Als „Rohkostfanatiker“ schmähten einige berühmte Küchenchefs die ersten Pioniere, die in der Feinschmeckerszene auf Tierschutz, Nachhaltigkeit und Regionalität achteten. Politisch korrekt zu sein und exquisite Speisen zu lieben – das schien sich lange Zeit für anspruchsvolle Gourmets auszuschließen. Mut, Durchhaltevermögen und eine ordentliche Prise Eigensinn brauchten noch vor zehn Jahren all jene, die sich auf eine vegetarische Spitzenküche spezialisieren wollten. An ausgefallene vegane Kreationen wagt sich kaum ein Newcomer.
Inzwischen haben erfahrene Chefs das vegane und vegetarische Fine Dining in Deutschland etabliert. Manche, wie Ricky Saward vom „Seven Swans“, belohnte der Guide Michelin in den vergangenen Jahren sogar mit Sternen. „Es kommt aber immer noch vor, dass Gäste ein saftiges Filet im Menü vermissen“, sagt Ricky Saward, der gemeinsam mit Andreas Krolik vom „Lafleur“, der sich in der Vergangenheit zwei Sterne erkocht hat und mit Simon Tress vom Demeter-Restaurant „1950“ aus Hayingen, das einen Stern hat, auf einem Podium im Steigenberger Icon Hotel Frankfurter Hof sitzt und über die Philosophie spricht, die hinter seinen raffinierten Kompositionen steckt.

Fast die Hälfte der Deutschen sind Flexitarier
Am Vorabend der Verleihung der neuen Michelin Sterne sind Fans der vegetarischen Küche bei einem sogenannten „Veganen Gipfel“ zusammengekommen. Doch von den etwa 300 geladenen Gästen heben nur etwa zehn spontan die Hand und stehen auf, als der Moderator in die Runde fragt, wer sich denn vegan ernähre. Etwas mehr Besucher essen vegetarisch, die meisten bezeichnen sich als Flexitarier. Sie verzichten weitgehend auf Fleisch und Fisch, lehnen es aber nicht ganz ab. Diese Quote entspricht auch den Erfahrungswerten von DEHOGA, dem Bundesverband des Gastgewerbes. Etwa 50 Prozent der Deutschen sollen Flexitarier sein.
Um nicht als Fanatiker zu erscheinen, lässt der Bauernsohn Simon Tress seinen Gästen die Wahl. „Sie können sich im Laufe des Abends entscheiden, ob sie ein Stück Fleisch möchten oder nicht. Viele merken dann, dass ihnen gar nichts fehlt, wenn sie darauf verzichten“, sagt er. Auf der Schwäbischen Alb, wo er aufwuchs und sich das „1950“ befindet, liebe man Traditionen. „Einige Nachbarn sind Stammgäste, für sie halten wir unsere Preise etwas niedriger, denn wir möchten, dass sie weiterhin kommen.“
Von allzu verkünstelten Erklärungen, die der eine oder andere Kollege am Tisch abgibt, während die Gäste auf die Kunstwerke auf ihren Tellern starren, hält Simon Tress nichts. Das wirke gerade bei seiner Bioküche schnell missionarisch, wie eine Predigt. „Wir legen unseren Gästen stattdessen lieber Kärtchen mit der Herkunft der Zutaten hin, sie können sich dann in Ruhe selbst informieren.“

