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„Geisterinsel“ Pianosa im Toskanischen Archipel

Doch jahrelang fand sich kein ziviler Mitbewohner, der seine Adresse dauerhaft auf diese „Insel der Einsamkeit“ verlegen wollte. Und so blieb „Carlo delle Catacombe“, „Katakomben-Karl“, so sein Spitzname, weil er über eine Dekade Inselbesucher durch die frühchristlichen Katakomben aus dem 4. und 5. Jh. n. Chr. geführt hatte, allein, quasi als Eremit auf jenem Eiland, auf dem Mitte des 19. Jahrhunderts noch über 2000 Menschen lebten.

Strafkolonie

Doch dann kam Giulia, genauer Giulia Manca: Seit einigen Jahren führte sie das Hotel Milena, ein kleines, aber feines Albergo (Herberge) direkt gegenüber dem Fähranleger auf Pianosa an der Cala San Giovanni. In diesem Hotel residierte einst der Direktor der Strafkolonie von Pianosa, die 1858 gegründet worden war. Ab 1871 und bis 1882 regierte hier ein gewisser Leopoldo Ponticelli die Geschicke der Strafkolonie und der bis zu 1000 Insassen, die meist aus anderen italienischen Gefängnissen wegen Tuberkulose oder Tuberkulose-Verdacht hierher verlegt worden waren, um in dieser sich selbstversorgenden Agrar-Kolonie ihre Strafe unter weit günstigeren Bedingungen abzusitzen und abzuarbeiten als beispielsweise auf dem Festland.

Hier geht es in die ehemalige Strafkolonie... Foto: Ellen Spielmann
Hier geht es in die ehemalige Strafkolonie... Foto: Ellen Spielmann

Heute geht man durch die zu schick mit Strandfunden von Giulia Manca hergerichteten Zimmer und bestaunt den Salon, dessen Deckenfresken damals ein künstlerisch hochbegabter „detenuto“ für seinen Direktor schuf. Überhaupt ist die Atmosphäre im Haus einzigartig. Natürlich ist das Hotel Milena das einzige Etablissement dieser Art auf der Insel, ebenso das ebenfalls von ihr geführte Ristorante „Da Brunello“ im ehemaligen Wirtschaftstrakt des Gefängnisareals, von wo es nur wenige Schritte bis hin zum herrlichen Sandstrand an der Cala di San Giovanni sind.

Elbas Traditionsküche

Dort, so schwärmen alle Gäste, erlebe man die „Karibik“ des Toskanischen Archipels. Sand, Sonne und türkis grün schimmerndes Meer! Perfekt! Und natürlich versorgt Giulia die Tagesgäste, die morgens um 10 Uhr in Marina di Campo starten und nachmittags um 17 Uhr von Pianosa nach Elba oder auch Piombino zurückkehren. Und dank Giulia müssen sie auch nicht auf gekühlte Getränke, Eis und einen opulent gedeckten Mittagstisch verzichten. Gut, die Dekoration einzelner Gerichte könnte etwas ausgefallener sein – aber schmackhaft und frisch sind alle Zutaten, insbesondere der für Elbas Traditionsküche so typische Polpo (Oktopus). Übernachtungsgäste versorgt Giulia hier natürlich auch abends und morgens mit kalten und warmen Speisen. Und legendär sind ihre Abendprogramme auf der dann tatsächlich menschenleeren Insel, sieht man einmal von jenen sieben Freigängern ab, die noch in der Agrarkolonie leben. Dann führt sie durch die „Ghost Town“ von Pianosa-Stadt, die eine wahre Zeitkapsel des 19. Jahrhunderts darstellt. Ihre Geistertouren schmückt Giulia mit Anekdoten aus der unendlichen Geschichte Pianosas. Gerne stellt sie auch am alten römischen Hafen, wo einst sogar Kaiser Augustus anlandete, Sonnenliegen auf, von denen man einen herrlichen Blick auf das nächtliche Sternenzelt hat.

Touristen genießen das wunderbar klare Meer... Foto: Ellen Spielmann
Touristen genießen das wunderbar klare Meer... Foto: Ellen Spielmann

Natürlich kann und sollte man auch tagsüber Pianosa erkunden. Der erste Weg von der Anlegestelle führt erst einmal zum Info Point des Nationalparks. Allerdings wurde dieser Flachbau 2023 bis auf weiteres geschlossen, weil gegenüber seit dem 26. August 2022 die Casa dell`Agronomo öffnet. Dies Haus des Agronomen ließ Direktor Leopoldo Ponticelli bis 1875 für den verantwortlichen Agronomen der Strafkolonie errichten. Ein Schmuckstück im eklektizistischen Stil, das seit 2019 für über 2,2 Mio. Euro restauriert wurde.

