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Glockenschlag zum Dolce far Niente: im apulischen Ruvo di Puglia

Und auch nur einen Katzensprung ist es zum berühmten Castel del Monte, dem Meisterwerk des Stauferkaisers und „Staunens der Welt“, Friedrich II. (1194 – 1250). Längst ist das spektakuläre Oktaeder zum Wahrzeichen der sonnenverwöhnten süditalienischen Region Apulien gewandelt, zieht jährlich Hunderttausende an.

 

In Ruvo ist die Touristenschar hingegen überaus überschaubar. Das mag ein wenig an Corona liegen, denn im nahen Bari gaben sich im Sommer 2021 ebenfalls Zehntausende Gäste aus aller Welt die Klinke in die Hand. Denn Apulien boomt, natürlich und vor allem in den heißen Sommermonaten. Doch besser noch als in der Hafenmetropole mit Museen, Kunstgalerien, den Kathedralen des Hl. Nikolaus und des Stadtheiligen San Sabino lässt sich in dieser kaum 30.000 Einwohner zählenden uralten Kleinstadt der süditalienische Way of Life besser studieren und miterleben.

Und Ruvo hat natürlich auch einige ganz besondere kulinarische Überraschungen bereit. Beginnen sollte man in einem der schönen Cafés entlang des Corso Cavour, wo zudem Gourmetläden öffnen und Spezialitäten aus ganz Italien anbieten. Keine 50 m weiter kommen zudem Leckermäuler auf ihre Kosten: Dort wird – nach uraltem Familienrezept – die beste Cassata weit und breit hergestellt. Ursprünglich wurde diese Cassata in Glockenform übrigens nur zu Hochzeiten hergestellt. Dort Bräutigam orderte sie und holte sie ab, um sie all denen zu bringen, die nicht am Jubelfest teilnehmen konnten. Ein Gedicht!

Nur wenig Meter weiter liegt die Piazza Dante, wo sich allabendlich die Menschen der Kleinstadt zum Corso einfinden, im Hochsommer Open-air-Kino-Vorführungen und Live-Konzerte genießen und sich die örtliche Jugend gern auch um Mitternacht zu einer Partie Fußball trifft. Natürlich wird vorher ein wenig Luft aus dem Ball gelassen. Das dient der Lärmminderung, ist aber auch Vorsorge gegen etwaige Schäden an den ringsum den Platz parkenden Autos. Rechterhand der Piazza Dante führt der Corso Giovanni Jatta hinauf zur Piazza Matteotti, wo das Rathaus steht und sich Ruvos Altstadt öffnet.

An diesem Corso öffnet Ruvos bester Süßwarenbäcker, die seit 1972 öffnende sagenhafte Pasticceria Berardi. Der Besuch ist hier Pflicht, ebenso gegenüber der durch ein großes, mit einer wunderbaren Bacchus-Figur bemaltes Weinfass kenntlich gemachte Weinladen „Il Vinaio“ („Der Weinhändler“). Hier ist das Reich von Daniele Roselli, der nicht müde wird, die zig önologischen Spezialitäten der Region anzupreisen. Vorneweg steht in diesem heißen Sommer, der rund um Bari Hitzewellen brachte, die mühelos 40 Grad Celsius erreichten, der Rosé-Wein, kurz „Rosato“ genannt. Sie sind überall in Italien in, sieht man einmal vom Aperol Spritz ab, der hier in Apulien indes eher als kräftigerer Campari Spritz geordert wird. Da gibt es herrliche Rosato-Weine, auch als Spumante abgefüllt, vor allem aus dem nahen Murge-Städtchen Gravina, das im neuen, demnächst endlich in den Kinos anlaufenden James Bond-Film immerhin für 15 Sekunden mit einer Verfolgungsjagd über eine uralte Brücke auftaucht.

Es gibt viele kulinarische Überraschungen in den Spezialitätenläden. Foto: Ellen Spielmann
Es gibt viele kulinarische Überraschungen in den Spezialitätenläden. Foto: Ellen Spielmann

Und auch die Rosati aus der Nachbarstadt Altamura sind ganz große Klasse. Dazu hat Daniele Roselli natürlich aber auch die andere Klassiker Apuliens und Süditaliens: Primitivo und Salice Salentino oder den fast unschlagbaren Aglianico del Vulture! Kurios ist indes eine in der Holzbox angebotene Flasche Roter mit dem nicht minder exotischen Namen „Ladykiller“!

Wer vorbei am Gemüse- und Zeitungshändler dann auf die Piazza Matteotti gelangt, sollte nicht versäumen, einen Blick in die Chiesa del SS. Redentore (Kirche des Hl. Erlösers) zu werfen. Gleich am Eingang steht die glänzende Bronzestatue von Padre Pio da Pietrelcina (1887 – 1968), der seit 2002 offiziell Heiliger der katholischen Kirche. Die Statue hier wurde aber schon 1988 eingeweiht, sie schuf Bildhauer Prof. Mario Piergiovanni; Schließlich ist Padre Pio, der angeblich wie Franz von Assisi die Stigmata Christ erhielt, längst so etwas wie der Nationalheilige Apuliens. Ebenso im Eingangsbereich der 1900 – 1955 im Stil von Neo-Renaissance und Neo-Romanik erbauten Kirche befindet sich die Büste des selig gesprochenen Volks-Papstes Johannes XXIII. Der „Beato“ („Selige“) Giovanni XXIII ist längst überholt – seit 2014 ist auch Johannes XXIII. ein Heiliger.

