Hierher kommt ein Gast kaum zufällig. Viel zu abgelegen ist das kleine so romantisch wirkende Hotel, dass an einem seiner Säulen in der Einfahrt den Hinweis auf „Chambres D’Hotes & Gites en France“ trägt. Über 115.000 Übernachtungsstätten sind in Frankreich in dieser Vereinigung, bieten primär Bed & Breakfast oder Cottage Unterkünfte – alleine im Languedoc-Roussillon sind es mehr als 12.000.
Und unter ihnen befindet sich auch das von uns angesteuerte Domaine de Pélican. Unweit von Saint-Guilhem-le-Désert gelegen, ist das Anwesen ein liebevoll geführtes Landhaus mit langer Tradition. Einst war das Anwesen der „Landpalast“ der in der Region bekannten Familie Laurès, wurde dann um 1850 von der Familie Chavasse – Thillaye du Boullay erworben. Bis in die 1970er Jahre war das Landgut für ihre Wein- und Tafeltraubenproduktion bekannt.
Lage an Lehm-Kalkstein-Hängen
Ab 1980 begannen dann Baudouin und Isabelle Thillaye du Boullay, Winzer der 5. Generation im Weingut Pélican, mit einer Rekonstruktion des Anwesens. Sie bepflanzten die Parzellen zum Beispiel mit den Rebsorten Grenache, Syrah, Mourvedre, Cabernet, Merlot und Marsanne. Insgesamt werden elf Rebsorten verarbeitet. Eine außergewöhnliche Lage an Lehm-Kalkstein-Hängen vermischt das Wachstum der Reben mit Olivenhainen und finalisiert nach der Ernte aktuell vier verschiedene Weine. Das ist die eine Seite des Landguts.
Denn die Domaine de Pélican ist eben auch ein kleines Hotel in der wunderschönen Landschaft der Languedoc-Roussillon. Nur wenige Zimmer gibt es hier, passend eingerichtet zum gesamten Ambiente des Hauses. Im ersten Stockwerk finden sich Räume, die Flügeltüren zum Innenhof des Anwesens haben. Die Einrichtung ist zweckmäßig und durchaus stilvoll. Die Betreiber versuchen den Weintourismus zu hofieren. Dies dürfte ein an sich gutes Konzept sein, zumal schaffen verschiedene Veranstaltungen unter Einbindung anderer Winzer ein interessantes kulinarisches Angebot.
Ein wenig verfallen
Aber allen voran ist in diesem Landgut der absolut fantastische romantische Aspekt im Vordergrund. Denn das Haus wirkt fast wie verlassen, ein wenig verfallen. Aber eben dies macht den Charakter des Hauses aus, den man so vielleicht nur in verschiedenen Regionen Frankreichs findet. Es sind die fehlenden Steine an den Gebäuden hi und da, die Verwitterung der Fassaden, der gegenüber dem Gästehaus befindliche Weinkeller, der seitlich mit einem kleinen Turm seine Bedeutung fast manifestiert.
Die kleine Terrasse an der Seite des Hauses wirkt einfach, das Mobiliar hat sicher schon bessere Zeiten gesehen. Denn die Sonne und die Witterung haben auch hier ihre Spuren hinterlassen. Doch wie bei dem Rest des Landhauses: auch dies komplettiert das Bild dieses ungewöhnlichen Hotels. Wer sich hier in der Region befindet, sollte unbedingt einen Abstecher zur Domaine de Pélican machen.
Abstecher nach Marseillan
Einen Abstecher sollte man unbedingt auch nach Marseillan machen. Vielen Genießern dürfte – und sollte – dieser Ort durchaus ein Begriff sein. Mal ganz abgesehen von den vielen kleinen Restaurants entlang des Hafenbeckens, die alleine schon die Reise wert sind, ist Marseillan bekannt für zwei kulinarische Aspekte: Noilly Prat und Austern.
Ein Rückblick…
Wir schreiben das Jahr 1813. Napoleons Truppen unterliegen in der Völkerschlacht bei Leipzig. Eine Epoche geht zu Ende. Inmitten der Nachkriegswirren Frankreichs steht der 34-Jährige Joseph am Hafenbecken Marseillans, schaut auf das Meer, genießt die Sonnenstrahlen und beschließt die Gründung eines Unternehmens. Direkt am Hafenbecken soll es erbaut werden, hier, wo die Wasserwege den Transport von Waren erleichtern.
Tief im französischen Süden schickte sich der junge Mann nunmehr an, kulinarische Genüsse in Form eines heutzutage weltweit erfolgreichen Getränks zu schaffen und Geschichte zu schreiben: Wermut von Noilly. Und einen schöneren Platz als Marseillan hätte sich der Geschäftsmann dafür wohl kaum aussuchen können, als hier im Süden des Landes, wo die Leichtigkeit des Lebens seine Geburtsstätte haben dürfte. Die kleine rund 8.000 Einwohner zählende Gemeinde im Département Hérault in Languedoc-Roussillon, ist ein wahres Kleinod. Damals wie heute.
