Im Mittelpunkt auch diesmal traditionell die in den Partnerhotels offerierten Gourmetdinners der Gastköche. Und die kamen diesmal alle aus der Schweiz. Obwohl: von den insgesamt 10 angereisten Profis stammt immerhin die Hälfte ursprünglich aus Deutschland. Allen voran Dolder Executive-Chef Heiko Nieder (2*). Zum deutschen Aufgebot gehören außerdem Stefan Heilemann (2*) vom Züricher Widder-Hotel, Mattias Roock (1*) vom Castello di Sole in Ascona, früher Küchenchef des St. Moritzer Kempinski Hotels, außerdem Gault Millau Koch des Jahres Mitja Birlo (2*) vom Restaurant Silver im 7132 Hotel in Vals und last but not least Tanja Grandits (2*), die Granddame der Schweizer Gastroszene vom Basler Restaurant Stucki.
Wir entscheiden uns am Ende für eine Kombination aus Klassiker und Newcomer. Deshalb besuchten wir neben Heiko Nieder, der im Suvretta House für die Dauer des Festivals das Küchenzepter von Fabrizio Zanetti übernahm, auch Dominik Hartmann vom Restaurant Magdalena in Rickenbach ob Schwyz, der bei Maxime Luvara im Badrutt´s Palace, genauer gesagt dessen IGNIV-Outlet reüssierte.
Anders als Heiko Nieder, der mittlerweile schon zu den alten Hasen zählt, gehört der 29jährige Hartmann zu den Shootingstars der jüngsten Schweizer Kochgeneration. Kein Wunder, schließlich kommt auch er aus der Kaderschmiede von Andreas Caminada, der in der Schweiz in Sachen Nachwuchsförderung heute einen vergleichbaren Rang einnimmt, wie ihn Harald Wohlfahrt in den 90er und 00er Jahren für die hiesige Spitzengastronomie innehatte. Dass Hartmanns Restaurant in der tiefsten Schweizer Provinz, das er Anfang 2020 gemeinsam mit seiner Frau Adriana und seinem langjährigen Freund Marco Appert eröffnete und in dem unter dem Motto „Roh, rau und regional“ aufgekocht wird, gleich im Eröffnungsjahr – und trotz heftiger Coronaturbulenzen – mit zwei Michelin Sternen ausgezeichnet wurde, war ein veritabler Paukenschlag.
Und ein weiteres Indiz dafür, dass die Entscheidungen des Guide Rouge in den letzten Jahren einen zunehmend – nennen wir es mal vorsichtig – „politischen“ Charakter annehmen. Dass der Gault Millau gleich darauf nachzog und Hartmann zur Entdeckung des Jahres kürte, war dann nur konsequent und am Ende ebenso verdient wie der Sternenregen – nur um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Manchmal treffen auch Politiker die richtigen Entscheidungen.
Im Mittelpunkt von Dominik Hartmanns Tellern steht Gemüse. Doch wer glaubt, Hartmann sei auch nur einer derjenigen, die mal eben auf den Veggi-Trend aufgesprungen sind, weil der grade schrecklich en vouge ist, irrt. Mit Hartmann steht ein Überzeugungstäter am Herd, der allerdings keineswegs eine dogmatische Küchenphilosophie verfolgt. So hatten es im Magdalena anfangs auch Fisch, Fleisch oder Geflügel auf die Karte geschafft, nur haben sie eben nie die erste Geige gespielt. Mittlerweile – genauer gesagt seit diesem Jahr – sind Hartmanns Menüs jedoch komplett vegetarisch, auf Wunsch auch vegan, wie uns Hartmann im Interview verrät. Eine Entscheidung, zu der das Magdalena-Team steht, auch wenn sie nicht bei allen Gästen gleich gut ankam – schließlich ist Rickenbach eben doch nicht Zürich – im Grund aber trotzdem unverständlich ist, hat man erst mal bei Hartmann gegessen.
