Es ist wohl eher Warnung als Werbung. „Mein Wein schmeckt nach Pferdekacke“, gibt der weißhaarige Mann mit dem ebenso weißen Schnäuzer im wettergegerbten Gesicht zu bedenken. Carl Frederik Stub Trock, so lautet der klangvolle Namen des Winzers, deutet auf den Boden zwischen den Weinstöcken. Nun ja, fährt er mit einem leichten Grinsen fort, zumindest hätten hier mal Pferde geweidet, bevor die Reben gepflanzt wurden. Dänischer Humor. Und dänischer Wein. Der Endsechsziger hat den Wein erst im Ruhestand entdeckt. Vorher war er Geschäftsmann und auch Pferdezüchter. Einige Tiere hat er bis heute.
Dänischer Wein? Wein aus Dänemark? Das Land zwischen Schleswig-Holstein und Schweden ist für alle möglichen Spezialitäten bekannt. Hotdogs, Lakritz, Gammel Dansk. Und, natürlich, Bier. Carlsberg. Tuborg. Weltbekannte Marken. Doch nun scheinen auch die Trauben das Heimatland von Gitte und Hans Christian Andersen erobert zu haben. Seit 2000 ist Dänemark ein offizielles, von der EU anerkanntes Weinbauland. Es zählt mit zu den nördlichsten Anbaugebieten Europas. In gleich vier Regionen wachsen die Reben: Jütland, Fünen, Seeland und Bornholm.
Gut 5.500 Weinstöcke
Vor allem hier, am westlichsten Punkt von Seeland, gedeihen die Trauben vorzüglich: auf der Halbinsel Rosnaes, auf Deutsch „Nase“, wo sich auch Carls „Stub Vingaard“ befindet. Lang und schmal ist diese Landzunge, die gut 20 Kilometer in die Ostsee ragt. Vier Weingüter gibt es in dieser Gegend. Sie machen immerhin 25 Prozent der landesweiten Produktion aus.
Sicherlich hat der Klimawandel auch etwas geholfen. Vor allem Solaris, eine Neuzüchtung vom Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg, schlägt sich hier gut. Eine unkomplizierte, robuste Sorte, geeignet auch für kühlere Regionen. Bei Vollreife verfügen die goldgelben Trauben über einen hohen Zuckergehalt, eine Voraussetzung für hochwertige Weißweine. „Solaris passt sehr gut zu Hummersuppe“, so der Winzer. Gut 5.500 Weinstöcke wachsen auf seinem 2017 gegründeten Gut „Stub Vingaard“. Außer Solaris baut Carl noch Johanniter und Rondo an, auf gerade mal eineinhalb Hektar Land. Das reicht für gut 3000 Flaschen pro Jahr.
Fast immer weht eine leichte Brise
Das größte Weingut Dänemarks befindet sich ebenfalls hier. „Dyrehoj Vingaard“ bricht für dortige Verhältnisse Rekorde. 13 Hektar, rund 50.000 Pflanzen, ebenso viele Flaschen pro Jahr Ausstoß. 2008 pflanzte Tom Christensen die ersten Weinstöcke. Zusammen mit seiner Schwester betreibt er das Gut. „Wir sind die vierte Generation in einer Familie von Schweinezüchtern“, erklärt Betina Newberry. Doch irgendwann hatte ihr Bruder genug und verlegte sich auf Wein, vor allem Weißwein, Rosé und Sekt. Sie und ihr Bruder setzen dabei auf Vielfalt. Sechs Weißweinsorten, darunter Johanniter und Souvignier Gris. 13 Rotweinsorten, darunter Spätburgunder, Leon Millot und Rondo. Das mit Abstand wichtigste Gewächs: Solaris. „Das soll mal der dänische Riesling werden“, so Betina.
Für den Wein waren die Geschwister eigens nach Rosnaes gezogen. Kein Wunder, hier herrschen ideale Bedingungen. Da wäre der Boden. Sand, Lehm, und Kalk. Ähnlich wie bei der Champagne in Frankreich, findet Betina. Da wäre das milde Mikroklima. Das Meer scheint immer zum Greifen nah, zwischen den Weinstöcken glitzert die Ostsee. So herrschen auch im Sommer gemäßigte Temperaturen, meist bis maximal 25 Grad. Brüllende Hitze, wie sie bereits in weiten Teilen Deutschlands immer öfter auftritt, ist hier noch kein Thema. Umgekehrt hält die stets nahe Ostsee General Winter in Schach, Frost kommt nur äußerst selten vor. Fast immer weht eine leichte Brise, „sie bläst das Ungeziefer von den Blättern“, erklärt der Betina lachend. Natürliche Schädlingsbekämpfung.
