Foodie

Im Wunderland des Hopfens

Was passiert, wenn ein Tscheche auf eine Slowakin trifft? Ganz klar, sie gründen eine Brauerei. Der köstliche Gerstensaft ist nun mal das Lebenselixier für diesen Menschenschlag. So sehr, dass eigentlich Bier statt Blut durch dessen Adern fließen müsste.

„Pioneer Beer“, so der klangvolle Name des Unternehmens, mit dem Brauer Michal und Marketing-Expertin Miriam 2016 starteten. Das Bier können die Besucher umgehend verkosten, gehört doch zur Brauerei eine Kneipe. Ein lang gezogener Raum mit Stühlen, Tischen und zwei Sudkesseln, die rot-goldenen Glanz verbreiten. Am Ende ein kleiner Tresen. Modern, aber doch gemütlich. Das Paar kredenzt in einem alten, umgebauten Gebäude nun traditionelle Biere sowie Craft Beer. Und auch kleine Gerichte, wie Wurst in, natürlich, Biersoße.  Dunkel, sämig, leicht malzig, mit einem Hauch von Süße. Dazu Brot. Mit Kümmel, gut für die Verdauung. Ein ausgezeichneter Snack zum Bier. 

Modern, aber gemütlich: die Kneipe der Brauerei „Pioneer Beer“. Foto: Fritz-Hermann Köser
Modern, aber gemütlich: die Kneipe der Brauerei „Pioneer Beer“. Foto: Fritz-Hermann Köser

Getroffen haben sich Miriam und Michal in Zatec (Saaz). Und genau dort, mitten im Zentrum, befindet sich ihre Brauerei-Kneipe. Nicht von ungefähr in einem ehemaligen Hopfenlager. Zatec, knapp 20.000 Einwohner, im Nordwesten Tschechiens, rund 50 Kilometer südlich vom Erzgebirge. Hier dreht sich alles um das grüne Gold. 

Zwar bietet der einladende Ort viele alte Gebäude, reichlich Gastronomie und für die Größe eine Vielzahl an Sehenswürdigkeiten. Hauptattraktion ist jedoch der Hopfen. Nur hier gibt es dazu das angeblich weltweit größte Museum, nur hier gibt es sogar eine eigene Erlebniswelt, den sogenannten Hopfen- und Biertempel. Inklusive Hopfen-Leuchtturm.

Ein einladender Ort mit vielen historischen Gebäuden: Zatec. Foto: Fritz-Hermann Köser
Ein einladender Ort mit vielen historischen Gebäuden: Zatec. Foto: Fritz-Hermann Köser

Aus gutem Grund. Ob Pilsener Urquell, ob irisches Guinness, ob belgisches Stella Artois, Saazer Hopfen, auf Tschechisch „Žatecký chmel“, findet sich in den bekanntesten Bieren der Welt. Er unterscheidet sich dank seinem besonders milden Aroma deutlich von anderen Hopfensorten. Wirken doch die Bitterstoffe nicht aufdringlich, sondern dezent. 

Nicht von ungefähr ist Saazer Hopfen seit 2007 eine geschützte Ursprungsbezeichnung der EU. Wenn in Tschechien Hopfen angebaut wird, dann vor allem diese Sorte. 

Saatzer Hopfen ist bekannt für sein besonders mildes Aroma. Foto: Fritz-Hermann Köser
Saatzer Hopfen ist bekannt für sein besonders mildes Aroma. Foto: Fritz-Hermann Köser

Und das seit ungefähr 700 Jahren, zumindest rund um Zatec. Die Kletterpflanze mit den bitteren Blüten prägt seitdem diese hügelige Gegend samt den Orten, die hier eigens zu seiner Verarbeitung entstanden waren. Das führte zu einer einzigartigen Kulturlandschaft, weswegen Zatec und seine Umgebung 2023 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. 

Zatec, das Mekka des tschechischen Hopfens. Die vielen Felder in der Umgebung zeugen davon, die vielen Trockenanlagen sowie Lager in der Stadt, zum Teil umgewidmet, zum Teil in Betrieb. All das lässt sich in luftiger Höhe vom Leuchtturm aus bestens betrachten. Hinauf geht es in einem speziellen Fahrstuhl. Während der Fahrt läuft im Aufzug eine ulkige 3-D-Animation, mit dem Wichtelmännchen „Hop“ als witzigen Bier-Botschafter. Oben angekommen, schweift der Blick über die Dächer und die grünen Hügel dahinter. Über all dem thront ein dunkelgrauer Himmel. Nach Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich der Turm in ein leuchtendes Wunderwerk aus verschiedenen Blau-Tönen. 

Blick über Zatec vom Hopfen-Leuchtturm. Foto: Fritz-Hermann Köser
Blick über Zatec vom Hopfen-Leuchtturm. Foto: Fritz-Hermann Köser

In der eigentlichen Erlebniswelt, einem historischen Hopfen-Lagerhaus, kann man sich schnell verlaufen. Erwartet den Besucher doch ein Labyrinth. Aus Hopfenballen. Wohin bloß? Schon wieder eine Sackgasse. Dort wartet eine Überraschung, wie an fast jeder Ecke, wie nach fast jeder Biegung. Meist, wie sollte es anders sein, zum Thema Hopfen. Ein Bild mit einer surreal anmutenden Landschaft. Eine leuchtende Illumination auf dem Boden. Zum Schluss ein gewaltiger, violett leuchtender Dolden aus Kristall. Bald fühlt man sich wie Alice im Hopfen-Wunderland. Niemand verläuft sich, dank Josef Helebrant, der durch die Erlebniswelt führt. Und einiges  Interessantes zu erzählen weiß.  Zu Zeiten des Sozialismus, so erklärt er, sei der Saazer Hopfen exportiert worden. Das tschechische Bier habe man damals daher mit Hopfen aus China gebraut. 

