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Zukunft mit Piwis

Deutschland nimmt bei der Züchtung innovativer Rebsorten, die international noch wenig bekannt sind, eine führende Rolle ein. Der Anbau dieser Sorten ermöglicht einen umweltfreundlicheren Weinbau mit bis zu 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmitteln und einem geringeren CO2-Fußabdruck. Da diese Rebsorten weitgehend resistent gegen Pilzkrankheitenen sind, werden sie auch „Piwis“ genannt. 

Sie sind durch die Kreuzung von resistenten Wildreben mit einheimischen Rebsorten entstanden und erzeugen inzwischen Weine und Sekte von ebenso hoher Qualität wie traditionelle Rebsorten. „Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels bieten PIWIs eine vielversprechende Zukunftsperspektive für den Weinbau“, betont Bernd Kern, Geschäftsführer von Rheinhessenwein e.V.

„Für mich ist es immer wieder spannend zu sehen, dass die klassischen Rebsorten im Gegensatz zu den Piwis regelmäßig vom Pilzbefall betroffen sind“, sagt Rebenzüchter Dr. Rudolf Eibach. Seinem wissenschaftlichen Wirken ist es zu verdanken, dass die pilzresistente Rebsorte ‘Regent‘ in den 1990er Jahren für den Qualitätsweinanbau anerkannt wurde und längst einen der vorderen Plätze der meistangebauten Rotweinsorten in Deutschland einnimmt. Der ehemalige Mitarbeiter des JKI-Fachinstituts für Rebenzüchtung forscht immer noch in seinem eigenen Weinfeld mit rund 150 verschiedenen Rebsorten. 

Rebfläche von Dr. Rudolf Eibach. Foto: Carola Faber
Rebfläche von Dr. Rudolf Eibach. Foto: Carola Faber

Im Einklang mit der Natur 

Auf dem Gustavshof werden auf 40 Prozent der Anbauflächen Piwis kultiviert. Das Demeter-Weingut, das mittlerweile in der vierten Generation von Andreas und Friederike Roll geführt wird, verfolgt die Philosophie, reine Terroir-Weine und Naturprodukte mit höchstem Ausdruck und Eleganz zu erzeugen. Seit 2004 widmet sich der Hof dem biologischen Weinbau, und 2012 erfolgte die Umstellung auf biodynamischen Anbau. Ein Auszug aus dem Sortiment illustriert eindrucksvoll die enorme Vielfalt des Weinguts mit zahlreichen ungeschwefelten und histamingeprüften Produkten.

Im unfiltrierten Crush NAT bereichert neben Johanniter der Sauvitage die aromatische Vielfalt dieses jungen und lebendigen Naturweins. Sein feines, komplexes Aroma umfasst Aprikose und Birne, ergänzt durch exotische Frische. Fruchtnoten im Stil eines Sauvignon Blanc verschmelzen mit einer milden, harmonischen Säure. Am Gaumen zeigt er sich mineralisch und elegant mit langem Abgang. Der reinsortige Johanniter „Sinnvoll Weisswein“ gehört zum Zukunftskonzept „Mehr Menschen, reine Natur, weniger Maschinen“. In der Nase zeigt er süße Fruchtnoten von Birne, Melone, Mango und Banane. Angenehm wirkt die milde Säure und ein langer mit filigranen Fruchtnoten.

Der Bright Cabernet Cortis kombiniert die feine Frucht roter Trauben mit der Frische und Eleganz von Weißwein und Rosé. In der Nase entfalten sich Aromen von Erdbeeren, schwarzen Johannisbeeren und ein Hauch Paprika. Am Gaumen ist der Wein hervorragend ausbalanciert, mit saftiger Textur, vitalisierender Säure und einem finessenreichen Körper. Purist heißt der maximal natürliche Cabernet-Rotwein aus den besten Trauben. Würzig und schokoladig in der Nase, mit moderaten vegetabilen Cabernet-Nuancen. Am Gaumen zeigt er seine reife zupackende Tanninstruktur, ohne kantig zu werden.

Winzer Andreas Roll vom Gustavshof. Foto: Carola Faber
Winzer Andreas Roll vom Gustavshof. Foto: Carola Faber

Das Sortiment des Gustavshofs umfasst auch alkoholfreie Varianten. Der prickelnde PET-NAT Rosé, ein alkoholfreier Holunder Secco duftet nach Holunderblüten und hat eine feine Perlage wie Sekt. Der naturbelassene Holunder wird handgepflückt und frisch verarbeitet. Die St. Laurent Trauben wachsen am Kloppberg, dem höchsten Berg der Region. ZeroZero ist ein charaktervolles, belebendes Genussgetränk und eine natürliche, feinherbe Alternative zu alkoholfreiem Wein – nicht zu süß und intensiv. 

