Chad R. Pike wuchs im ländlichen Ohio auf, wo ein Bach an seinem Elternhaus vorbeifloss. Der Junge liebte es, für seine Kumpels und sich selbst Baumhäuser zu bauen. So waren sie näher am Fisch, näher an den Forellen. Und sie hatten zudem einen Ort, an dem sie ungestört abhängen konnten.
Im Prinzip tut Pike (das englische Wort für „Hecht“ – nomen est omen) bis heute nichts anderes: Er macht in Häuser und geht Fischen, freilich auf einem anderen, höheren Niveau. Sein Credo lautet: „Wenn Du Erfolg haben willst, musst Du vollkommen fokussiert sein und genau verstehen, was um Dich herum passiert.“ Mit diesem Rezept gelang es ihm 2013, im norwegischen Top-Fluss Alta einen 26,2 Kilogramm schweren und 130 Zentimeter langen Atlantischen Lachs zu fangen. Gut, da gehört immer auch Glück dazu.
Aber es war eben das Glück des Tüchtigen, das er auch im Job an den Tag legte. Bei der Blackstone Group, einer an der Börse notierten US-Investmentgesellschaft, stieg Pike bis in die Chefetage und zum Leiter des Europa-Geschäfts mit Sitz in London auf. Die Firma ist einer der weltgrößten Investoren im Bereich Alternative Anlagen mit Fokus auf Immobiliengeschäfte, Private Equity sowie Kredit- und Hedge Fonds-Strategien. Der von Pike lange gemanagte „Tactical Opportunities Fund“ ist viele Milliarden Euro schwer. Am 4. Juli 2020, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, verabschiedete sich der erfolgreiche Investmentbanker nach mehr als 25 Jahren bei Blackstone mit noch nicht einmal 50 Jahren in den Ruhestand.
Er wusste, dass ihm nicht langweilig werden würde. Alle, die Chad persönlich kennen, bescheinigen ihm eine geradezu jungenhafte Begeisterung für Abenteuer aller Art, allen voran Fliegenfischen und Heliskiing, aber auch Klettern und Mountainbiken an weltfernen Orten. Und er hatte vorgesorgt, 2011 „Eleven Experience“ (EE) gegründet, eine auf luxuriöse Abenteuer spezialisierte Reisefirma mit Top-Unterkünften in Colorado, Island, Neuseeland, auf den Bahamas und an anderen wunderschönen Orten rund um den Erdball, von denen er viele gleich nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 zu günstigen Preisen eingesammelt hatte.
Seine jüngste Perle ist die Rio Palena Lodge im chilenischen Teil Patagoniens in der Region Aysén, wo er 2019 den Zuschlag erhielt. Wie er das mehr als fünf Hektar große Anwesen fand? „Ich liebe es, topografische Karten und Google Maps zu studieren und über die Natur in abgelegenen Regionen zu lesen. Das ist meine nächtliche Lieblingsbeschäftigung.“ Danach ließ er die Lodge mit viel Liebe zum Detail renovieren. Die Federführung lag dabei wie immer bei seiner Frau Blake, die als Interieur Designerin und Innenarchitektin mit ihrer eigenen Firma „Number 12 Interiors“ eine exakte Vorstellung davon hat, wie man aus einer Lodge ein „home away from home“ macht, das keine Wünsche offen lässt.
Weil in Chile strenge Pandemie-Regeln gelten, blieb die Rio Palena Lodge für Ausländer fast zwei Jahre lang verschlossen. Im Januar 2022 bekam ich dann die Chance, die lange Reise auf die Südhalbkugel anzutreten. Mit von der Partie war Brian O’Keefe, ein Urgestein der amerikanischen Fliegerfischer-Szene mit jahrzehntelanger Erfahrung als Berater und Vertriebspartner der Branche, die in den USA für gewaltige 750 Millionen US-Dollar Umsatz steht. Seine Fotos werden von allen wichtigen Angel- und Outdoor-Magazinen gedruckt, von „Field & Stream“ bis zu „Fly Fisherman“, von „Outside“ bis zu „American Angler“. Seit mehreren Jahren ist Brian nun als „Angling Director“ auch für Chad Pikes Lodge-Portfolio tätig und liebt es nach wie vor, mit einer Fliegengerte um die Welt zu jetten.
