Das war ums Jahr 2000. „Mein Job ist flöten“, sagte die damals 50jährige Schweizerin, „aber mein Leben noch lange nicht beendet“. Als Food-Stylistin hatte sie mit ihrem Partner und Fotograf für die Kundenzeitschrift der Schweizer Supermarktkette Migros gearbeitet. Dann sattelte der Verlag auf Digital um und schwupps war frisches Blut in der Redaktion angesagt. Und nun? „Marrakesch und Wüste haben mich schon früher fasziniert. In der Schweiz beengen die Berge. Hier spricht die Weite zu mir.“
Ihre gepflegten Hände machten Greifbewegungen und ballten sich zur Faust. „Irgendetwas muss ich finden, wo ich Erde fühlen und etwas kreieren kann“. Töpfern? Das boomte damals unter Frauen im besten Alter als Selbstfindungstherapie. Die große Blonde schüttelte ihre Lockenmähne und zog die Augenbrauen hoch. Falscher Vorschlag also. Mit Esoterik hatte sie nichts am Hut. Wir redeten den ganzen Tag und bis in die späte Nacht, tauschen Lebensläufe und Geschichten aus. Doris Nufer war viel gereist, hatte abenteuerliche Touren durch arabische und afrikanische Wüsten hinter sich und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden
Und nun, fast 20 Jahre später, blicken wir von ihrer eigenen Dachterrasse auf ein kleines Paradies. Eine Gästefarm mit Panoramablick auf den Hohen Atlas, benannt nach dem angrenzenden Berberdorf – „Ferme d‘hote Akrich“. Hände und Erde, dazu ausreichend Wasser haben drei Hektar Wüste im wahrsten Sinne des Wortes erblühen lassen. Chapeau!
Anima – die Rückkehr des Paradieses
Nicht zuletzt, weil es der Baselerin in einer nordafrikanischen Männergesellschaft ganz allein gelungen ist, ihren Traum zu erfüllen. Kein leichtes Unterfangen. Ohne Geduld und Ausdauer gepaart mit liebenswerter Durchsetzungskraft hätte sie das nicht geschafft.
Etwa 25 Kilometer Luftlinie entfernt im Ourika Tal wurde ein weiteres Traumprojekt realisiert. In diesem Frühjahr eröffnete für Tagesbesucher ein wunderschöner Garten mit Café und Kunstmuseum. „Anima – die Rückkehr des Paradieses“, so der Name. Sein Inhaber trägt einen großen Namen: Universalkünstler André Heller. Heller und Nufer begegnen sich freundschaftlich, ihre Kreise aus deutschsprachigen Marrakesch Aficionados und Künstlern überschneiden sich.
Ein bisschen Seelenverwandtschaft mag dazu eine Rolle spielen. Denn wie die ex Food-Stylistin hat auch der Wiener Illusionsgroßmeister mit eigenem Geld die üppig grüne Landschaft auf rotem Staub kreiert. Nun ja, dank größerer finanzieller Mittel standen ihm dabei einige Profis zur Seite. Die Schweizerin hat das Werk ohne professionelle Gestalter vollbracht. Wieso hat ein André Heller in einem Königreich investiert, welches immer mal wieder unter Terroranschlägen leidet? Zumal er sich angrenzend zum Garten ein privates Refugium geschaffen hat. Anima sei jetzt sein Lebensmittelpunkt, sagt er.
