Danach beeindrucken die Stahltanks, in denen nie mehr als 26 bis 27°C Temperatur herrscht. Und das grandiose Weinlager mit wunderbaren Weinfässern aus bester Eiche und einer grandiosen Endlosbatterie an Weinflaschen ist eine echte perle ländlicher Architektur. In der Raummitte dann auf einem edlen Holztisch der nächste Hinweis zur „Spiritualität“: Hier liegt ein Jahreshoroskop für das aktuelle Jahr 2020 aus. Denn natürlich spielen auch die Planeten und deren Konstellationen, vor allem aber die Mondphasen in der Tenuta Canto alla Moraia eine bedeutende Rolle in der Weinherstellung. Doch bevor wir mit der Degustation der Bioweine starten, erfahren wir noch kurz die Familiengeschichte.
Denn da ist einmal Rudi Banci, dessen Vater Walter Banci nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinem Textilunternehmen in Prato und dann in den USA reüssierte. Und da ist Gattin Silvia, die aus dem Hause Lebole stammt. Und die ist in Arezzo nicht irgendwer, hatten doch die Brüder Mario und Giannetto Lebole, im Zweiten Weltkrieg Partisanen, die am 16. Juli 1944 auf einem britischen Panzer in Arezzo einrückten und so die Stadt mit befreiten, 1952 eine Textilfirma gegründet. Ab 1955 dominerten die zwei mit ihrer Marke Lebole bis 1972 den italienischen Markt für Herrenmode – 1955 mit 200, 1968 sogar mit 5000 Angestellten: eine Mitarbeiterzahl die bis heute nie wieder eine Firma in Arezzo erreicht hat.
In Prato aber ließ indes Rudis Vater Walter Banci 1953 von den Architekten Forasassi und Taiti jene Textilfabrik Lanificio Walter Banci nach den Prinzipien von Frank Lloyd Wright in organischer Bauweise errichten, die dann bis 1974 produzierte und entscheidend zum großen Erfolg der Firma Banci in der Zeit des italienischen Wirtschaftswunders beitrug. Rudi selbst setzte dann in den USA die höchst erfolgreiche Arbeit seines Vaters Walter fort, der sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sogar trotz großer Sprachprobleme auf gerichtlichem Wege gegen unfair verhängte Handelseinschränkungen hatte durchsetzen können und so auch vielen italienischen Firmen in den USA den Erfolgsweg ebnete. Nach 9/11 und Ground Zero aber zog es Rodolfo samt Familie aus New York zurück in die Toskana, um auf diesem historischen, in den 1950er Jahren erworbenen Besitz ihren Traum vom Kunst- und Bio-Wein-Resort erfolgreich zu realisieren.
Welche Klasse sich dabei entwickelt hat, entdecken wir dann bei der Degustation der vorzüglichen Weine. Den Anfang macht gleich ein Wein, der umgehend alle Freunde bacchantischer Vergnügungen verzücken wird! Es ist der Canto alla Moraia Bacco Felice Chianti DOCG 2018. Dieser wunderbare Bio-Wein aus 80 % Sangiovese, 10 % Canaiolo und 10 % Malvasia Nera bringt 13,5 % Alkoholgehalt mit. Doch er wird sich wohl noch in Richtung 14 % entwickeln. Er ist süffig und passt – bei 18°C serviert – hervorragend zu Pasta und Salaten, aber auch Huhn (ab Tenuta 0,75-l-Flasche für 18 €). Ihm treu zur Seite steht der einzige Nicht-Biowein an diesem Spätnachmittag, der Canto alla Moraia Ser Filippo Chianti DOCG 2018 (13,5 %).
Und man merkt, dass die Tenuta Canto alla Moraia schon seit 2002 intensiv um Nachhaltigkeit und biologischen Anbau kümmert. Die in Süd-Südwest-Ausrichtung angelegten Rebstöcke bilden eine perfekte harmonische Einheit mit dem natürlichen Terrain in 330 m Höhe. Mit einem Abstand von 2 m zwischen den Reihen wird bei der Dichte von 6400 Pflanzen pro Hektar eine perfekte Ventilation und die bestmögliche Nutzung des Mikroklimas erreicht. Dabei reduziert sich die Ernte zwar auf nur 55 bis 60 Quintale Weintrauben pro Hektar. Aber dies kommt natürlich auch der Qualität zu Gute. Denn die Trauben des Bacco Felice gediehen auf den 2002 und 2003 angelegten Weinbergen. Es folgt der ausschließlich aus autochthonen Rebsorten hergestellte Canto all Moraia San Sereno IGT Rosso di Toscana 2016 (0,75-l-Flasche für 25 €), der mit seinen 13 % Alkoholgehalt für uns umgehend zu einem der Favoriten aufsteigt. Dieser Bio-Wein aus 20 % Colorino, 20 % Malvasia Nera, 20 % Foglia Tonda und 40 % Sangiovese erhielt zurecht von James Suckling schon 90 Punkte erhielt.