Verjus, ein seit dem Mittelalter bekannter Saft, wird heute in der gehobenen Küche als edle Alternative zu Essig und Zitronensaft geschätzt. Der feine Verjus wird aus dem Saft selektiv geernteter, biodynamischer grüner Trauben gewonnen. Dabei ist es wichtig, dass möglichst viele Inhaltsstoffe der Beeren in den Saft gelangen und der Zuckergehalt so gering wie möglich bleibt.

Eine weitere Delikatesse ist der Aceto Balsamico, ein veganer Balsamessig, der durch seine feine Säurestruktur und harmonische Süße besticht. Zudem ist er der erste traditionell auf einem Demeterhof in Deutschland erzeugte Aceto Balsamico.

Rarität 

Vor rund 25 Jahren erwarben Andreas Schnürr und Alexandra Damm als Quereinsteiger das Traditionsweingut Wohlgemuth und verwirklichten ihren Traum eines modernen Weinguts. Unkonventionell, innovativ, individuell und nachhaltig – so lautet ihr Motto. Die Pioniere wurden von FairChoice mit dem Label „nachhaltiges Weingut“ ausgezeichnet und erhielten den Ehrenpreis der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz für die hohe Qualität ihrer Weine. Zudem gewannen sie mehrere Gold- und Silbermedaillen beim Piwi-Wine-International. „Auf rund 60 Prozent der Rebflächen bauen wir neue, pilzwiderstandsfähige Sorten an, und es werden noch mehr. Natürlich bleiben wir dem Riesling und den Burgundersorten treu“, erklärt Winzerin Alexandra Damm vom Weingut Wohlgemuth-Schnürr.

Quereinsteiger Andreas Schnürr. Foto: Carola Faber
Quereinsteiger Andreas Schnürr. Foto: Carola Faber

Kreativität und Nachhaltigkeit stehen auch im Keller im Mittelpunkt. So begeistert ein Muscaris Feingeist mit seiner Aromen-Explosion aus typischen Muskateller-Düften wie Zitrone, Litschi, Rose und Holunder. Am Gaumen zeigt er sich verspielt, saftig und mit einer pfeffrigen, kühlen Würze. Der Calardis Blanc verführt mit fruchtigen, blumigen und feinwürzigen Noten von Maracuja, Mango, Apfel und Birne. 

Der Sauvignac beeindruckt mit intensiven Aromen reifer, gelber Früchte wie Aprikose und Pfirsich sowie einem Hauch grüner Paprika. Seine anregende, frische Säure wird von einem angenehmen Schmelz umhüllt. Ein Souvignier Gris, der nach mehrtägiger Maischestandzeit ein Jahr in gebrauchten Barriques gereift ist, präsentiert sich als komplexer, vielschichtiger Wein mit reifen gelben Früchten, Orangen- und Kräuternoten. Ein klassischer, eleganter Chardonnay, der im Eichenfass reifte, ergänzt das Sortiment. Ebenso bemerkenswert ist „1001 Hills and a Cask“ – ein in kleiner Auflage produzierter Cabertin, der 24 Monate in einem gebrauchten Whiskyfass lag und mit seiner Weichheit und Ausdrucksstärke begeistert.

Energiegeladen

In dem sehr gut sortierten Winzerkeller Ingelheim beeindruckt nicht nur die Auswahl der Piwis, sondern auch die Qualität. Eindrucksvoll ist auch die Bandbreite, die zwischen einem 2023 Sauvignac vom Weingut Bastianshauser Hof bis zur 2018 Muscaris Beerenauslese vom Weingut Abthof variiert und somit das enorme Potenzial der ortsansässigen Winzer zeigt.

Eva Vollmer. Foto: Carola Faber
Eva Vollmer. Foto: Carola Faber

Ein Besuch bei Eva Vollmer lohnt sich ebenfalls. Sie gründete 2007 ihr Bioweingut auf dem Bauernhof ihrer Eltern, die zuvor Ackerbau betrieben und Genossenschaftswein produziert hatten. Nach ihrer Ausbildung zur Weinküferin und dem Önologiestudium in Geisenheim promovierte Eva Vollmer im Weinbau. 2021 rief sie zusammen mit der rheinhessischen Winzerin Hanneke Schönhals die Initiative „Zukunftsweine“ ins Leben, um den Anbau und die Vermarktung von Piwi-Rebsorten zu fördern. 

Mittlerweile umfasst die Initiative 66 Weingüter aus Deutschland, Österreich und Luxemburg. Eine Verkostung der Zukunftsweine beeindruckt, besonders die von Eva Vollmer: Ob ein Souvignier Gris Zero Dosage, Wendehammer oder der Vergleich eines Souvignier Gris 2022 mit dem Jahrgang 2023 – die Piwi-Weine zeigen eine charakterstarke Handschrift. 


Fotos: Carola Faber

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