Dies liegt natürlich einerseits am legendär 743 n. Chr. vom Langobardenkönig Ratchis gegründeten Kloster San Salvatore di Monte Amiata, das ab 762 n. Chr. dann tatsächlich verbürgt war. Die herrliche, 1035 n. Chr. eingeweihte romanische, später barock umgebaute und perfekt restaurierte Klosterkirche ist ebenso ein Besichtigungsmuss wie der Säulenwald in ihrer noch spektakuläreren vorromanischen, wohl schon von den Langobarden angelegten Krypta. 24 Säulen sind noch original! Schon im Mai 742 soll Langobardenkönig Ratchis in einer Vision der Erlöser erschienen sein, der ihn zum Bau des Klosters veranlasst haben soll. Francesco Nasini malte dies Gründungsthema für die Klosterkirche im Jahr 1652. Wahrscheinlicher ist indes, dass das Kloster entstand und aufblühte, weil es direkt an der alten Römerstraße Via Cassia lag und zudem später am Pilgerweg der Via Francigena, dem „Frankenweg“ von Canterbury nach Rom. Welche Bedeutung das Kloster einst auch als Hort des Wissens besaß, mag man auch dran ermessen, dass hier Kaiser Karl der Große von medizinisch geschulten Mönchen dank eines Kräuterchens von lebensbedrohlichen Qualen geheilt worden sein soll. Wir werden später noch mehr von dem Kraut hören.
Erst einmal geht es aber in das Klostermuseum, wo mit der Amiata-Bibel, dem Codex Amiatinus, eine angeblich in Northumbrien zu Beginn des 8. Jahrhunderts hergestellte Bibelhandschrift ausgelegt ist. Tatsächlich könnte die Bibel auch eine Abschrift sein, die im 9. oder 10. Jahrhundert in einem kalabrischen Kloster entstand. In jedem Fall ist hier nur eine Kopie ausgelegt. Das Original befindet sich seitc1785 in der von Michelangelo gestalteten Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz. Spektakulär ist zudem das herrliche Reliquienkästchen (Cofanetto Scoto-Irlandese), wohl irisch-schottischer Provenienz und aus der Mitte des 7. Jahrhunderts. Am spektakulärsten ist indes das 62 cm hohe Reliquiar des 34. Papstes Sankt Marcus (San Marco Papa; ? – 7. Oktober 336 n. Chr.). Das Werk aus vergoldeter Bronze mit Haupt des Papstes und Schutzpatrons des Klosters entstand 1381. Die reich dekorierte Casula di San Marco, das ausgestellte kostbare Messgewand des Papstes, soll sogar schon im 7. oder 9. Jahrhundert gewirkt worden sein.
Aber das schmucke Abbadia San Salvatore hat natürlich noch weitaus mehr zu bieten. Dies hat erst einmal mit seiner langen, ereignisreichen Ortsgeschichte zu tun. Dann aber auch und vor allem mit dem ab Mitte des 19. Jahrhunderts begonnenen Abbau von Zinnober, aus dem Quecksilber (Mercurio) gewonnen wurde. Am Ortsrand von Abbadia erinnert bis heute das Museo del Mercurio an diese Zeit des Quecksilberabbaus, die Ende der 1970er Jahre beendet wurde. Man kann sogar in die einstigen Stollen laufen und die Geschichte des Bergbaus vor Ort nachvollziehen. Und so ganz ist der Bergbau auch noch nicht aus Abbadia verschwunden. Denn täglich dreimal ertönt nach wie vor die Bergwerksirene vor dem Museum: um 7 Uhr, um 16 Uhr und um 22 Uhr, jeweils zu den alten Schichtwechseln. Ruhestörung ist dies aber nicht. Denn die Einwohner von Abbadia wollen dies so! Schließlich brachte das Quecksilber großen Reichtum in die Stadt. Zeitweilig gehörten die Bergleute zu den bestbezahlten Arbeitskräften in Italien. Und schmunzelnd erzählt man sich noch heute, dass der abendliche Corso von Abbadia damals der spannendste weit und breit war. Denn viele junge Damen zog es hierher, um nach einem vermögenden heiratswilligen Bergmann Ausschau zu halten.
Und natürlich hat auch der historische Ortskern von Abbadia, Castello, einiges zu bieten. Besonders spannend ist es, wenn man mit einem kundigen Guide wie Giorgio Tondi unterwegs ist. Da sind die uralten Palazzi und Kirchen wie Santa Croce (1221 geweiht) und das alte Rathaus (Palazzo del Podestá) aus dem 15. Jahrhundert, die vielen Hauszeichen über den Jahrhunderte alten Häusern, die alten Stadtmauern mit den Stadttoren oder das Teatro Servadio, das im 19. Jahrhundert im Ortsteil Borgo entstand. Ideal ist es daher, z. B. im B&B Gli Archi an der Via Cavour abzusteigen. Die schönen sechs Zimmer (bequem per Fahrstuhl erreichbar), Garten, Kaminzimmer und vor allem das exzellente Frühstück mit Amiata-Spezialitäten bleiben in bester Erinnerung. Und manchmal wird sogar die Spezialität schlechthin von Abbadia San Salvatore, die „Ricciolina“ aufgetischt. Dabei handelt es sich nicht um ein schönes reiches Mädchen, wohl aber um eine wunderbare, doppelt gebackene Cremetorte, die ursprünglich wohl einer älteren Hausfrau aus den Bergen, genannt Nonna Beppa (Oma Beppa = Oma Josepha), während der Zeit des Minenbergbaus Anfang des 20. Jahrhunderts eher „aus Versehen“ erstmals gelang. Heute gehört die Ricciolina zu den berühmtesten Süßspeisen nicht nur am Amiata. Welche Schätze Abbadia ansonsten noch so bietet, erfahren wir dann gleich vor der Haustür an der Via Cavour, der Hauptstraße von Abbadia. Hier öffnen Pinzi & Pinzuti ihren Bioladen mit herrlichen Amiata-Produkten.