Weiter geht es durch eine uralte Alchimisten-Werkstatt. Bier ohne Hopfen? Funktioniert nicht, wie der der Tüftler nach endlosen Experimenten feststellen musste. Dass das umgekehrt jedoch bestens funktioniert, lernen die Besucher im Souvenirshop. Dort gibt es erfrischendes Hopfenwasser mit dem Elfen „Hoppy“ auf dem Etikett. Und sogar Hopfenpralinen.

Im Souvenirshop gibt es sogar Hopfenpralinen. Foto: Fritz-Hermann Köser
Im Souvenirshop gibt es sogar Hopfenpralinen. Foto: Fritz-Hermann Köser

Alles sehr unterhaltsam. Ausführliche Informationen bietet vor allem das imposante Museum, 1997 eröffnet, ebenfalls in einem ehemaligen Hopfenlager. Das historische Gebäude wurde um einen modernen Anbau ergänzt, mit einer glitzernden metallenen Fassade. Auf 4.000 Quadratmetern erfährt der Besucher alles über die Entwicklung des Hopfenanbaus. Vom Mittelalter bis heute. Ein Rundumschlag, sehr anschaulich. 

Von der Holzschaufel bis zum Traktor, von der Aussaat bis zum Trocknen, nichts wird ausgelassen. Inklusive dem Frühjahrsschnitt, ein sehr bedeutsamer Arbeitsschritt. Von März bis April werden dann alte Triebe oder kranke Teile des Hopfensetzlings beseitigt. Mit kleinen Hacken und Spezialmessern.

Das Hopfenmuseum wurde mit einem modernen Anbau versehen. Foto: Fritz-Hermann Köser
Das Hopfenmuseum wurde mit einem modernen Anbau versehen. Foto: Fritz-Hermann Köser

Historische Maschinen, zahlreiche Fotos und Bilder illustrieren die Arbeit, die jahrhundertelang wohl eine ziemliche Plackerei war. Besonders die Ernte. Begann doch deren Mechanisierung erst ab den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Davor wurde per Hand geerntet. Im Akkord. Der Helfer riss den Hopfenstock vom Draht und pflückte die Dolden direkt in einen Korb. Der wurde abgemessen, in sogenannte Viertel, also 30 Liter. Dabei wurde auch die Qualität kontrolliert. Für jeden Viertel bekam der Pflücker eine Marke, die nach der Ernte zu Geld umgetauscht wurde, wie Walter Enders erklärt. 

Durchschnittlich schafften die Pflücker 10 Viertel pro Tag, die besten sogar 40. Der Mitarbeiter des Museums, der durch die Räume führt, weiß, wovon er spricht. Schließlich hatte er in jungen Jahren selber tatkräftig bei der Ernte mitgeholfen. Ganz früher schufteten sogar Kinder in den Feldern. Später waren es auch Auszubildende und Studenten. In Zeiten des Sozialismus bildeten die Erntehelfer Brigaden. Bis zu 130.000 Personen mussten in Zatec und den umliegenden Dörfern von Mitte August bis Mitte September beherbergt werden.

Historische Maschinen illustrieren die Arbeit der Pflücker im Hopfenmuseum. Foto: Fritz-Hermann Köser
Historische Maschinen illustrieren die Arbeit der Pflücker im Hopfenmuseum. Foto: Fritz-Hermann Köser

Und auch so manche Filmcrew. Zatec, bis heute ein international beliebter Drehort, auch für Hollywood. Daran erinnern Plakate und Filmsequenzen in einer permanente Ausstellung in der „Sladovna Galerie“.  London zu Lebzeiten von Charles Dickens. Paris während der französischen Revolution. Ein jüdisches Ghetto. Vor über 40 Jahren wurde hier „Yentl“ gedreht. 

Die Großmutter von Hauptdarstellerin Barbara Streisand stammt tatsächlich aus Zatec, und zwar aus der Straße unweit der Synagoge, wo die Szenen in und vor den Geschäften gedreht wurde. Es folgten „Les Misérables“ mit Liam Neeson, „Oliver Twist“ mit Ben Kingsley oder „JoJo Rabbit“ mit Scarlett Johansson. 

Historische Maschinen illustrieren die Arbeit der Pflücker im Hopfenmuseum. Foto: Fritz-Hermann Köser
Historische Maschinen illustrieren die Arbeit der Pflücker im Hopfenmuseum. Foto: Fritz-Hermann Köser

Der Besuch sorgt für viel Durst, also ab in das „U Orloje“. In dem Lokal, ebenfalls mit Brauerei, gibt es neben Bier auch Limonade – natürlich aus Hopfen. So gestärkt, erfolgt ein Rundgang durch den Ort. Zunächst zur weltweit einzigen Hopfenuhr. Sie zeigt außer der Uhrzeit auch die Jahreszeiten an, und zwar Szenen aus dem Hopfenanbau. Am Marktplatz wartet eine weitere Sensation. Und zugleich ein Weltrekord! In einer Ecke stehen ein paar Stangen mit Pflanzen, eine Fläche kaum größer als eine Vierzimmerwohnung. Das kleinste Hopfenfeld der Welt. 


Informationen: 

www.visitczechia.com

www.infozatec.cz

Fotos: Fritz-Hermann Köser

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