Zum Glück kein Piranha, sondern nur eine Forelle. Und die liegt bereits leblos auf einem Teller, neben ein paar Orangenscheiben. Ein kleiner Gag für die Gäste seines Lokals. „La Liscia de Mr. Ori“ nennt sich das beliebte Lokal in Fano, in der italienischen Region Marken; der Inhaber nennt sich, kurz und knapp, Ori. Das Interieur ist einfach, wie so oft in Italien, der lebhafte Patron blendend gelaunt. So wie seine Gäste, die sich Fisch und Meeresfrüchte munden lassen. Fangfrisch – die Adria ist nur gut 500 Meter entfernt.
Wie so oft in Italien setzt man auch hier auf Schlichtheit. Auffallend hell gibt sich der Raum, der ob seiner Größe fast an einen kleinen Saal erinnert. Weiße Wände, weiße Möbel, das Auge verwöhnen vor allem die kunstvoll angerichteten Platten mit dem Meeresgetier. Selbiges macht sogar vor dem Brot nicht halt. Pechschwarz, noch schwärzer als Schwarzbrot kommt es daher. Dank Sepia, der Farbe vom Tintenfisch. Sie sorgt, anders als das sehr milde Fleisch, für ein recht intensives Meeresaroma. Die Tentakel des Oktopus werden alsbald mit hausgemachtem Kartoffelbrei serviert, das Püree wurde mit Salbei verfeinert. Vorher wurde das Tier mit dem eher milden, leicht süßlichen Aroma mit Ingwer, Sellerie und Karotten gar zu einem Salat verarbeitet, „Insalata di Seppia con sedano, carote lime e zenzero“, also mit Sellerie, Ingwer, Karotten und Zitronensaft. Das sehr feste, fast ein wenig zähe Fleisch macht es möglich. Eine wirklich gelungene Antipasto, so wie die andere Vorspeise, hier Sardinen mit Ananas und Zwiebeln.
Aus den eher flachen Küstengewässern des Mittelmeers stammen die Canocchie, wie die blass-grauen Heuschreckenkrebse genannt werden. Geschmacklich erinnert das eher zarte Fleisch entfernt an Hummer. Für den Genießer ein pflegeleichtes Tier, das Fleisch des Schwanzteils lässt sich, dank schwacher Außenpanzerung, leicht auslösen. Ältere dürften sich bald wie in „Octopus Garden“ fühlen. Dieser Beatles-Song wäre eine ideale Hymne für das Lokal, das sich nach und nach bis auf den letzten Platz füllt, doch aus den Boxen dröhnt Suzi Quatro. Mindestens ebenso erfrischend.
Zum Essen, vielleicht auch zur Musik, passt ein leichter Weißwein, hier strikt aus Region. Ori, wie der Inhaber gerne genannt werden möchte, kredenzt einen Bianchello del Metauro Doc vom Weingut Terre di Giove aus Fano, leicht trocken, frisch und mild zugleich. Eigentlicher Höhepunkt sind Gitarine, wie die dünnen Nudeln auch genannt werden, denen Venus- und Miesmuscheln ihr intensives Aroma verleihen. Hinzu kommt eine gewisse Schärfe. Hier hat Francesca Paradisi ganze Arbeit geleistet. Die Partnerin des Inhabers ackert unermüdlich in der Küche.
Für ein Dessert ist kaum noch Platz. Auch die Blumen, die die üblichen Verdächtigen aus Südasien verteilen wollen, finden eher wenig Abnehmer. Dann lieber ein Café Coretto, die für Fano typische Kaffeespezialität mit Brandy, Rum und Anis. Ori, der wegen seiner Zeit im Ruhrpott recht gut deutsch spricht, klopft einem zufriedenen Gast ebenso zufrieden auf die Schulter. „Ich sehe einen großen Bauch“, scherzt er. Ihm ist lieber, wenn die Gäste ihn persönlich statt der Speisekarte konsultieren. Nur zu gerne empfiehlt er, was gerade frisch eingetroffen ist, erklärt er. Dann breitet er die Arme aus und macht ein entsetztes Gesicht. Liegt wohl an den Gästen, die sich unermüdlich samt Meeresfrüchten mit Handy und Kameras verewigen. „Wie die Chinesen“, ruft er aus. Und schickt ein lautes Lachen hinterher.
Fotos: Fritz Hermann Köser