Und natürlich haben Pinzi und Pinzuti ebenfalls eine lokale Geschichte zu erzählen. Denn die beiden Namen wurden zwei französischen Steuereintreibern gegeben, die nach der napoleonischen Ära in Abbadia blieben. Der eine hatte einen langen, der andere einen kurzen Bart: Pinzi und Pinzuti waren geboren – und ihre Familiennamen existieren bis heute in Abbadia! Nur zwei Häuser weiter ist dann ein wahres Eldorado der kulinarischen Künste am Amiata zu genießen. Hier öffnet die Osteria La Confusa mit einfach allen Leckereien, die ringsum produziert werden. Und dies alles zu sehr vernünftigen, eher sogar günstigen Preisen. Und dazu gibt es natürlich auch echten Wein vom Vulkanberg sowie lokales Bier. Und wer hier am Platz die Augen aufhält, findet dann auch das Denkmal für die Frauenrechte. Schließlich ist Abbadia mit seinem agilen Bürgermeister Fabrizio Tondi (seit 2014) kein kriselndes Bergkaff, sondern ein hochmoderner, entwickelter Ort – und mit Bürgern, die traditionell eher links eingestellt sind.
Schätze bietet dann an der Straße zum Gipfel des Monte Amiata, 2 km außerhalb von Abbadia, der privat angelegte Botanische Garten Fonte Magria. Hier versammeln sich dank privater familiärer Eigeninitiative, umgeben von einem leichten Schwefelhauch nahebei liegender Vulkanquellen, mittlerweile über 400 am Monte Amiata wachsende Pflanzen. Darunter sind viele endemische. Allein 50 Orchideenarten sind zu bewundern. Mit dabei ist natürlich auch jene berühmte Heilpflanze, die einst Kaiser Karl den Großen kurierte: Es ist die Carlina Zolfina, auch Erba di Carlomagno, Kraut von Karl dem Großen genannt, die zur Familie der Asteraceae zählt. Ihr dritter Name, Erba Carolina, „Karlskraut“, erinnert daran, dass sie ihn vor allerhand Entzündungen und seinen Tross gar vor der Pest errettete. Und natürlich gibt es auch weitere, nicht nur medizinische, sondern auch für die Kulinarik perfekte Kräuter und Pflanzen.
Und so produziert die den Botanischen Garten hegende Familie auch leckere Kräutertees sowie demnächst auch Liköre mit der schönen Bezeichnung Bosco a Fonte Magria, Wald von Fonte Magria. Wer einmal hier ist, sollte sich die leckere Küche im angeschlossenen Ristorante nicht entgehen lassen. Sie ist auch berühmt für ihre Pizzen. Am attraktivsten sind hier aber die veranstalteten Degustationen mit Produkten aus Abbadia. Da sind z. B. eingelegte Leckereien, etwa mit der wiederentdeckten kleinen Birne des Monte Amiata, der Pera Picciola), die natürlich auch im Botanischen Garten zu finden sind. Und Lombardi & Visconti, die sich um solches kümmern, stellen auch herrlichen Most, Kräuterliköre der Marke „Stille di Meditazione“, Agresto und zahlreiche Versuchsprodukte sogenannte „Prove d`autore“ her, dazu Liköre „Frequenze di Gusto“ und vieles mehr. Einfach lecker! Eine absolute Entdeckung sind dann die Spezialmarmeladen der kleinen Familienfirma „La Rosa Amiatanina“. Vater und Sohn Rappuoli kümmern sich intensiv um die Naturschätze des Amiata, darunter natürlich um das Rosengewächs Rosa Canina mit kleinster Knospe. Und so gibt es auch Feigen-/Nuss-Konfitüre, Waldbeeren-Konfitüre oder Konfitüren mit den kleinen Amiata-Pflaumen und Ingwer (zenzero).
Auch als Pulver ist die Rosa Canina zu haben. Dazu werden Honig und Olivenöl produziert. Einfach ein Genuss! Schließlich überzeugen auch die superleckeren Käse, allen voran der Ziegenkäse der örtlichen Azienda Agricola Mezzavia! Keine Frage, der Monte Amiata ist mehrere Besuche wert. Dafür stehen Gästen natürlich auch Wanderwege und vielfach auch Mountain-Bike-Pfade für Downhill-Fahrten im Sommer zur Verfügung. Wintertags locken Langlauf und sogar insgesamt 13 km lange alpine Skipisten in 1400 m Höhe. Es hat zwei Sessellifte und sechs weitere Lifte, die auch dies Winterparadies entschließen. Mit den Amiata Runners oder den Mitgliedern der Societá Macchia Faggeta lässt sich der Vulkanberg übrigens am sichersten und besten erkunden.
Informationen:
Pro Loco di Piancastagnaio, www.prolocopiancastagnaio.it
Toscana Promozione Turistica, www.visittuscany.com
Fotos: Ellen Spielmann