Es gibt ihn. Den Wald mit Rehen, Hirschen, Füchsen und Eichhörnchen. Überall in unseren Gefilden. Und es gibt den Wald, in dem sie leben. Schimpansen. Die trockenen Savannen und eben tropischen Wälder in Tansania, Nigeria, im Kongo, im Senegal und in Uganda mit Bäumen, die an den Wolken zu kratzen scheinen. Dicht, verschlungen, schützend, nährend und doch insgesamt mit so wenig Fläche, dass man längst um ihren Fortbestand kämpfen muss. Um sie, die uns so nahe und so ähnlich sind, wie es sonst keine andere Spezies auf der Welt ist. Zu 98,5 Prozent tragen Schimpansen das gleiche Erbgut in sich, wie wir. Nicht zuletzt diese Tatsache ist es, die einen Besuch bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, im Kibale-Forest-Nationalpark im Westen Ugandas zu einem solch besonderen Ereignis werden lässt.
Artenreichtum im Schutzgebiet
Bereits in den frühen Morgenstunden kann man es fühlen. Ein energetisches Flirren. Euphorie. Aufregung. Vorfreude. Die Luft im nie stillen Regenwald, in dessen sattgrünen Armen die Primate Lodge liegt, ist noch frisch. Trägt aber bereits jetzt schon das Versprechen eines warmen, schwülen Tages in sich. Vögel zwitschern in den Bäumen. Hier und da hört man das Rufen eines Affen – und wenn man Glück hat, sieht man sogar den dazugehörigen Vertreter. Neben den Schimpansen, die heute auf unserem Plan stehen, beheimatet der 776 km² große Nationalpark 14 weitere Primatenarten, darunter auch vier nachtaktive, und 60 Säugetierarten wie Waldelefanten, Kaffernbüffel und Pinselohrschweine.

Zu Fuß geht es von der Lodge etwa 250 Meter zum Sammelpunkt, an dem wir unseren Guide Gordon Akampurira treffen, der uns kurz erklärt, was der Tag für uns bereithält. „Es kann sein, dass wir mehr als eine Stunde unterwegs sein werden, bis wir auf die Kaniantale Community stoßen.“ Der Name, der Schimpansen-Familie, die wir heute suchen, bedeutet „Löwe“. „Weil es eine sehr starke Gruppe ist“, erklärt Gordon und spricht von über 100 Tieren, die in dieser Familie geboren wurden und sich in einem Radius von 25 bis 30 Quadratkilometern bewegen. Er mahnt uns, leise zu sein und Abstand zu halten, sobald wir auf die Tiere stoßen. „Sollten sie jedoch von sich aus näher kommen oder euch berühren, ist das ok. Dann bleibt einfach still stehen und genießt den Moment“, meint er verschmitzt.
Im Tunnel des Moments
Dann tauchen wir ins satte Grün ein. Bekleidet mit langen Ärmeln und Hosen, über die wir Socken gestülpt haben. Zum Schutz vor Ästen, Dornen, aber vor allem auch vor Waldameisen, die in wuselnden Kolonnen den Weg kreuzen. „Sie sind zwar nicht giftig, aber einen Biss von ihnen, vergisst man nicht so leicht“, verspricht der junge Guide, der bereits seit sechs Jahren Besuchern seine Lieblingstiere, wie er sagt, näher bringt. „Ich liebe es, Schimpansen zu beobachten. Ihr soziales Verhalten ist unglaublich beeindruckend. Wie sie sich unterhalten und umeinander kümmern. Ihr werdet es selbst sehen.“ Und das früher als gedacht.
Denn nach gerade einmal zehn Minuten Fußmarsch entdecken wir die ersten Schimpansen in 40 Meter Höhe im wirren Geäst eines Feigenbaums. Schmatzend überblicken sie den Wald. Elegant strecken sie die Arme aus, schwingen sich von Ast zu Ast, sodass sich die Baumkronen sanft unter ihren Bewegungen wiegen. Entspannt pflücken sie Feige um Feige und schlagen sich die Bäuche voll. Welch ein Affenleben. Und wir stehen unten. Warten. Sind schon fast ein wenig enttäuscht, denn mit dem ersten Blickkontakt läuft die Uhr. Eine Stunde dürfen wir mit den Tieren verbringen.

