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Dieter Meier: ein Zufall mit Wahnsinn und Methode

Interviews sind spannend. Es sind Gespräche mit Menschen die man nicht kennt. Oftmals verbunden mit Reisen in ferne Länder, mit diversen Impressionen garniert. Es ist ein Privileg diese Gespräche führen zu dürfen. Für mich. Und ich hoffe, ich bleibe mit meiner Meinung und meinen Fragen immer auch ein wenig bei den Menschen, mit denen ich mich in diesen Momenten auseinandersetz(t)e. Anthony Bourdain fand eigentlich genau für solche Treffen die richtigen Worte: „Travel isn’t always pretty. It isn’t always comfortable. Sometimes it hurts, it even breaks your heart. But that’s okay. The journey changes you; it should change you. It leaves marks on your memory, on your consciousness, on your heart, and on your body. You take something with you. Hopefully, you leave something good behind.“

Dafür bedarf es mehr als nur „gute“ Fragen zu stellen, mehr als „nur“ investigativ zu sein. Ich suche im Interview mehr den Menschen, suche das Gespräch und nicht das Frage-Antwort-Spiel. Und so kam es jüngst im „The Grill“ in Bremen mit Dieter Meier eben vielmehr zu einem Gespräch als zu einem Interview. Und den jüngeren Lesern darf vorausgeschickt werden, dass Dieter Meier als ein sogenannter Konzeptkünstler schon in den 1970er Jahren auf sich aufmerksam machte, später mit seinem „Yello“-Projekt musikalisch internationale Erfolge feierte.

Ein „Zufall“-Mensch aus Zürich

Doch nicht das ist Dieter Meier. Oder nicht nur. Der Schweizer Künstler/ Musiker/ Weinmacher/ Produzent ist vor allem eins: ein interessierter Mensch. Viel weniger geht es im Gespräch nur um den Mensch Dieter Meier, es sind Zwischenfragen und Anmerkungen, die ein Treffen mit dem „Zufall“-Mensch (dazu später mehr) so interessant und besonders machen. Und es ist die Spontaneität, die sich ein ums andere Mal im Gespräch präsentiert. „Es geht mir auf den Sack“, sagt er zum Beispiel, wenn es um die Ausstattung und den Ausbau des Widder Hotels in Zürich geht. Oder auch die ehrliche Meinung, dass der 650 Millionen Euro teure Umbau des Dolder Grand für ihn misslungen sei.

Denn von dort kommt er, der Dieter Meier. Ist groß geworden in der direkten Nachbarschaft zu Zürichs Hotel-Ikone, als welche das Dolder Grand wegen der architektonischen Besonderheit dennoch angesehen werden dürfte. Heute lebt und wirkt Dieter Meier immer noch in Zürich und verwaltetet und gestaltet sein kulinarisches Imperium äußerst erfolgreich aus der Schweizer Metropole heraus. Wenn er denn nicht reist, zum Beispiel dann, um auf seiner Ranch in Argentinien nach dem Rechten zu sehen, oder aber auch um seine Weine, die er nicht nur in Südamerika, sondern seit einiger Zeit auch auf Ibiza, produziert, in den verschiedensten Ländern zu promoten.

Dieter Meier: auch bekannt als Musiker des Yello Projekts. Foto: Dieter Meier
Dieter Meier: auch bekannt als Musiker des Yello Projekts. Foto: Dieter Meier

„Schon alleine wegen dem Hut“

Und dies eben auch in Bremen, im oben erwähnten Restaurant. „Hier wartet der KULINARIKER zum Interview“, stellt mich seine Assistentin vor. „Habe ich ein Interview?“, fragt Dieter Meier. „Wenn`s denn passt“, antworte ich. „Na, gerne. Schon alleine wegen dem Hut“, erwidert Dieter Meier, dabei auf meine Kopfbedeckung schauend. Das Eis, welches es eigentlich nicht gab, aber sprichwörtlich die ersten Momente eines Gesprächs mit positivem Entre umreißt, ist gebrochen.

Und eben das war es dann letztendlich auch: Viel weniger ein Interview, als vielmehr ein Gespräch. Fast so wie unter Freunden, auch wenn sich zwei Fremde gegenübersaßen. Ich, mit einem alkoholfreien Bier, Dieter Meier, dessen „Sache das nicht ist“, mit einem Gezapftem. Er komme gerade von verschiedenen Interviewterminen aus Hamburg, erzählt er zu Beginn des Gesprächs an einem Tresen in der Bar des Restaurants stehend. Und eben so groß wie dieser Raum indem wir sitzen ist auch sein Restaurant, das Ojo de Agua in Zürich, erzählt er weiter. So etwa 16 Plätze gibt es in dem kleinen Raum, indem er natürlich auch seine Produkte (Rindfleisch und Wein) aus Argentinien anbietet.