Napoleon Bonaparte

Hier ist nun das neue, hochinteressante und multimediale Museum zur Inselgeschichte, zur Natur und Biodiversität Pianosas eingerichtet, hier erfährt man auch viel zur Geschichte der Strafkolonie, in der sogar einmal dank des Agronomen Giuseppe Cusmano Schaumwein hergestellt worden sein soll. Dies wollte bereits Napoleon Bonaparte, der während seiner kurzen Verbannungszeit auf Elba 1814/1815 auch Pianosa besuchte, im Forte Tegla oberhalb des Fähranlegers nächtigte und die Insel zur Getreidekammer des Archipels erkor.

Am Römerhafen, in dem schon vor 2000 Jahren Becken zur Fischzucht angelegt wurden, fällt der Blick auf das Vogelparadies der Felsinsel La Scola. Und schließlich führen nun Nationalpark-Guides nicht nur durchs Inseldorf, sondern auch statt Carlo durch die Katakomben mit insg. 700 Grabstellen. Es sind die größten nördlich von Rom!

Man erahnt die Geschichte der Insel... Foto: Ellen Spielmann
Man erahnt die Geschichte der Insel... Foto: Ellen Spielmann

Auch an sportlichen Aktivitäten mangelt es nicht. Nur geführt kann man Pianosa auf Touren mit dem Inselbus, in der Kutsche oder zu Fuß erkunden, eine Mountain-Bike-Tour buchen oder beim Schnorcheln und auf Seekajak-Touren die Küstengewässer erkunden. Unbedingt ein muss sind die Ruinen der luxuriösen Villa jenes Agrippa Postumus der hierher 7 n. Chr. verbannt wurde und 14 n. Chr. hier von einem Offizier getötet wurde, damit Augustus-Nachfolger Tiberius Kaiser werden konnte.

Geologie und Archäologie

Linkerhand des Ristorante Da Brunello führt schließlich ein Turmdurchgang mit Uhr erst zum Vorplatz der „Dom“ genannten Inselkirche, ehe es durch das historische Eingangstor der Strafkolonie rechts ab zum Museeo delle Scienze Geologiche e Archeologiche geht, das in vier Räumen und über 19 Mio. Jahre nochmals Geologie und Archäologie der schon in der Frühzeit besiedelten Insel ausbreitet.

Spektakulär ist u.a. ein gezeigter Skelettfund aus der Römerzeit. Wieder vor der Tür, dominiert das Monstrum der sechs Meter hohen Betonmauer Muro dalla Chiesa den Blick. Sie wurde 1977 erbaut, als die Strafkolonie tatsächlich zum „Supercarcere“, zum Hochsicherheitsgefängnis ausgebaut wurde, das bis 1998 existierte.

Romantische Bucht auf Pianosa. Foto: Ellen Spielmann
Romantische Bucht auf Pianosa. Foto: Ellen Spielmann

Geradezu vergleichsweise gemütlich ging es da im agronomischen Teil der älteren Strafkolonie zu, wo Gemüseanbau, Hühnerzucht und Viehwirtschaft betrieben wurde. Italiens späterer Präsident und Volksheld Sandro Pertini war hier in der Zeit des Faschismus 1931 bis 1935 inhaftiert. Spektakulärster Bau neben den Stallungen ist in diesem Bereich der Torre di Babele, der Turmbau zu Babel!

Der kreisrunde mehrstöckige Bau diente als Wasserreservoir. Bevor man zur Nordspitze mit dem Blick auf die winzige Insel La Scarpa (Der Schuh) gelangt, trifft man zudem noch auf eine Wissenschaftsstation zur Erkundung des Vogelflugs. Hier werden Zugvögel beringt und ihre Flüge ausgewertet. Dann erwartet uns Giulia nochmals mit eisgekühlten Getränken und einem verschmitzten Lächeln, ehe es wieder zurück von der Geisterinsel nach Elba geht.

Und keine Frage: Der Besuch hat sich gelohnt!


Informationen:

Nationalpark Toskanischer Archipel: www.islepark.it/visitare-il-parco/pianosa

Buchungen Pianosa: Info Park-Büro des Nationalparks in Portoferraio (Elba), www.parcoarcipelago.info

Hotel Milena/Ristorante Da Brunello: www.albergopianosa.it

Fotos: Ellen Spielmann

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