Viel zu heiß
Mit Malerin Albina Bauer verbringt er einen großen Teil des Jahres hier. Keine Verunsicherung wegen der politischen Lage? „Marokko ist das politisch stabilste nordafrikanische Land“, seine Antwort. „Ich fühle mich hier auf jeden Fall sicherer als etwa in London oder Paris“. Doris Nufer, die mit ihrer Gästefarm immerhin ihre Altersversorgung aufs Spiel setzte, nickt zustimmend. Sie lebt jetzt von der Vermietung von fünf Bungalows. Und das nur im Winterhalbjahr. „Im Sommer kommen keine Gäste. Viel zu heiß.“
In kalten Winternächten bollern in Bungalows und Haupthaus attraktive Godin Kaminöfen. Die Räumlichkeiten sind schlicht, aber stilvoll eingerichtet. Jedes Detail ist durchdacht. Sei es die Dusche, unter der man mit ausgestreckten Armen tanzen könnte, das breite Bett mit edlen Bezügen oder – hurra – die praktische Handhabe der Lichtschaltung. An was es, wie Vielgereiste wissen, häufig sogar in Luxushotels mangelt. In alles flossen Ideen, Konzepte und Entwürfe der Inhaberin: Layout, Baupläne, Einrichtung. Alles eigenhändig entworfen und von einheimischen Handwerkern fertigen lassen. „Ich habe in Sachen Wohlgefühl einfach eigene Maßstäbe angelegt“, sagt sie. „Ich lebe ja hier mit meinen Gästen.“
Während der Bauphase waren fast 40 Männer aus Berberdorf Akrich beschäftigt. Sicherlich keine einfache Situation für eine alleinstehende blonde Frau? „Die Männer haben mich respektiert, so wie ich sie respektiert habe“. Angemessene Kleidung gehört dazu, Kopftuch muss nicht sein, größeres Problem war anfangs der marokkanische Schlendrian. Mal erschien der eine nicht zur Arbeit, mal der andere. Manchmal brachte das Fehlen von Leuten die gesamten Bauarbeiten zum Stillstand. Doch Doris Nufer lernte schnell. „Ich ließ mir von den Handwerkern ihre Handynummer geben und hakte dann nach. Ein freundlicher Hinweis auf ihren pünktlichen Lohn vor jedem Wochenende und sie machten sich auf die Socken.“
Wahrscheinlich von Mama oder Frau angetrieben. Denn mit dem Arbeitslohn unterstützte sie im Dorf etwa dreißig Familien. Einer der Gründe übrigens, warum sich André Heller mit seinem Gartenprojekt in Marokko etabliert hat: Arbeitsplatzbeschaffung in einem Land, in dem für junge Männer das reiche Europa ein Sehnsuchtsort ist.
Kräuter- und Gewürzgarten
Auf der Ferme d‘ hote Akrich sind jetzt noch vier Leute beschäftigt. Zwei junge Frauen für Küche und Zimmer und zwei Gärtner. Diese hegen und pflegen das, was vor etwa fünfzehn Jahren terrassiert, gesät und gepflanzt wurde. Aus hüfthohen Olivenbäumchen haben sich ansehnliche Kronen entpuppt. Die erste Ernte im letzten Jahr erbrachte 370 Liter feinstes Öl. „Weil ich nur die reifen Früchte in die Kaltpressung gegeben habe“. Ihr persönlicher Liebling ist der Kräuter- und Gewürzgarten. „Welch Glücksgefühl zu erleben wie hier alles so wunderbar gedeiht.“
Aus kleinen Pflänzchen wuchsen im Laufe der Zeit Büsche und Hecken. Lemongras beispielsweise, Chili, Rosmarin, Petersilie und duftender Koriander. Auch allerlei Salate, Tomaten und Bohnen sprießen. Ein Garten Eden eben, in dem sich obendrein zahlreiche Haustiere des Lebens freuen. Fünf Hunde, neun Esel, Enten und Hühner. Gäste können sich ihr Frühstücksei selbst aus dem Stall holen. Fleisch oder Fisch fürs Dinner kauft die Schweizerin im Supermarkt in nahegelegenen Marrakesch.
„Es macht mir Freude“
Die Liebe zum Garten setzt sich in der Küche fort. Denn Kochen war schon immer ihre Leidenschaft. Man sieht gern dabei zu, wie sie völlig entspannt bei einem Gläschen Pastis die leckersten Gerichte zaubert. Sei es nach mediterraner, thailändischer oder marokkanischer Art. Appetitliche Präsentation auf Hand verlesenem Geschirr lassen schon mal das Auge schwelgen, bevor der Gaumen auf seine Kosten kommt.
Immerhin war sie einst Food-Stylistin. Gäste und Gastgeberin speisen gemeinsam am großen Tisch. Es wird viel geredet und gelacht. „Es macht mir Freude“, sagt sie und strahlt aus blauen Augen, „wenn meine Gäste Freude haben“. Wir stoßen auf unsere Begegnung vor 20 Jahren an und kichern wie junge Mädels darüber, dass Töpfern damals keine Option war.
Informationen:
Fotos: Kiki Baron