Schokoladenfabrik im Portfolio

Aber seine ganze Kraft und Leidenschaft scheint derzeit in ein ganz anderes Projekt zu gehen. Denn mit einer Schokoladenfabrik auf 16.000 Quadratmetern und dem dort neu zur Schokoladenproduktion eingesetzten Verfahrens der Kaltextraktion der Kakaobohnen hat der Tausendsassa das nächste erfolgversprechende Produkt in seinem Portfolio

Schon seit einigen Jahren steckt Dieter Meier in der Entwicklung dieser Fabrik. Jahrelange Forschung und die Schaffung einer neuen Kakaobohnen-Verarbeitung scheinen sich allerdings nunmehr gelohnt zu haben. „Natürlich hatte ich viele schlaflose Nächte. Aber nunmehr ist es eine tolle Schokolade geworden. Wenn Du die probiert hast, willst Du keine andere Schokolade mehr essen“, sagt er überzeugt. „Wenn Du wieder mal in Zürich bist, kommst Du bei mir vorbei und probierst sie.“ Ein Schluck aus dem Bierglas folgt, ehe er sagt: „Tagsüber bin ich ein Asket, trinke keinen Alkohol. Wenn, dann erst am Abend. Frei nach dem Motto: Der Tag geht, Johnny Walker…“ … „kommt“, stimme ich mit ein. Wir lachen. „Super, oder?“, fragt er. Ich kann wieder nur zustimmen während wir weiter lachen.

Seit 50 Jahren täglich ein Glas Wein. Foto: Dieter Meier
Seit 50 Jahren täglich ein Glas Wein. Foto: Dieter Meier

Allerdings, so berichtet er fortführend, trinke er weniger Whiskey, eher Weine und gutes Bier. Er legt viel Wert auf eine gute Ernährung, viel Salat und frischen Lachs. Sein Bruder sei ein leidenschaftlicher Angler, bringt viel Fisch aus Island mit. „Allerdings, wenn ich die letzten 50 Jahre nehme, dann habe ich allerhöchstens 30 Tage davon mal keinen Wein am Abend getrunken“, berichtet er weiter. „Das ist für mich einfach ein Hochgenuss. Ich habe natürlich auch gute Weine im Keller. Ich mag gerne ehrliche und gut gemachte Weine. Allerdings habe ich keine spezielle Region, von der ich Weine besonders gerne mag“, berichtet er weiter.

Weine auf 1100 Höhenmetern

Und natürlich trinkt er auch gerne seine Weine die in Argentinien und auf Ibiza produziert werden. Cabernet, Monastrell und Syrah werden als Rebsorten auf seinem Weingut auf Ibiza auf etwa 500 Metern Höhe verarbeitet. Merlot, Malbec und Cabernet sind es auf dem Weingut in Argentinien – und das auf einem Terrain auf etwa 1100 Höhenmetern. Natürlich: Daraus ergeben sich zwei komplett verschiedene Produkte. Und irgendwie klingt alles, auch die Prozesse um seine Weine, wie ein Zufall. Er habe immer Ideen gehabt – und hat sie noch heute. Für ihn ist die Umsetzung meist nicht mehr das Interessante. Er liefert verschiedenste Ideen – und lässt sie dann final umsetzen. Ein Luxus. Unbestritten. Und da es zu dieser Art Leben kommen konnte, er noch heute stets reist und Ideen hat die sein Leben bestimmen, das hätte er sich früher nie träumen lassen.

Das Weinfeld der Ranch in Argentinien liegt auf 1100 Höhenmetern. Foto: Dieter Meier
Das Weinfeld der Ranch in Argentinien liegt auf 1100 Höhenmetern. Foto: Dieter Meier

Jura und Poker

„Meine Karriere ist eigentlich ganz einfach. Ich habe – zur Tarnung und um meine Eltern zu beruhigen – Jura studiert. Eigentlich habe ich immer Poker gespielt, sogar relativ professionell zu jener Zeit. Einmal wurde ich gefragt, ob ich zu einem bestimmten Pokerabend kommen würde. Als ich das bejahte, wurde mir Geld geboten, ich glaube 1000 Franken, wenn ich nicht kommen würde. Das habe ich dann auch angenommen. Und daraus resultierte dann der Spruch: Der Meier kommt gar nicht mehr, der verkauft nur seine Schürfrechte“, erzählt Dieter Meier und wir lachen.

„Das Pokern habe ich wirklich sechs Tage, bzw. Nächte, die Woche gespielt. Als ich dann damit aufhörte zog ich durch die Stadt und wusste eigentlich nicht genau was ich machen sollte. Mein erstes Werk als Künstler schuf ich dann kurz darauf auf einem öffentlichen Platz in Zürich. Das war ein Rahmen, ein Holzquadrat mit den Maßen vier mal vier Meter auf dem Boden liegend… und ich habe 100.000 kleine Schraubenabfälle liefern lassen und jeden Tag von 8 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr die Schrauben abgezählt, in Tüten zu je 1000 Stück verpackt. Also: Das absolute Nichts, die Leere, das Unbedeutende, was jeder Idiot kann. Aber es war auf der Welt ohne jede Rechtfertigung, nur weil ich es wollte“, erzählt er weiter. Das sei sein Anfang gewesen, als Künstler.