Und natürlich hat Sarah Banci, die auf der Tenuta auch für das Marketing zuständig ist und die Weine von Canto alla Moraia seit 2015 auch höchst erfolgreich in New York präsentiert, einen exzellenten guten Tipp parat: Sämtliche Rotweine der Tenuta sollten dekantiert werden. Denn es habe sich herausgestellt, dass diese nach einem Tag sogar noch besser seien. Dies gilt in jedem Fall auch für den Klasse-Biowein Canto alla Moraia Ser Alfiero 2016, einen wunderbaren IGT Rosso di Toscana des Jahrgangs 2016 aus 80 % Sangiovese und 20 % Cabernet Sauvignon. Nun, natürlich enthält auch dieser Biowein der Spitzenklasse, der ein echter „Supertuscan“ ist, auch Sulfite, indes nur geringe Mengen – anders funktioniert die Herstellung nicht. Aber er ist eben ein großartiger Wein der Spitzenklasse, der uns auf Anhieb auch im Preis (ab Tenuta 0,75 l für 28 €) überzeugt.
Mit dem Canto alla Moraia „Moraia 2015 IGT Rosso Toscano 2015 kommen wir dann zum Flaggschiff des Gutes, einem herrlichen „Supertuskaner“ der außergewöhnlichen Spitzenklasse. Dieser aus 50 % Cabernet Sauvignon, 30 % Sangiovese und 20 % Merlot hergestellte herrliche Bio-Wein, er passt perfekt zu Wild, allen voran zu Hase, ist die wirkliche authentische Erzählung zum Landgut. Seien Trauben gedeihen direkt an der „Moraia“, dem, kleineren, indes ältesten Gutshaus der Tenuta aus dem 17 Jahrhundert, das direkt hinter der Cantina steht. Von diesem fruchtbarsten Filetgrundstück des Gutes, das folgerichtig „Il Filetto“ genannt wird, gehen die handgelesenen Trauben direkt in die Cantina. Nach der Reifung für 12 Monate im Tonneaux muss er noch 18 Monate auf die Flasche, ehe er die Marktreife. Und er ist natürlich ein Klassiker für die reich und üppig gedeckte Tafel. Von Veronelli erhielt der „Moraia“ schon 91 Punkte (0,75-l-Flasche ab Tenuta ca. 45 €). Für einen besonderen Augenschmaus sorgt dann die von Hauskünstler Valerio Toninelli höchstpersönlich entworfene „Verpackung“. Valerios wunderbar designten Holzkisten sind ein echter Hingucker. Ein Blick in die Wandregale des hübsch dekorierten Degustationssaals offenbart zudem, dass sich die Tenuta mit Valerio Toninelli auch um herrliche Flaschen-Etiketten verdient gemacht hat. Erst einmal aber bewundern wir die historische Flaschenkollektion. Denn den Weinbau hat die Familie Lebole bereits 1961 gestartet, als man gleich 200 Hektar Land aus dem Besitz der Königsfamilie aus dem Hause Piemont-Savoyen ankaufte. Und so präsentiert Silvia Banci einen echten Fattoria dell`Oreno 1975.
Und natürlich gebührt ihrem Vater, dem großen Lehrmeister der Lebole-Dynastie, die nun schon in vierter Generation vinifiziert, Giovanni Lebole, genannt Giannetto, ein besonderer Gran Cru „Giannetto“, dessen Trauben auf 1971 angelegten Weinbergen reiften. Die herrlichen plastischen Weinetiketten indes schuf Valerio Toninelli im Rahmen eines besonderen Projektes. Ein extra ausgesandter Profi-Fotograf sammelte die Vorlagen zu dieser Spezialkollektion im herrlichen, sich östlich des Arno erhebenden Hochtals des Casentino. Zu Füßen der Apenninengipfel wurden so die dort heimischen 26 Schmetterlingsarten fotografisch dokumentiert, deren wunderbares Aussehen Valerio dann kongenial zur Flaschendekoration umsetzte. Und einmal mehr wird klar, warum die Tenuta Canto alla Moraia nur 60 000 Flaschen pro Jahr abfüllt, obschon es gut und gerne 230.000 Flaschen sein könnten. „Essere … e fare“, „Sein und machen“ ist das Motto des Künstlers Valerio. Und dies passt kongenial zum Gutswahlspruch des Frank Lloyd Wright: „Wahrheit ist Leben“!“
Informationen:
Übernachten/Wein:
Art & Wine Bio Resort Tenuta Canto alla Moraia, www.tenutacantoallamoraia.com
Tourismusinformation (Ufficio turistico) Arezzo, www.discoverarezzo.com
Toscana Promozione Turistica, www.visittuscany.com
Fotos: Ellen Spielmann