Schafe helfen
Über den Wind freuen sich auch Lise und Povl Barfod. So wie über den gelegentlich auftretenden Seenebel. Der verleihe dem Wein eine leichte Salznote, meint Lise. Irgendwann hatten die ehemaligen Architekten aus Kopenhagen genug von dem beruflichen Stress. 2015 pflanzte das Ehepaar ihre ersten Weinstöcke auf Ihrem Gut „Barfod Vin“. Auf vier Hektar bauen sie Souvergnet Gris, Cabernet Cantor, und, natürlich, Solaris, an. Der Ausstoß: 10.000 bis 12.000 Flaschen pro Jahr. Inzwischen ist das Weingut bio-zertifiziert und entspricht sogar den strengen Demeter-Richtlinien. 45 Schafe helfen dabei. Ihre Exkremente, gemischt mit Wolle, sorgen für den notwendigen Dung. Die Wolle, erklärt Lise Barfod, sei leider für Kleidung ungeeignet. So wird sie eben anderweitig eingesetzt. „Wir verwerten alles“, sagt sie.
Roesnaes. Geografisch ungefähr der Mittelpunkt von Dänemark. Und doch eine nach wie vor eher unbekannte Region. Dabei liegt sie gerade einmal gut 100 Kilometer westlich von Kopenhagen, eine knappe Auto-Stunde entfernt. Die äußerste Spitze der Halbinsel wurde in den „Naturkanon“ des Landes aufgenommen, als eine der landschaftlich schönsten Orte Dänemarks. Kleine Wäldchen mit windgebeugten Bäumen säumen die Steilküste mit ihren einsamen Kiesstränden. Ein Wanderweg führt entlang der Küste bis zum weißen Leuchtturm an der Spitze der Landzunge. Das Gebäude aus dem Jahr 1846 hat schon einiges erlebt. Deutsche Besetzung im zweiten Weltkrieg, danach blieb das Areal um den Turm lange Zeit militärisches Sperrgebiet. Damit war erst nach dem Ende des kalten Krieges Schluss. „Eine touristisch immer noch eher unbekannte Region“, sagt Martin Hansen, PR-Verantwortlicher der „Destination Sjealland“. Er will die Gegend bekannter machen, hofft für die Zukunft auf mehr Besucher.
Der Blick schweift über das leicht hügelige Land
Die Reben könnten helfen. Eine Kreuzfahrt-Touristin habe die Reise nur wegen des Weins angetreten, versichert Betina Newberry. Seit 1797 existiert ihr Gut „Dyrehoj“. Die ältesten Gebäude sind gut 100 Jahre alt. Hier befindet sich auch das stilvoll eingerichtete Besucherzentrum. Neben einem großen Shop gibt es auch einen geräumigen Saal, in dem sie Verkostungen anbietet.
Die sind auch bei den anderen Weingütern möglich. Eine ganz besondere Location bietet Carl Trock seinen Besuchern: der romantische „Weinturm“, mit einer eher übersichtlichen Höhe. Der einstigen Wasserturm wirkt schon wegen seiner runden Form und den Zinnen wie der gedrungene Wehrturm einer mittelalterlichen Burg. Drinnen stehen Regale voller guter Tropfen. Draußen dienen Weinfässer als Tische. Der Blick schweift über das leicht hügelige Land mit grünen Wiesen und gedrungenen Bäumen und Büschen bis zum Meer. Weinprobe inklusive Gratis-Idyll. Kein Wunder, dass die Verkostungen sich reger Nachfrage erfreuen. Besonders anlässlich Geburtstagsfeiern oder Hochzeiten.
Der Winzer nimmt eine Flasche aus dem Regal und öffnet sie. „Yellow Yearling“, benannt nach einem seiner Pferde, steht auf dem Etikett. 100 Prozent Solaris, feine Noten von Holunder und Zitrusfrucht machen sich bemerkbar. Ein idealer Sommerwein. Garantiert Pferdeapfel-frei.
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Fotos: Fritz-Hermann Köser