Doch dann ruft Gordon und es geht mitten ins Dickicht. Äste knacken unter unseren Füßen, Blätter streifen unsere Gesichter und plötzlich sind sie ganz nah. Ein Jungtier rennt zwischen uns hindurch. Das Alphamännchen der Kaniantales, Mr. Black wie uns Gordon verrät, sitzt ruhig vor uns und schaut uns an. Plötzlich dreht es sich um und scheint uns einzuladen, ihm zu folgen. Von diesem Moment an geht es Schlag auf Schlag. Sobald sie in Bewegung kommen, laufen wir hinterher. Gordon behält sie im Blick.
Schnell, wendig und sicher sucht er sich seinen Weg durch das dicke Gestrüpp. Wir hinterher. Bei weitem nicht so geschickt, aber gewillt, nicht den Anschluss zu verpassen. Denn im dichten Grün aus Blättern, Schlingpflanzen, Büschen und Baumen verlieren wir rasch die Sicht auf den Vordermann. Parallel zu uns huschen schwarze Schatten im rasanten Knöchelgang zu Boden oder von Liane zu Liane durch die Luft. Es ist laut, sie kommunizieren miteinander, von allen Seiten hören wir ihr Rufen. Und wie im Rausch verschwindet um uns herum die Welt. Wir sind im Tunnel des Erlebnisses eingeschlossen und euphorisiert. Dass wir den Tieren so nah kommen würden, hätten wir nicht gedacht. Sie sind überall. Rechts, links, vor, hinter und auch mal über uns. Mal ruhig, mal wild. Das eine Mal scheinen sie uns unterhalten zu wollen, dann wieder beschäftigen sie sich ganz mit sich und machen den Anschein, uns vergessen zu haben. Schnell ist klar: Gordon behält recht. Egal in welchem Moment, es ist beeindruckend, sie zu beobachten.

Hochintelligenten Allesfresser
Fundamental. Das Wissen, das wir heute über Schimpansen haben, verdanken wir nicht zuletzt einer Frau. Der britischen Verhaltensforscherin und Tierschützerin Dame Jane Goodall, die sich 1960 in den von Menschenhand kaum berührten Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania aufmachte, um das Verhalten von Schimpansen zu beobachten. Sie – eine junge, hübsche Lady – war es, die unser Wissen über diese Spezies der Menschenaffen revolutionierte. Denn sie entdeckte, dass Schimpansen, wie wir Menschen, in Familien leben. In komplizierten sozialen Verbänden, die geprägt von Verwandtschaft, Zu- und Abneigung, Auseinandersetzung und Versöhnung sind. Dass sie kichern, lachen, sicher verstellen, Krieg führen und vor Trauer sterben können. Dass sie Empathie, Wut und Verzweiflung empfinden und selbstlos sein können. Dass sie Fähigkeiten haben, die nicht nur von einer großen Intelligenz zeugen, sondern auch davon, dass Jungtiere ihr Wissen von den älteren Generationen übermittelt bekommen. Schimpansen bauen aus Steinen, Wurzeln und Ästen bis zu 30 verschiedene Werkzeuge, mit denen sie beispielsweise Nüsse knacken oder Ameisen aus ihren Hügeln „gabeln“.
Die hochintelligenten Allesfresser leben hauptsächlich von unterschiedlichen Früchten, Samen, Blättern, Rinden, Honig, Blumen und Insekten. Allerdings, wenn es ihnen nach einer größeren Eiweißquelle bedarf, gehen sie auch auf die Jagd nach kleineren Primatenarten. Dabei sind sie große Strategen, die ihre Beute klug umzingeln und in einer Treibjagd erlegen. Was erbeutet wurde, wird ausschließlich mit den eigenen Verwandten geteilt und in strickt festgelegten Hierarchien. Die Männchen geben hierbei klar den Ton an. Sie werden größer und deutlich massiger als die Weibchen. Stehend erreichen ausgewachsene Schimpansen eine Größe von ca. 1,20 Meter und erlangen, je nach Geschlecht, maximal 50 bis 70 Kilo. In freien Schutzgebieten, wie dem Kibale-Forest-Nationalpark, können sie dabei bis zu 40 Jahre alt werden; in Gefangenschaft sogar bis zu 60 Jahren.

Schnell vergeht die Zeit in der üppig grünen Heimat, in der wir die Schimpansen begleiten dürfen. Der Tropenwald – ein riesiger, lebender Organismus – der sich vehement dagegen währt, von Menschenhand ausgelöscht zu werden. Denn er scheint zu wissen, welch einzigartiges Leben er mit seiner Existenz schützt. Ein Leben, das uns so fremd und zugleich so unsagbar vertraut ist.
Informationen:
https://akwaba-afrika.de/reisen/gruppenreise-nach-uganda-gemeinsam-im-herzen-afrikas/
Fotos: Jelena Moro / Text: Anja Hank