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Thorner Lebkuchen: Polens süße Spezialität (Teil 1)

Und er war vor allem beeindruckt vom Thorner Lebkuchen. Einem Freund schrieb er der angehende Superstar der Musik: „… Lebkuchen hat den größten Eindruck oder Effekt auf mich gemacht. Sicher, ich habe auch die die gesamte Stadtbefestigungsanlage gesehen (…), ich habe die berühmte Maschine gesehen, die Sand von einem Platz zum andere bewegte (…), und die gotischen Kirchen (…). Ich sah den schiefen Turm, das berühmte Rathaus (…). All dies aber kann sich nicht mit dem Lebkuchen vergleichen, ja, dem Lebkuchen, von dem ich einen nach Warschau schickte…“ In Erinnerung an diesen Chopin-Besuch produziert heute die Süßwarenfabrik Kopernik in Toruń einen ganz speziellen Lebkuchen, der „Scherzo“ genannt wird.

Die Süßwarenfabrik Kopernik ist die älteste in Polen und eine der ältesten in Europa. Sie geht auf das Jahr 1763 und einen gewissen Jan (Johann) Weese zurück, der in Toruń Eigner einer Lebkuchenbäckerei wurde und hier sein familiengeführtes Unternehmen auf die Herstellung von Thorner Lebkuchen, polnisch gründete. 1824 baute Gustav Weese, Enkel des Gründers, eine erste Lebkuchenfabrik. 1875 florierte das Geschäft der Weese-Familie. Man exportierte in die Türkei, nach Japan, China und sogar Honolulu auf Hawaii. Die örtliche Zeitung Gazeta Toruńska schrieb schon an Neujahr 1875 sogar vom Lebkuchen-Export nach Afrika.

Und die Weese waren nicht allein im Lebkuchengeschäft. Schon 1857 gesellte sich ein Hermann Thomas, hinzu. In dessen Fabrik arbeiteten Anfang des 20. Jh.s 200 Mitarbeiter. Drei weitere örtliche Lebkuchenfabriken sind für diese Zeit überliefert. Bekannt wurde auch Jan Ruchniewicz, bei dem um 1907 immerhin 50 Mitarbeiter wirkten. Folgerichtig baute die Weese-Familie 1885 eine neue Lebkuchenfabrik an der ul. Strumykowa 4 in der Altstadt von Toruń, in dem sich heute das erstklassige Thorner Lebkuchenmuseum befindet. 1915 errichtete man eine weitere Lebkuchenfabrik in einem Vorort, wo dann mehr als 500 Mitarbeiter, meist Spezialbäcker, die Lebküchler oder Pfefferküchler genannt wurden, für steten Nachschub an Lebkuchen sorgten. Hier hat heute die Süßwarenfabrik Kopernik ihren Sitz.

Spiżarnia by Grande Coffee. Foto: Ellen Spielmann
Spiżarnia by Grande Coffee. Foto: Ellen Spielmann

1939 verkaufte die Familie Weese alles, im Zweiten Weltkrieg wurde viel zerstört. Der Wiederaufbau nach dem Krieg war beschwerlich. Doch 1982 gelang mit der Reprivatisierung des Unternehmens ein erster Coup, der zu erhöhter Produktion bei bester Qualität sorgte. Ein zweiter Coup gelang 1991, als das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde und die Mehrheit des Unternehmens in die Hände der Angestellten fiel. Und so sieht die Süßwarenfabrik Kopernik sich heute als Erbe der Firmentradition der Weese und ist auch engster Partner des 2015 eröffneten Thorner Lebkuchenmuseums, des größten Lebkuchenmuseum Europas.

Klar, in Toruń „stolpert“ man eigentlich überall über die größte polnische Süßspezialität, die natürlich auch die größte Attraktion der Stadt ist und sogar Kopernikus komplett in den Schatten stellt. Jeder der jährlich 1,5 Mio. Gäste der Stadt an der Weichsel kommt mit Lebkuchen in Berührung. Ihn gibt es als Souvenir in angebissener Herzform z. b. am Kiosk nahe der Ruine der alten Deutschritterburg. Lebkuchen gibt es seit 2003 auf Toruńs Gingerbread Walk of Fame in Form eingelassener Metallplatten, Lebkuchen gibt es in der Brauereikneipe Jan Olbracht in Gestalt des Lebkuchenbiers.

Und Lebkuchen wird in zig Geschäften an Toruńs zu Fußgängerzonen gewandelten Haupteinkaufsstraßen in der Altstadt, auf dem Lebkuchenfestival Święto Piernika und natürlich auf dem Weihnachtsmarkt der Stadt, der schon seit dem 14. Jh. stattfindet und 2021 vom 27.11. bis 21.12. abgehalten wird. Sehr schön ist auch der Besuch des Cafés Spiżarnia by Grande Coffee am alten Rathausplatz, wo man perfekt Lebkuchen naschen und dabei sogar die erst kürzlich freigelegte herrliche Deckenbalkendekoration bewundern kann. Sie zeigt in Medaillons gefasste altrömische Kaiserinnen und Kaiser – wunderbar! Aber das mehrfach ausgezeichnete Museum des Thorner Lebkuchens ist – an historischem Ort – noch einmal etwas Besonderes. Es ist interaktiv angelegt, bietet Mythen und Legenden zum Lebkuchen und ermöglicht auch, einen Lebkuchen aus echtem Teig herzustellen.

Historische Exponate der Lebkuchenherstellung. Foto: Ellen Spielmann
Historische Exponate der Lebkuchenherstellung. Foto: Ellen Spielmann

Vor allem aber führen die historischen Exponate in die Geschichte der Lebkuchenherstellung ein. Da ist etwa die größte Kollektion an Lebkuchenformen in Mitteleuropa, die aus dem 17. Bis 20. Jh. stammen. Eine weitere Sammlung dieser kunstvoll geschnitzten Holzmodelle befindet sich übrigens im historischen Rathaus von Toruń. Zudem wurde z. B. das historische Büro des Fabrikdirektors nachgestellt und ein Ladengeschäft aus der Blütezeit um 1900. Bei Restaurierungsarbeiten fand man sogar eine echte Glastür mit feinsten Ziselierungen wieder, die einst der Familie Weese gehörte und heute den Ladeneingang ziert.


Informationen:

Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel 

Touristeninformation Toruń, www.visittorun.com

Übernachten:

Boutique-Hotel (Butikowy Hotel) „1231“ ****, www.hotel1231.pl/en/

Lebkuchen kaufen:

Iga Sarzyńska Shop, https://igasarzynska.pl

Sklep z piernikarni, www.piernikarniastarotorunska.pl

Süßwarenfabrik „Kopernik“, www.kopernik.com.pl/en/

Fotos: Ellen Spielmann

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