, sind Gehstock für die Suchenden und Blindenhund für die übrigen. Zunächst einmal. Und „das ist auch gut so“, um ein wenig geflügelt zu bleiben, den Sinn erkennend und (partiell) auch nutzend. Dabei hat über viele Jahre der guide den Takt vorgegeben. Und macht es auch immer noch, obschon seit nunmehr 21 Jahren die „50Best“ zumindest an einem seiner Stuhlbeine gehörig sägt.
Da mag der eine sagen, die Zeit für die „rote Bibel der Gastronomie“ sei längst abgelaufen, der andere hingegen proklamiert laut ausrufend die Wertig- und Bedeutsamkeit des Sternes an der Eingangstür. Naja, und der guide himself sieht sich wohl eher als kulinarischen Vertreter ethischer oder auch metaphysischer solipsistischer Selbstverständlichkeit, ergo: erst kommt der guide, also bin ich!
Jubel der drei Brüder
Umso erfreulicher dürfte es doch sein, mit ein wenig Wind, nachvollziehbaren Strukturen und offener Kommunikation, eine „50Best“ Listung alternativer Art als Fingerzeig zum historischen, fast antiquierten guide zu sehen. Und dann, länger suchend, jenseits der Top 50 taucht das „Orfali Bros Bistro“ auf – Platz 87 ist es aktuell. Die Brüder Mohammad, Wassim und Omar Orfali sind Eigentümer des Restaurants im Stadtteil Jumeirah in Dubai.
Ein Familienunternehmen, dass es auf den 87. Platz der „100Best“ geschafft hat. Und neuerdings auch die Spitzenposition in der „MENA 50Best“ einnimmt. Sozusagen der Vorentscheid zur finalen Liste. Freuen sie sich über Platz 87? Wahrscheinlich. Aber bei der jüngsten Platzvergabe „Middle East & North Africa`s“ der „(MENA) 50Best“ war der Jubel der drei Brüder mehr als groß.
Aus gutem Grund: Denn neben den asiatischen, nord- und lateinamerikanischen „50Best“-contests ist diese zum zweiten Mal in Abu Dhabi gefeierte Verlautbarung der besten 50 Restaurants der MENA-Region ein Meilenstein. Ein Meilenstein, weil in der Vergangenheit die Küche und derer Protagonisten international wenig Raum auf der Agenda der gastronomischen Globetrotter für sich hat beanspruchen können.
Das in dieser Hinsicht ein Wechsel eingeläutet wurde, dafür steht nicht zuletzt die „MENA 50Best“. Denn die gastronomischen und kulinarischen Trampelpfade aus dem Mittleren Osten und Nordafrika sind schon längst hörbar – auch, und gerade in Europa. Zwar ist in der „50Best“ noch kein Vertreter aus der MENA-Region zu finden, allerdings dürfte sich das in naher Zukunft ändern. Warum? Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Ein Grund ist jedoch entscheidend: die traditionellen Kulinarik-Pfade der Region sind geprägt von Historie und Kultur, die ihren ganz eigenen Charme haben.
Foodics Icon Award 2023
Dafür steht und „kämpft“ Anissa Helou. Die Tochter eines syrischen Vaters und einer libanesischen Mutter, lebt heute in London. Bekannt wurde sie international als Autorin mit dem Fokus auf nahöstliche und nordafrikanische Kulinarik. Bei der „MENA 50Best“ konnte die 71-Jährige, nach Bekanntgabe des „Foodics Icon Award 2023“, direkt nach der Gala in ihren eigenen Geburtstag hineinfeiern.
Ihre Heimat Beirut verließ sie mit 21 Jahren um Kunstgeschichte und Innenarchitektur in England zu studieren. Erst über 20 Jahre später veröffentlichte sie unter dem Titel „Lebanese Cuisine“ ihr erstes Kochbuch. 2018 folgte ihr bisher letztes Buch mit dem Titel „Feast: The Food of the Islamic World“, für das sie den „International Cookbook Award der James Beard Foundation“ einheimste. Und wie sie uns am Tag der Gala der „MENA 50Best“ verriet, steht schon das nächste Buch in der pipeline. Die Verträge mit dem Verlag seien jüngst unterzeichnet worden.
Nun, die sympathische Anissa Helou war durchaus überrascht, dass sie mit dem „Foodics Icon Award 2023“ im Conrad Abu Dhabi im Rahmen der „MENA 50Best“ ausgezeichnet wurde, wie sie uns weiter mitteilte. Doch sind es natürlich genau jene Publikationen, die für authentische Kulinarik aus Tradition und Historie mit einer Manifestierung im Hier und Jetzt stehen. Und wichtig sind. „Denn“, so Helou weiter, „es sind alles Rezepte aus meiner Kultur, aus meiner Kindheit. Die sind erhaltenswert und Identität für die ganze Region.“
In der anschließenden Presskonferenz, zu der sich die Orfalis einfanden um sich den Fragen der Journalisten zu stellen, war nicht zuletzt dieser Aspekte der Regionalität und Historie der Kulinarik Gesprächsgegenstand. „Aber“, so die Sieger-Brüder im Tenor, „dieser Erfolg ist nur machbar durch das Team. Damit steht und fällt alles.“ Recht haben sie, natürlich. Hinzu kommt, dass eine Zusammenarbeit im Team, unter Brüdern, natürlich sehr fruchtbar sein kann. Ein Hindernis ist es kaum, so Mohammad weiter. „Denn jeder hat seine Aufgabe, um die er sich kümmert.“ Familienbande als Erfolgskonzept, sozusagen.
50 Gewinner
Neben der Bekanntgabe aller 50 Gewinner, denn so fühlten sich letztendlich alle, gab es noch diverse Sonderpreise. So hat zum Beispiel Salam Dakkak aus dem „Bait Maryam“ in Dubai den Titel „Middle East & North Africa’s Best Female Chef 2023“ einheimsen können. Die palästinensische Köchin steht für die Kombination levantinischer kulinarischer Traditionen mit Hauptgerichten und Meze. Mit Sheril Berger und dem „Opa“ im Herzen des Levinsky-Gewürzmarktes in Tel Aviv wurde der „One To Watch Award 2023“ verliehen, ein Preis für ein Restaurant, dem man zukünftig den Schritt in die „50Best“ zutraut.
Vielleicht entgegen einiger Erwartungen, wurden durchaus viele Preise und Auszeichnungen an weibliche Chefköche vergeben. So auch an Tala Bashmi, die stellvertretend für ihr Restaurant „Fusions von Tala“ in Manama den Preis „Highest Climber Award 2023“ mit nach Bahrain bringen konnte. Das 2020 neu renovierte Restaurant steht für den Versuch, die Küche Bahrains einer kulinarischen Renaissance zuzuführen. Ein Gericht wie „Bamia“, einem Eintopf aus Okra und Fleisch, erfährt Innovationen durch die Verarbeitung von Wagyu-Rinderbäckchen und Okra-Chips.
Festzuhalten bleibt: ein durchweg illustrer Abend mit vielen Gewinnern, die sich allesamt feiern ließen und durchaus weiter in das Sichtfeld von dem einen oder anderen Genießer rücken dürften. So sehr die MENA-Küche auch für viele europäische Gaumen bisher vielleicht gar unbekannt war, so sehr kann sie zukünftig eine größere Rolle spielen…
Denn: sie ist einfach lecker!
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Foto: 50Best