Was der auf Basis von schnöden Schwarzwurzeln, Roter Beete, Kerbelwurzel, Zwiebeln oder simplem Weißkohl auf die Teller zaubert, sind nämlich so umamigewaltige Geschmacksbomben, dass man einen tierischen Protagonisten auf dem Teller nicht nur nicht vermisst, sondern ein Stück Fleisch – egal ob kurzgebraten oder geschmort – die Kompositionen eher unnötig belasten als verbessern würde. Und so futtern wir uns durch zwei Amuse-Bouche, darunter eine geniale Variation rund um den Kopfsalat und 6 Menügänge, während unserer Begeisterung mit jedem Bissen wächst.
Ob am Ende Hartmanns Signature Dish, eine Art Steak aus zuerst gebackener, anschließend gedörrter und dann wieder in Butter angebratener Roter Beete, die cremig-krosse Kerbelwurzel mit süßsäuerlichen Preiselbeeren oder doch eher die langsam geschmorte Zwiebel mit Beurre Blanc die Nase vorn hat, wagen wir am Ende kaum mehr zu entscheiden. Denn: jeder einzelne Gang kann rundherum überzeugen, präsentiert sich mit einer Vielzahl eng verwobener Geschmacksakkorde und bietet jede Menge Komfort-Food-Charakter. Durch das geschickte Spiel mit Süße, Säure, unterschiedlichen Aggregatzuständen und Temperaturen wird das aber niemals langweilig.
Als wir am folgenden Abend dann im Suvretta Haus die Menükarte von Heiko Nieder in die Hand gedrückt bekommen, erschrecken wir – die Hartmann-Erfahrung vom Vorabend noch am Gaumen präsent – fast ein wenig. Denn Nieder wäre nicht Nieder, würde er für sein 5-Gang Menü nicht sämtliche Register etablierter Edelzutaten ziehen. Egal ob Kaviar, Jakobsmuscheln, Rinderfilet, Gänseleber, Hummer – Nieder lässt kaum ein ikonisches Luxusprodukt aus und setzt alle Gänge in der gewohnten Professionalität in Szene, so dass man die Teller praktisch eins zu eins für eine Kochbuch-Shooting ablichten könnte. Das Auge isst hier im wahrsten Sinne des Wortes mit.
Trotzdem kommt einem das, Hartmann vor Augen, am Ende fast ein wenig übertrieben vor, auch wenn jeder einzelne Gang für sich betrachtet, auch hier absolut überzeugt. Allen voran die grandiosen Jakobsmuscheln mit Kalb, Erdnuss, Oscietrakaviar und Dill oder der Hummer mit leicht herben Zitrusfrüchten, Piment und Blüten. Ebenfalls stark in Aromatik wie Präsentation die Gänseleber-Essenz mit Curry und Meeresgrün. Einzig der Hauptgang gerät mit einem – wenn auch unvergleichlich zarten – Rinderfilet vielleicht etwas arg brav.
Trotzdem frage man sich am Ende des Abends: Muss das alles sein? Braucht es diese geballte Ladung tierischer Luxusprodukte auf dem Teller, um einen genussvollen Abend zu erleben? Die Antwortet lautet schlicht: Nein, das beweist Dominik Hartmann mit seiner Küche eindrucksvoll. Doch geht es hier nicht darum über die Küche von Heiko Nieder oder den Einsatz tierischer Produkte generell den Stab zu brechen. Im Gegenteil. Dazu essen wir sie viel zu gern und können den nächsten Abend mit Heiko Nieder im Dolder kaum erwarten. Trotzdem haben wir den Eindruck, dass die aufwendigen Materialschlachten langsam aus der Mode kommen, frei nach dem Motto: Weniger ist manchmal mehr.
Information:
www.stmortiz-gourmetfestival.ch
Fotos: Thomas Hauer, Fabian Häfeli, Digitale Massarbeit