Vom Süßwaren-Regal in die Spitzenküche, ein großer Sprung. Sie hat regelrecht Karriere gemacht, die Lakritze. Sicherlich, eine eher ausgefallene Zutat, immer noch. Doch genau das Außergewöhnliche ist es, was in diesem kleinen und sehr erlesenen italienischen Restaurant zählt. In Berlin, im tiefsten Kreuzberg. In „Zum heiligen Teufel“ wird das beliebte schwarze Knabberzeug, das aus der Süßholz-Wurzel gewonnen wird, zu einem leichten Schaum veredelt. Der leistet einer gegrillten Makrele Gesellschaft. Auch Lauch, ebenfalls gegrillt, und eine Rotwein-Reduktion scharen sich um das Meerestier. Ferner ein Salat aus Puntarella. Knackig, leicht bitter, mit einem Hauch von Mandelaroma. Optisch erinnert das Gemüse entfernt an Chicorée.
Eine köstliche Vorspeise, herrlich leicht und sehr originell. Kreative italienische Küche auf höchsten Niveau, das ist hier die Philosophie. Nicht aus einer bestimmten Region, sondern kreuz und quer über den ganzen Stiefel, Sardinien und Sizilien inklusive. Die Gäste sollen das Gefühl haben, gerade im Land gewesen zu sein, nachdem sie das Lokal verlassen haben, erklärt Inhaber und Koch Antonio Di Santo. Auf den Märkten, bei den Bauern, den Winzern, den Fischern. Bei der Mamma oder der Nonna in der Küche. Deren Gerichte werden hier weiterentwickelt, kreativ, aber nie zu experimentell. Gerne lässt man sich inspirieren, von anderen Ländern, anderen Einflüssen, der eigenen Fantasie. Hauptsache, die Zutaten harmonieren. So entstehen völlig neue, ungeahnte Genuss-Erlebnisse. Und das zu extrem fairen Preisen.
Da können auch schon einmal Welten aufeinander treffen. Etwa der bunte Orient auf den braven Spargel. In der Saison stehen die weißen Stangen fast in jedem besseren Lokal auf der Speisekarte. Mit Schinken. Mit Sauce Hollandaise. Eben mit den üblichen Verdächtigen. Und hier? Ackerbohnen-Mandel-Hummus sowie frische Kräuter begleiten das Gemüse.
Ferner Harissa, eine Paste aus Chili, Olivenöl, Knoblauch und weiteren Gewürzen wie Kreuzkümmel. Dazu noch ein Ei, erst gekocht, dann frittiert. So originell wie die Beilagen ist auch das Aroma. Zu der üblichen minimalen Bitterkeit des Spargels gesellt sich die leichte Süße und Frische der Apfelsine. Orangenöl verleiht ihm diese besondere Note, wie der sehr aufmerksame und freundliche Service-Mitarbeiter erklärt. Raffiniert auch die Zubereitung, erst wurde das Gemüse in Butter gekocht, dann gegrillt. So schonend, dass Aromen und eine gewisse Festigkeit erhalten bleiben.
Nichts ist von der Stange bei diesem Top-Italiener, der auf jede Folklore verzichtet. Die Einrichtung, schlicht, zeitlos. Das Ambiente, gediegen. Die Atmosphäre, ungezwungen. Weniger ist hier mehr. Weiße Wände, helles Holz, in warmes Licht getaucht. Kaum Deko, kaum Bilder. Kunst findet hier vor allem auf den Tellern statt.
So wie bei dem Hauptgang. Eine reine Augenweide, diese Komposition aus weiß und grün. Gnocchi aus Ricotta verbergen sich dahinter. Mit Parmesan und Bärlauch-Creme. Und, ja, Buttermilch. Letztere ist wegen des säuerlich-aufdringlichen Aromas nicht immer jedermanns Geschmack. Hier harmoniert sie aber mit den anderen Zutaten so vollendet, dass das Gericht auch für Buttermilch-Verächter ein reines Vergnügen ist. Zudem völlig fleischlos.
Nicht-Vegetarier werden mit der Perlhuhnkeule fündig. Perfekt gegart, die Haut knusprig, das Fleisch butterzart. Dazu Fava-Bohnen, grüne Bohnen, Frühlingszwiebeln und Sellerie. Das Ganze wurde noch verfeinert, mit Guanciale, Speck aus dem Latium, luftgetrocknet und ungeräuchert. Ferner Caciocavallo, einem süditalienischen Käse aus Kuhmilch. Ein Primitivo Manduria aus dem tiefen Süden Italiens erweist sich mit seiner gewürzbetonten Fruchtigkeit als würdiger Begleiter.
Das hohe Niveau setzt sich bei den Desserts fort. Erneut zeigt die Küche, dass es jenseits von Panna Cotta, Tiramisu und Co., erst richtig interessant wird. Etwa mit einer Zitronen-Creme und einem weichen Baiser mit Amarena Kirschen gefüllt. Dazu zerbröseltes Popcorn und Minze. Fruchtig und keineswegs zu süß.
Himmlisch und höllisch-gut zugleich, das gilt für sämtliche Gänge. Nicht von ungefähr nennt sich das Lokal „Zum heiligen Teufel“. Der Name sei eigentlich ein Scherz, so der Inhaber, dessen Nachname ganz nebenbei „heilig“ bedeutet. „Ich wollte einfach höllisch gut kochen“, erklärt er. Vielleicht hat es auch ein wenig mit seiner alten und neuen Heimat zu tun. Italien mit seinem Katholizismus, mit Vatikan und Papst, als Kontrast zum „Sündenpfuhl“ Berlin mit all seinen Versuchungen.
Die Speisekarte wechselt ungefähr alle drei bis vier Wochen, je nach Saison, je nach Inspiration. Viele Zutaten sind biologisch, fast alle stammen von kleineren Familienbetrieben. Pasta und Gewürze größtenteils aus Italien, so wie das hochwertige Olivenöl aus Apulien.
Fleisch, Fisch und manches Gemüse, wie der Beelitzer Spargel, von Erzeugern aus der nahen Umgebung. Man setzt dabei auch auf alte Rassen wie das Havelländer Apfelschwein und auf Nachhaltigkeit, wie bei den Muscheln von einem besonderen Händler aus Hamburg. Den Rest erledigt die „Markthalle Neun“, gleich um die Ecke. Dort gibt es einen italienischen Bäcker, der Brot ausschließlich aus Sauerteig mit Weizen- und Dinkelmehl liefert. Im Korb, der zu Beginn serviert wird, befinden sich auch Körner-Cracker und selbst gebackene Focaccia. Die dazugehörige Butter kommt übrigens von einem Biohof aus Bayern.
Längst ist dieses Lokal Stadtgespräch. Entsprechend sind auch an diesem Mittwochabend die Tische bis auf den letzten Platz besetzt. So wie sich das für einen der wohl besten Italiener Berlins gehört. Dieses Lokal dürfte nicht nur Gourmets aus Fleisch und Blut begeistern. Sondern auch himmlische Heerscharen wie Höllenfürsten. Sogar Satan selbst dürfte sich hier wie im Paradies fühlen. Heiliger Teufel!
Informationen:
www.zumheiligenteufel.de
Fotos: Fritz-Hermann Köser