So auch in den Städten Ruvo di Puglia und Corato, wo man die wundertätigen Heiligen Rochus von Montpellier und Cataldus von Taranto ehrt. Noch vor ihnen verbeugt man sich aber am 15. August, dem „Ferragosto“ und feiert ausgelassen und am besten mit der ganzen Familie. Denn der Ferragosto ist der wohl älteste Feiertag Italiens, geht auf das Jahr 18 v. Chr. und bezeichnete einst die „Ferie Augusti“, die freien Tage des Kaisers Augustus. Drei Tage dauerten einst die Festivitäten, die damals wohl um den 1. August herum stattfanden.
Dann aber kam die katholische Kirche und manövrierte diesen wichtigsten Tag des Jahres, der sogar noch ältere Vorläufer in Form der Consualia hatte, auf den 15. August. Und dies war und ist traditionell nicht nur der heißeste Tag des Jahres, sondern auch das Fest Mariä Himmelfahrt. Und natürlich verdrängte die Gottesmutter mühelos nicht nur den vergöttlichten Augustus, auch sein altrömischer Festtagsvorgängergott Consus, dem vor Augustus für das saisonale Ende der Arbeit in der Landwirtschaft gedankt wurde, hatte keine Chance.
Doch nicht ganz: Bis heute werden an Ferragosto in vielen Teilen Italiens landwirtschaftliche Nutztiere wie Stiere, Kühe, Schafe oder Pferde geschmückt und auf Umzügen gezeigt. Und viele weitere Rituale blieben. Neben der katholischen Kirche machte sich dann noch einer erfolgreich am „Ferragosto“ zu schaffen: Mussolini: Der theatralische Duce erklärt „Ferragosto“ zum Reisetag aller Italiener – und läutete so den allgemeinen Urlaub in Italien ein. Denn an Ferragosto fuhren von 1931bis 1939 alle Züge nur 3. Klasse. Die Tickets waren somit für jedermann erschwinglich und sorgten für proppenvolle Abteile. Geblieben ist von dieser Massenmaßnahme heute vor allem der Ferragosto als Synonym für Urlaubstag in der Familie. Für manche steht Ferragosto sogar für den jährlichen Urlaub an sich.
Eines ist klar: an Ferragosto darf man nicht hoffen, dass irgendwelche Geschäfte oder gar Banken geöffnet haben. Dafür öffnen viele Restaurants, in denen man aber unbedingt reservieren sollte. Traditionell wurde früher zu Ferragosto wie im Schlaraffenland gebratene Taube serviert (in der Toskana noch heute), in Apulien hingegen war es gefülltes Huhn. Heute bieten die Stände der Kirmesbuden sowie die zig Restaurants einfach jede Leckerei. So auch in der 49 000-Einwohner-Stadt Corato ca. 45 km nördlich von Bari, wo man mit Mussolinis Ferragosto traditionell aber wenig im Sinn hat. Hier feiert man Mariä Himmelfahrt, idealerweise gleich eine ganze Woche. Im Jahr 2021 geschah dies vom 13. bis 21. August.
Dazu wurde nicht nur die gesamte Altstadt geschmückt und der Himmelfahrt der Gottesmutter mit Messen und Umzügen gedacht. In Corato greift man traditionell zu einer ganz besonderen Illumination: den „barche di Santa Maria“. Diese prächtigen „Boote der heiligen Maria/Jungfrau Maria“ sind indes aus Pappmaché, werden nachts von innen beleuchtet und quer über die Straßen aufgehängt. 2021 war dies in den Gassen zwischen Via Roma und Piazza Sedile in der Altstadt der Fall. Allerdings konnte man 2021 wohl Corona bedingt nur sechs Boote entdecken. 2019 waren es noch 14 Boote, davor Dutzende mehr.
Niemand weiß indes genau, woher diese örtliche Tradition stammt. Denn Corato liegt nicht direkt am Meer, und die meisten Boote sind klar als Segelboote oder Dreimaster erkennbar. Nun, auch am alten Fischmarkt, der heutigen Piazza Di Vagno, weiß man diesbezüglich in der schönen Open-air-Bar mit Ristorante „Storyteller“ nichts Genaues. Dafür gibt es leckere apulische Gerichte und wunderbare Weine und eisgekühlte Biere wie das mit Salz versetzte „Messina“. Dafür pulsiert auf dem Platz das junge Leben. An einer erhaltenen Wand des einstigen Palazzo Ducale, der 1922 passend zur Mussolini-Machtergreifung einstürzte und dann abgerissen wurde, entdecken wir ein riesiges Wandbild. Es zeigt einen gewissen „Giuseppe Di Vagno“, 2015 vom Künstler Luis Gomez de Teran (1980 geboren) geschaffen. Und Giuseppe Di Vagno (12.4.1889 – 26.9.1921) ist nicht irgendjemand in Apulien. Er war ein Rechtsanwalt, Politiker, Mitglied der Sozialistischen Partei Italiens (Partito Socialista Italiano) und setzte sich für die Belange der armen Leute in Apulien ein.
Zudem war er das erste italienische Parlamentsmitglied, das Opfer des italienischen Faschismus wurde: Er wurde ermordet. Am 25. September 1921 wurde er in Mola di Bari mit Pistolenschüssen attackiert und verstarb einen Tag später. Seine schwarze Kleidung auf dem Wandbild symbolisiert den Faschismus, die schwarzen Pfeile evozieren die Pistolenschüsse.
Ganz anders präsentiert sich Corato dann am Largo Plebiscito. Denn den Feierlichkeiten zu Ferragosto schließen sich in Corato umgehend die Festivitäten zu Ehren des Stadtpatrons San Cataldo an. 2021 war dies vom 21. August bis zum 23. August. Der Largo Plebiscito (Platz der Volksabstimmung) ist ein besonderer Ort, denn hier steht das Rathaus, auch Palazzo San Cataldo genannt. Vor dem Rathaus steht indes zum Patronatsfest die sog. „Macchina di San Cataldo“. Diese „Maschine des hl. Cataldus“ ist indes keine solche. Sie zeigt allein die mächtige, im 18. Jh. vom Bildhauer Nicolantonio Brudaglio aus der nahen Stadt Andria im18. Jh. geschaffene, 2012 restaurierte Statue des hl. Cataldus von Taranto. Um ihn gruppieren sich Figuren von Rindern, Schafen und Hirten sowie eine besondere überdimensionale Illumination, die an den Vorgängerbau an diese Stelle erinnern soll. Denn die sogenannte „Macchina di San Cataldo“ ist die Rekonstruktion jenes von 1506 bis 1809 existierenden katholischen Konvents mit Cataldus-Kirche, wo dann ab 1866 das Rathaus (Palazzo Comunale) errichtet wurde.
Eigentlich wundert man sich, wie der hl. Cataldus überhaupt hierher nach Corato gelangt ist. Denn er war ein irischer Mönch (ca. 610/620 – 8. März 685 n. Chr.), der eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternahm und dann Bischof von Taranto in Süd-Apulien wurde. Doch 1483 erschien er einem Bauern aus Corato während eines heftigen Pestausbruchs. Und half! Einmal Nothelfer, immer Nothelfer: Seit 1681 ist der hl. Cataldus daher nun offizieller Beschützer und Patronatsheiliger der Stadt Corato.
Fotos: Ellen Spielmann