Der hl. Rochus von Montpellier lebte laut französischen und italienischen Quellen ca. 1345/50 – 16. August 1376/79, laut deutscher Expertise ca. 1295 – 1379, laut englischer indes nur ca. 1295 – 1327.Dann kam das Jahr 1502 und die Pest bedrohte Ruvo di Puglia. Wundersamer Weise erschien der hl. Rochus als Pilger mit Hund in der Stadt, ermahnte die Bewohner zu bleiben und verbannte die Pest. Logisch daher, dass die glücklichen Menschen schon 1503 ihm zu Ehren die Kirche des hl. Rochus (chiesa di San Rocco) in Ruvo di Puglia bauten. 1576 wurde die Bruderschaft (Confraternitá) des hl. Rochus in Ruvo di Puglia gegründet, die bis auf den heutigen Tag existiert. Seither findet hier jährlich in der Stadt das Patronatsfest für diesen Nothelfer statt.
Tatsächlich mussten die Festivitäten indes aufgrund Corona im Jahr 2021 ein wenig „gestutzt“ werden. So entfiel die sonst übliche abendliche Stadtprozession samt hölzerner Statue des hl. Rochus (italienisch: San Rocco), die Antonio Brudaglio aus der Stadt Andria 1703 fertigte. Dafür wurde sie für das Jahresfest in der Kirche San Rocco festlich geschmückt. Auch der silberne San Rocco durfte nicht „ausrücken“ – allerdings aus anderen, eher pekuniären Sicherheitsgründen. Diese kostbare Statue wird in Ruvo di Puglia nur zum Rochusfest gezeigt, und zwar in der Kathedrale. Sie wurde 1793 vom Silberschmied Biagio Giordano nach Plänen von Giuseppe Sanmartino (1720 – 1793) geschaffen.
Biagos Bezahlung betrug satte 2492,52 Dukaten – ein Vermögen. Schön, dass die Bruderschaft des Hl. Rochus aus Ruvo sie damals erwarb. Schließlich gibt es noch eine definitiv stationäre San Rocco-Statue: Sie dominiert die Fassade der Kirche San Rocco, ist aus Tuffstein und daher ob ihres betagten Alters schon ein wenig von der Zeit angenagt. Entfallen musste 2021 Corona bedingt auch der sonst traditionell nach der Abendmesse stattfindende Nachtmarkt. Aber das tat dem Gelingen des großen Ganzen in keiner Weise einen Abbruch. Denn man hatte vorgesorgt: Erstens wurde die Zahl der Gläubigen bei der Messe in San Rocco verringert, in dem man einfach viel mehr Messen anbot und schon am Abend zuvor, also an Ferragosto, damit startete. Zweitens engagierte man eine Band, und keine x-beliebige…
Es spielte dann den ganzen Tag über die kleine Blasmusikkapelle „U`Friskett“ in den Straßen von Ruvo auf, um so das Patronatsfest des hl. Rochus lautstark anzukündigen. Die Blasmusikkapelle „U`Friskett“ ist aus Carbonara di Bari, einem Stadtviertel von Bari, das 5 km vom Stadtzentrum entfernt liegt. Sie wurde schon 1954 gegründet und erwarb sich spätestens 2004 ihre Meriten, als sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Koordinator der Band ist Francesco Guerra, der die Truppe auch um 11 Uhr morgens, also noch nicht ganz High Noon, zur Ankunft des Bischofs von Molfetta aufspielen ließ. Und während der freundliche ältere Herr allseits grüßend in die Kirche einzog und von der Menge freudig begrüßt wurde, tauchte auch ein anderer, weitaus kleinerer, korpulenter Herr auf, der allerdings manchmal auf besonderen Wunsch mit der Kapelle auftritt: „Piripicchio“!
Piripicchio, das ist erst einmal der Künstler Vito Guerra, der gerade 77 Jahre alt wurde. Und Vito Guerra stellt Piripicchio auch nur dar! Denn Piripicchio ist ein Kunstname: Der beschreibt einen Menschen, der sich gern ins Zentrum der Aufmerksamkeit begibt. Geschaffen wurde diese Comedia dell`Arte-Figur vom legendären Schauspieler, Komiker und Straßenkünstler Michele Genovese (geboren am 5. Juli 1907 in Barletta – gestorben am 1. August 1980 in Bitonto). Er wurde berühmt als „Charlie Chaplin Apuliens“, seine Lebensgeschichte 2012 sogar verfilmt. Er war zudem einer der Hauptprotagonisten des italienischen Theatergenres Avanspettascolo („vor der Show“), das zwischen den 1930er und 1950er Jahren geschaffen wurde und auch andere Superstars wie den einzigartigen Totò, bürgerlich Antonio Griffo Focas Flavio Angelo Ducas Comneno De Curtis di Bisanzio aus Neapel, hervorbrachte.
Nun, Piripicchio alias Vito Guerra, war perfekt ausgestattet wie sein Vorbild: mit Bowler-Hut, italienisch „Bombetta“ (Bömbchen) genannt und ständig in Bewegung befindlichem Bambusstöckchen. Nur gegen Abend taucht er dann nicht mehr auf. Dafür spielte eine zweite Band, als es nach der Abendmesse zu Ehren des Heiligen an das eigentliche Spektakel ging: die Segnung der Hunde. Dutzende Hundeliebhaber hatten ihre Tiere vor dem Kirchenportal versammelt, um den Segen des Pfarrers samt Weihwassertropfen zu erhaschen. Anschließend verteilte die Bruderschaft des hl. Rochus gegen eine kleine Spende auch eine Novität: die Sankt-Rochus-Medaille, stilecht an einem Bändchen in den Farben der italienischen Trikolore befestigt! Die wollte ein jeder. Und so kam es zum Fazit: Keine Frage, das Fest war ebenso wie die Segnung der Hunde gelungen. Klar, es hätten einige Hundebesitzer mehr samt Vierbeinern erscheinen können. Aber es war ja nun gerade erst Ferragosto – und da sind ja sowieso alle in Italien vorwiegend mit einem beschäftigt – mit Urlaub.
Fotos: Ellen Spielmann