In der kleinen, einst von einer mächtigen Stadtmauer umgürteten Altstadt sollte man auch nicht versäumen, einen Blick in die Chiesa del Purgatorio, die „Fegefeuerkirche“ zu werfen: Hinter dickem Glas ist dort eine besondere Pietà zu entdecken. Sie wurde aus Pappmaché hergestellt, genauer Ende des 19. Jh.s vom Künstler Giuseppe Manzo aus der apulischen Stadt Lecce. Die Fegefeuerkirche wurde im 17. Jh. im späten apulischen Renaissancestil erbaut und 1643 eingeweiht.

Und natürlich ist die Kathedrale ein Muss: Am Largo Cattedrale erhebt sich die Hauptfassade des italienisch „Concattedrale di Ruvo di Puglia“ genannten und Mariä Himmelfahrt (Santa Maria Assunta) geweihten Baus, der im 12. und 13. Jh. im apulisch-romanischen Stil entstand. Das Hauptportal wird von mächtigen Greifen flankiert, über der Rosette ragt die Skulptur „Der Sitzende“ auf, darüber thront nur noch Christus. „Il Sedente“ („Der Sitzende“) repräsentiert höchstwahrscheinlich den Finanzier und Stifter der mit reichen Schätzen und Fresken sowie spektakulären Figuren an den romanischen Säulenkapitellen ausgestatten Kathedrale: Es war Roberto III di Loritello, auch Roberto II di Bassavilla und deutsch Robert III. von Loritello bzw. Robert von Bassunvilla (? – 1182) genannt. Er war Graf von Conversano (ab 1138) und Loritello (ab 1154). Nach so viel Kunst darf es ruhig eine Pause im Open air-Café am Glockenturm sein, der indes schon um das Jahr 1000 n. Chr. als Wachtturm errichtet wurde.

Seine Glocken bestimmen den Alltagsrhythmus von Ruvo, erklingen um 7 Uhr morgens und 21 Uhr abends wie ein Carillon auch in der unvergesslichen Tonfolge eines alten Kirchenliedes!

Ladykiller. Foto: Ellen Spielmann
Ladykiller. Foto: Ellen Spielmann

Gleich um die Ecke öffnet eine kleine Familienkäserei, kenntlich durch eine Plastikkuh am Eingang. Hier sollte man am besten schon früh morgens um 8 Uhr den täglich frisch hergestellten Ricotta, reifen Caciocavallo, frischen oder mittelreifen Scamorza oder auch eine Endlossalami vom Wildschwein einkaufen – jeweils ein Gedicht. Noch schöner ist es aber, vorab im Ristorante „Al Batacchio“ draußen vor der Tür einen Tisch zu ordern. Hier wird von erstklassigem, ultrafreundlichem Personal traditionelle apulische Küche auf moderne Art geboten. Ein komplettes Menü (20 bis 40 Euro) kann, muss man aber nicht bestellen. Im Sommer geht es auf der Speisekarte herunter und wieder hinauf – ganz nach Gusto! Und stets im Endpreis inbegriffen und somit gratis sind am Ende des herrlichen Gelages Obst, Kuchen und geröstete Mandeln! Man sollte einfach mal in Roggenmehl geröstete Sardinen mit Burrata und karamellisierten Zwiebeln probieren!

Oder Bruscetta mit Rucola-Pesto, Cardoncelli-Pilzen und Capocollo aus Martina Franca! Unschlagbar sind zudem das saftige Schwertfischsteak, die Crostini mit Burrata-Creme, schwarzem Trüffel und Schweinelendchen, das Spezzatino vom Rind oder der Schwertfisch-Carpaccio! Kein Wunder daher auch, dass hier der beste aller auf dieser Sommerreise verkosteten Roséweine aufgetischt wurde: Es ist der „Rosato di Primitivo“ aus dem Weingut L`Archetipo, das sich im Örtchen Castellana nahe Altamura befindet. 50 ha werden beackert, 30 davon sind für den Wein reserviert. Dort ist das Reich von Francesco Valentino Dibenedetto, seiner Gattin Anna Maria und der vier Kinder Carlo Nazareno, Domenico, Andrea und Maria Clelia. Erst 2010 als Wein gegründet, wird das Land indes schon seit den 1980er Jahren biologisch und seit dem Jahr 2000 biodynamisch bewirtschaftet. Angebaut werden die autochthonen Klassiker wie Primitivo, Aglianico, Negroamaro, Fiano und Greco, aber auch fast in Vergessenheit geratene lokale Rebsorten wie Maresco, Marchione oder Susumaniello. Eben Archetypisches, das in der in den Tuff gebauten Cantina aufs Wunderbarste reift. Den Rosato von L`Archtetipo gibt es übrigens auch als Spumante. Uns hat indes der normale Rosato von 2020 (13 000 Flaschen wurden abgefüllt), und noch besser der von 2019 gefallen.

Und mit einem Restaurantpreis von gerade 22 Euro (im Laden ca. 15 Euro, online ab 13,30 Euro) war er auch perfekt das Portemonnaie schonend. Er passte am besten zu den heißen Sommerabenden, wurde eisgekühlt mit Mineralwasser „Orsini“ aus Poggiorsini in den Murge serviert und wird nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Wer indes statt eines Schwertfisch-Carpaccio einen solchen vom roten Tunfisch sogar mit Thymian und Orangen-Emulsion serviert möchte, sollte sich in die verwinkelte Altstadt zum Largo Sant`Arcangelo begeben. Dort öffnet das höchst familiäre Ristorante „La Chicca“. Sehr toll sind dort auch die Tintenfischchen („seppioline“) auf Erbsencreme mit gerösteten Nüssen – phantastisch und jederzeit die perfekte Werbung für das keineswegs verschlafene Städtchen Ruvo di Puglia, das nur 12 km von der Adriaküste entfernt liegt.


Information:

Pasticceria Berardi, www.berardi.it

Fotos: Ellen Spielmann

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