Zuchtbänke liefern Kulinarisches
Das vorgelagerte Bassin de Thau erlaubt den Ausblick auf einen für die Region wichtigen Wirtschaftszweig. In Sichtweite liegen geschützt vor dem offenen Meer die Zuchtbänke für Austern und andere Meeresfrüchte, viele Fischarten tummeln sich dort. Durch den direkten Zugang zum Meer haben sich Fische wie Goldbrasse, Wolfsbarsch und Meeräsche angesiedelt. Gerade die Meeräsche ist in der Region ein gerngesehener Gast – vor allem bei den Gastronomen.
Anzutreffen sind die Mugilidae zumeist an Meeresküsten und im Brackwasser, das Bassin bietet von daher den besten Lebensraum. Auf den Tellern in den örtlichen – aber auch überregionalen – Restaurants, ist besonders der getrocknete und gesalzene Rogen (Bottarga / Poutargue) der Äsche zu finden. Und natürlich quellen gerade in dieser Region die Speisekarten über vor Austern- und Miesmuschel-Angeboten. Ein kleiner aber feiner Hot-Spot, der auf der Agenda eines jeden Kulinarikers stehen sollte.
Zwei Kisten Wermut für Amerika
Doch, wie bereits erwähnt, nicht allein die Meeresregion mit ihren Produkten zeichnet sich für den Bekanntheitsgrad Marseillans verantwortlich. Der Wermut von Joseph Noilly, dessen Rezept noch heute wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird und das offiziell nur drei Personen bekannt ist, zog vom Hafen des kleinen französischen Fischerorts aus, die Welt zu erobern. Bereits 1844 erfolgte der erste Export von zwei Kisten Wermut nach Amerika. Der erste Schritt für eine Positionierung der Marke auf dem US-Markt war gemacht.
Noilly Prat ist, gerade mit seinem Produkt Extra Dry, nach wie vor die führende französische Wermut-Marke auf dem amerikanischen Kontinent. Das Unternehmen hatte 1844 bereits den Namenszusatz „Prat“, welcher aus der Heirat Anne-Rosine Noillys, der Enkelin Joseph Noillys, mit Claude Prat, hervorging. Die neue Partnerschaft sorgte für frischen Wind im Unternehmen und folgerte über weitere Generationen ein steigendes Wachstum und eine starke Zunahme der Produktion.
Kaufpreis: 1,4 Milliarden US-Dollar
1971 wurde das Unternehmen durch den italienischen Spirituosenhersteller Martini & Rossi gekauft. Ab diesem Zeitpunkt befanden sich mit Noilly Prat und Martini zwei Wermutmarken unter einem Haus, die die 1970er Jahre in diesem Segment federführend beeinflusst haben. 1994 gingen die Anteile der Familie Martini & Rossi für 1,4 Milliarden US-Dollar an Bacardi über, dass durch den Kauf zu einen der größten Hersteller alkoholischer Getränke wurde.
Und davon profitiert das Unternehmen Noilly Prat noch heute. Mit einem finanzstarken Partner an der Seite, erfolgt die Produktion des Wermuts natürlich marktorientiert, aber das eigentliche Tafelsilber, die Produktion und der gute Name, sind nach wie vor noch Bestandteil des Unternehmens an der Mittelmeerküste. Ein Besuch am Produktionsort, der sich seit 1813 an gleicher Stelle befindet, gibt Aufschluss über ein Handwerk, das noch viel mit Tradition und Liebe zum Produkt zu tun hat.
Fässer Wind und Wetter ausgeliefert
Mastoro geht durch die Reihen. Hunderte Fässer aus kanadischer Eiche sind hier aufgereiht. Verwittert liegen sie bäuchlings auf dem Boden, gegerbt fast, wie ein altes Stück Leder, das zu lange in der Sonne lag. Zwischen 50 und 70 Jahre sind die Fässer alt, die hier auf dem Hof von Noilly Prat liegen und die Basis für den finalen Wermut liefern.
Ein Jahr liegen die Fässer mit den Grundweinen im Außenbereich, ehe sie in die großen Tanks in der Nachbarhalle kommen. Nicht weniger als 43 Kräuter, abgepackt in Säcken zu je sechs Kilogramm, werden für drei Wochen zum „Würzen“ beigefügt und täglich umgerührt. Es ist ein langer Prozess, der als Resultat den Wermut in drei verschiedenen Qualitäten ergibt. Als Extra Dry, Rouge und Ambre ist das Produkt von Noilly Prat erhältlich. Ausgangspunkt sind die Grundweine, die durch bergseitige Fallwinde und salzige Meeresluft in der Region einem speziellen Mikro-Klima ausgesetzt sind. Die traditionellen Produktionsprozesse und die Erfahrung der letzten 200 Jahre schaffen ein rundes Produkt.
Fotos: Michael Schabacker