Dieter Meier auf seiner Ranch in Argentinien. Foto: Dieter Meier
Dieter Meier auf seiner Ranch in Argentinien. Foto: Dieter Meier

documenta in Kassel

Später folgten dann Prozesse auf der documenta und auch in den Deichtorhallen. Und eben dort, auf der documenta in Kassel, hat er 1972 vor dem Bahnhof eine memorial plate einmauern lassen, auf der stand, dass er, Dieter Meier, 22 Jahre später am 23. März auf dieser Platte stehen würde. Und natürlich stand er dann nach 22 Jahren dort. Es kamen diverse Leute vorbei, sogar der Oberbürgermeister der Stadt gratulierte ihm als Künstler. „Ja – und so ging das alles los. Ich müsste dir wirklich alles mal zusenden, was ich gemacht habe. Oder Du kommst mal vorbei in Zürich und wir tauchen zusammen in die Tiefen des Unsinns ein“, sagt er, während er mir seine Telefonnummer für ein späteres Treffen diktiert.

„Ein Zufall“

„Ein deutscher Avantgarde Filmemacher, ein verrückter Hund, hat über den Zeitraum von 30 Jahren mal einen Film über mich gemacht. Und als er dann endlich fertig war, hatte er da irgendeinen hochtrabenden Titel dafür gefunden. Und ich hasse es, wenn ich für irgendetwas gelobt werde. Und da habe ich gesagt, Du musst den Titel ändern. Sonst kaufe ich dir den Film ab. Ich will das nicht. Ich kann mich nicht mehr genau an den Titel erinnern, der war einfach aufgeblasen. Ich sagte ihm dann meine Idee und die lautete: Dieter Meier – ein Zufall“, berichtet er weiter. „Ist das die Kurzform für dein Leben?“, frage ich interessiert. „Ja, das kann man so sagen“, antwortet er.

Er habe immer wieder Glück gehabt, sei auf der anderen Seite aber kein Fatalist. Sein erster Spielfilm bekam sogar eine Filmförderung. Bis dato hatte er nur „eigenartige“ Experimentalfilme gemacht. Dann nahm er sein Drehbuch mit dem Titel „Sehnsucht nach Allem“ und schickte es dem Produzenten Peter Schamoni. „Zu der Zeit lernte ich gerade meine Gemahlin kennen und wir verbrachten auf Sizilien unseren ersten gemeinsamen Urlaub. Und irgendwie hatte ich die Bewerbung zu dieser Filmförderung, die ich vorher noch machte, schon vergessen. Ohnehin gab es 157 Bewerbungen und nur drei sollten gefördert werden. Irgendwo in einem kleinen Ort auf Sizilien sah ich dann in einem Kiosk so ein gelbe, von der Sonne gebleichte Frankfurter Allgemeine Zeitung. Fast gelangweilt blätterte ich sie durch – und dann standen dort die drei Gewinner dieser Filmförderung. Und ich war dabei. Drei Wochen später ging es dann schon los…“, so Dieter Meier weiter. Und so wurde er Spielfilm-Regisseur. „Ein totaler Zufall.“

Und genauso kam er eigentlich auch zu der Schokoladenfabrik. Der Erfinder und Forscher des jetzigen Verfahrens zur Kaltextraktion der Kakaobohne las in einer Zeitung über die Vorliebe Meiers für Aromen, in einem Artikel, bezugnehmend auf die Kaffeeproduktion, die er in der Dominikanischen Republik hatte. Und so kam der Kontakt zustande – bis hin zu der jetzt entstandenen Fabrik und der in den Startlöchern stehenden Premiere im November bzw. Dezember. „Der einzige Nachteil dieser Schokolade ist: Du willst nie wieder eine andere essen“, sagt er. „Das ist so, echt“.

Zitat der NDW-Zeit

„Mein Freund Stefan Remmler hat einmal gesagt, frei zitiert: `Und dann kommt der Rhythmus, wo ich immer mit muss`. Alles bekommt eine Eigendynamik. Das gilt auch für die Fabrik, wo ich ein kleines Vermögen investiert habe. Ich habe meinen Leuten gesagt, ich bringe über dem Haupteingang ein Schild mit dem Goethe Zitat `Der Wahnsinn hat Methode` an. Ich hoffe, dass der Wahnsinn Methode hat, denn ich weiß es ja noch nicht. Verstehst Du?“ Wir lachen beide… „Denn“, so erzählt er weiter, „viele gute Sachen sind auch abgesoffen.“ Doch das hält einen Dieter Meier nicht davon ab, immer wieder aufzustehen und neue Ideen auszuleben.

Ein Mensch, der übersprudelt vor Ideen. Ein Mensch, der Ideen auch auslebt. Und ich freue mich schon wahnsinnig auf das nächste Treffen, auf das nächste Gespräch in Zürich und die vielen interessanten Geschichten mit Dieter Meier. To be continued…

Fotos: Dieter Meier

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