Kochen wie ein Komponist
Leise Töne statt bombastischer Fanfaren – das bevorzugen alle drei Meisterköche. Eine Analogie mit Melodien liegt vor allem bei Ricky Saward nahe. Reduziert, nur mit seiner zärtlichen Veloursstimme und einem Banjo, präsentierte der amerikanische Songwriter Surfjan Stevens viele Musikstücke auf seinem vierten Album „Seven Swans“ aus dem Jahr 2004. Jemand, der diese sanfte, fast schüchterne Musik so sehr liebte, dass er ein Restaurant danach benannte, muss ein Feingeist sein, genau wie der sensible Künstler Surfjan Stevens. Steen Rothenberger, dem das „Seven Swans“ in Frankfurt gehört und der die Songs von Stevens mag, scheut das Rampenlicht. Mit Ricky Saward steht in seinem Haus ein Chefkoch, Mitinhaber und Geschäftsführer am Herd, der klare Töne schätzt – und der als erster veganer Sternekoch der Welt die Reduktion perfektioniert hat.
Ricky Saward denkt radikal regional
Die Zutaten kommen aus dem Umkreis und wachsen auf den Braumannswiesen bei Bad Homburg im Taunus. Dort pflegt das Team des „Seven Swans“ einen Gemüsegarten mit Permakultur, bei dem Gärtner durch Mulchen und Kompostieren dem Boden nicht nur etwas nehmen, sondern auch viel zurückgeben. Pestizide oder künstlicher Dünger sind selbstverständlich tabu. Im Frühling streift Ricky Saward durch die Wälder, pflückt Birkenkätzchen und Akazienblüten, Bärlauch und Fichtensprossen. Kiefernzapfen mag er besonders gerne. Bis zu sechs Tage lang simmern sie bei ihm in Zuckersirup, bis eine Art Lackritzmasse entsteht. Aus Karotten oder Roter Beete zaubert er sämige Saucen.

Manche Gerichte duften wie ein Bad im Wald
„Bei uns geht es um die Kunst des Kombinierens. Vom Samen bis zur Frucht, von der Wurzel bis zur Blüte möchten wir dem Gast alle Facetten näherbringen“, sagt Ricky Saward, der nicht nur vegan kocht, sondern auch selbst so lebt. Der Sohn einer walisischen Mutter und eines westfälischen Vaters konzentriert sich auf den Geschmack der Kräuter und der Gemüse, verfeinert seine Gerichte mit Aromen aus der Schatzkammer der Natur. Gewürze benutzt er nicht, um die Geschmacksnoten nicht zu verfälschen, dafür spielt er virtuos mit dem Duft von Regen auf Eichenlaub, mit der Süße von Nektar oder der erdigen Note, die sich entwickelt, wenn Rettich oder Kartoffeln im Boden schmoren.
Auch Andreas Krolik, der aus dem Südharz in Sachsen-Anhalt stammt, geht gern in den Wald. Vor dem Mauerfall wollte er einmal Förster werden, aber es gab zu wenige Ausbildungsplätze in seiner Heimat, darum orientierte er sich neu. „Für mich ist mein Beruf eine Leidenschaft“, sagt er – und wer ihn verschmitzt lächeln sieht, wenn er am Herd steht, glaubt ihm das sofort.
Während Ricky Saward etwas rebellischer ist, eher ein Punk unter Anzugträgern, ist Andreas Krolik sehr bodenständig. Saward spielt gewissermaßen das Jazzsaxophon, Krolik Gitarre. Von Tupfer-Schickschnack und optischer Effekthascherei halten beide nichts. „Ich bin kein Dogmatiker, sondern möchte jedem Gast ein besonderes Genusserlebnis bieten“, sagt Andreas Krolik. „Unsere Küche mag keine Labels, sondern steht für Neues“, pflichtet Ricky Saward ihm bei, „bei uns geht es um die Freude am guten Geschmack und nicht um das Vegan-Sein.“

Missionieren ist unerwünscht
Was alle drei Meisterköche auszeichnet, ist ihre authentische Art. Auch eine echte Passion für ihren Beruf teilen sie. Man spürt sofort: Da sitzen drei Männer, die mit Begeisterung für ihre Überzeugung werben, ohne aufdringlich zu sein. Die vegane Ernährung gewinnt weltweit an Bedeutung und passt zu anderen Trends, beispielsweise zu Shinrin Yoku, einer Praxis, die aus Japan stammt und bei der man mit allen Sinnen in einen Wald eintaucht und unter Bäumen meditiert. Der Verzehr von veganer Sterneküche fühlt sich ähnlich fantastisch und belebend an – wie ein kulinarisches Waldbaden.
Fotos: Enrico Sauda