Tatsächlich ist bereits die Anreise zur Rio Palena Lodge ein Abenteuer für sich. Nach einer Nacht in der von deutschen Auswanderern geprägten Kleinstadt Puerto Varas am Südufer des Llanquihue-Sees mit Traumblick zum Vulkan Osorno geht es am folgenden Morgen mit einer Cessna Caravan von Puerto Montt nach Chaitén. Tief unten sieht man die Carretera Austral, die einzige Straße, die in den Süden Chiles führt. Doch selbst diese ist nicht durchgehend asphaltiert. Zudem müssen mehrere Fähren benutzt werden, um die tief eingeschnittenen Fjorde zu überqueren. Ein halbstündiger Panoramaflug ist da deutlich bequemer. Leider sieht man dabei auch die vielen Aquafarmen, in denen verschiedene Lachsarten gezüchtet werden, die Naturschützern ein Dorn im Auge sind. Die meisten Chilenen sehen das anders, denn die Fischzuchten sind oft die einzigen Arbeitgeber in einer an Naturschätzen reichen, aber an Jobs armen Region.
Von Chaitén sind es dann nur noch gut zwei Stunden bis zur Lodge. Man fährt dabei am gleichnamigen Vulkan vorbei, der eigentlich schon als erloschen galt, dann aber 2008 überraschend ausbrach und im weiten Umkreis Asche regnen ließ. Außerdem touchiert man den Pumalín-Park, der sich nördlich von Chaitén ausbreitet. Es war Douglas Tompkins, der Gründer der Outdoor-Marke „The North Face“ und des Mode-Labels „Esprit“, der hier in großem Stil Ländereien erwarb, um sie unter Naturschutz zu stellen. Tompkins hatte 1989 seine Anteile an den beiden Firmen verkauft und war nach Chile gezogen, um Vollzeit-Naturschützer zu werden. Beim Aufbau seiner Stiftung lernte er Kristine McDivitt kennen, die frühere Chefin von Patagonia, der Outdoor-Marke, die Tompkins‘ Freund Yvon Chouinard gegründet hatte. Das Jetset-Girl, Tochter eines Ölmilliardärs, hatte sich ebenfalls dem Naturschutz verschrieben.
Kristine folgte Douglas 1993 nach Patagonien, die beiden heirateten und zogen in ein Holzhäuschen im Pumalín-Park, wo Tompkins mehr als 4.000 Quadratkilometer gemäßigten Regenwald gekauft hatte. Sie wurden das berühmt-berüchtigte Paar, das Chile in zwei Teile zerschnitt und sich damit nicht nur Freunde machte. Er kämpfte gegen Lachsfarmen, gegen den Ausverkauf der Wälder, gegen Staudämme. Über die Jahre erwarb das Paar immer mehr Land, um es zu Schutzgebieten zu machen.
Am 8. Dezember 2015 waren Tompkins, Chouinard und vier ihrer Kumpels auf dem Lago General Carrera, Chiles größtem See, mit Kajaks unterwegs. So wie jedes Jahr gönnten sie sich einen mehrtägigen Männerausflug. Fast zwei Meter hohe Wellen hatten sie hier schon öfter erlebt, sie wussten damit umzugehen. Doch an diesem Tag machten Tompkins und Chouinard einen verhängnisvollen Fehler. Ihr Kajak kippte, sie fielen ins fünf Grad kalte Wasser und kämpften plötzlich um ihr Leben. Tompkins, der zeitlebens gefährliche Abenteuer überstanden hatte, verlor den Kampf. Er starb im Krankenhaus an Unterkühlung, weil es zu lange gedauert hatte, bis er mit seinem Retter das Ufer erreichte. Erst nach Tompkins‘ Tod verstanden viele Chilenen, was für einen großen Visionär sie verloren hatten. Seine Witwe gab die privaten Schutzgebiete nach und nach an Chile zurück. Kostenlos. Einzige Auflage: Die neuen Nationalparks sollen im Sinne ihrer Erfinder gemanagt werden.
Wenn man auf der Carretera Austral zwischen Chaitén und Coyhaique unterwegs ist, versteht man, warum Tompkins von diesem Stückchen Erde so fasziniert war. Für jeden Outdoor-Sportler ist das ein noch unentdecktes Paradies, eine fantastische Spielwiese: Natur pur mit tosenden Wasserfällen, schneebedeckten Gipfeln und Gletschern; undurchdringliche Wälder, in denen Kolibris und Papageien leben; am Horizont kreisende Kondore; türkisgrüne Seen, in denen es vor Forellen wimmelt und auf denen Wildenten und Gänse ihre Runden drehen. „Es soll hier Flüsse geben, deren Wasser so klar ist, dass die Fische durchsichtige Schwanzflossen entwickelt haben, um sich anzupassen“, erzählt Brian mit einem Augenzwinkern – und er lässt einige Sekunden lang offen, ob er das ernst meint.
Informationen:
Eleven Experience, https://elevenexperience.com
Direkter Link zur Rio Palena Lodge, https://elevenexperience.com/angling-chile
Fotos: Eleven Experience / Brian O’Keefe