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Ecuador: Transparenz im Nebelwald

Auf der Satellitenkarte sieht man es genau. Nordwestlich von Quito prangt ein durch und durch tiefgrüner Fleck. Eine Bergkette ist darin zu erkennen und ein tiefes Tal.  Rund um den Fleck franzt die Farbe aus, windet sich um Ackerflächen und Wiesen. Das und noch 285 000 Hektar mehr gehören zu Ecuadors UNESCO Biosphären Reservat Chocó Andino. Was sich als geschlossenes Dunkelgrün darstellt, ist das private Schutzgebiet der „Mashpi Lodge“, 13 Millionen Quadratmeter dichter Bergnebelwald in den Ausläufern der Anden. Vor 20 Jahren etwa hatte Roque Sevilla, seines Zeichens Unternehmer, Politiker und ex-Bürgermeister von Quito, das Areal erworben und so vorm Abholzen gerettet. Denn, wie er sagt, jede Menge gieriger Investoren aus dem Agro – und Bergwerkbusiness wollten sich darauf stürzen und ausbeuten. Nicht zuletzt schlummert unter der unberührten Baumriesenwelt ein Schatz – Gold.

So ganz unberührt war das Terrain freilich nicht. Holzfäller hatten bereits Platz für ein Sägewerk freigelegt. Dann kam Philanthrop Roque Sevilla und setzte sich letztendlich mit seiner Vision durch, das artenreiche Stückchen Urwald zu schützen und für kleine Gruppen von Besuchern zugänglich zu machen. 44 genaugenommen, die Anzahl Gäste, die die „Mashpi Lodge“ maximal beherbergen kann.

Artenvielfalt im Urwald von Ecuador. Foto: Paul Spierenburg
Artenvielfalt im Urwald von Ecuador. Foto: Paul Spierenburg

„Das Schöne war“, sagt der 71jährige, „für das Gebäude mussten wir keinen einzigen Baum mehr fällen“. Es wurde just für die Fläche konzipiert, die für das Sägewerk eh schon abgeholzt war.  In mühseliger Handarbeit, denn große Maschinen hätten in der fragilen Natur Schaden angerichtet, wurde das spektakuläre Glas und Stahl Bauwerk aufgeschichtet. 2011 eröffnet, muss man jetzt von Ferne ziemlich genau hinschauen, um es im Blätterdach zu erkennen.

Umso größer ist die Überraschung, wenn man nach einer guten halben Stunde Geländewagenfahrt über holperige Urwaldpiste drinnen steht. Bodentiefe Fenster, in Restaurant und Bar etwa acht Meter hoch, vermitteln hautnahes Dschungelgefühl. „Wir wollten einen Kokon schaffen, der zeitgemäßen Komfort bietet und das feucht-schwüle Tropenklima aussperrt, aber gleichzeitig von jeder Ecke der Lodge Einblicke in die verzauberte Welt von Nebel, Regen, Licht und Sonne gibt“.

Luxus im Urwald. Foto: Paul Spierenburg
Luxus im Urwald. Foto: Paul Spierenburg

Das ist ihm bis ins letzte Detail gelungen. Von Bett und Bad der großzügig-modernen Zimmer kann man das Spiel bunter Schmetterlinge beobachten. Manchmal flirren Kolibris vorbei, manchmal entdeckt man auf der Baumrinde einen fast durchsichtigen Mini-Frosch, weil gerade ein Sonnenstrahl auf ihn fällt. Dann ist sein pumpendes Herzchen zu erkennen.

Doch wer wollte den Urwald und seine atemberaubende Biodiversität nur aus dem Kokon erleben? Wohl nur der, der Matsch und Nieselschauer scheut. Oder vor Getier Angst hat. Okay, zum Speisen im klimatisierten Saal nimmt man sich noch Zeit. Denn was die Küche dreimal am Tag auf den Tisch bringt, ist feinste Gourmetkost.

Doch dann die Gummistiefel an, das Regencape über und los geht’s ins feuchte Grün. Zahlreiche Exkursionen, angeführt von gut ausgebildeten Naturexperten, sind wie Vollverpflegung im Preis inkludiert. Auf schmalen Pfaden wird das sprichwörtliche hautnah zum realen Haut streicheln. Regennasse Blätter wischen ihre Last an Armen und Beinen ab, dünne Äste verzetteln sich im Haar, wenn man keine Kapuze übergestülpt hat. Und die eine oder andere Wurzel würde sich in den Fuß bohren, wäre keine dicke Sohle dazwischen. So erscheint manchen Gästen das Erreichen der Aussichtsplattform wie eine Befreiung.

Wunderschöne Schmetterlinge in Hülle und Fülle. Foto: Paul Spierenburg
Wunderschöne Schmetterlinge in Hülle und Fülle. Foto: Paul Spierenburg

Doch kaum tief Luft geholt, den würzig-moderigen Duft durch die Nase gezogen und schon tränen einem vor Rührung die Augen. Der Panoramablick über ein Fleckchen ungezähmte heile Natur ist fantastisch. Mashpis Motto „Where the clouds are born“ entfaltet sich zum faszinierenden 3-D-Schauspiel. Jenseits des Tals wabern Nebelschleier um Bergkuppen und Urwald, sinken zwischen Baumriesen in die Tiefe und steigen wieder auf. Im Vordergrund tauchen plötzlich jede Menge Vögel auf: Finkengroße Bergtangare mit grünblaugelbem Gefieder und Plattschnabel-Motmots mit orangem Kopf und langem türkis schillernden Schwanz.

Dann schwebt ein Paar seltener Schirmvögel ein. Er im nachtblauen Gewand, Irokesen-Schnitt auf dem Haupt und leuchtend rotem Blasebalg an der Kehle. Auf einem Baum hat sich ein Aracari niedergelassen, mit seinem mächtigen Schnabel einem Tukan ähnlich. Das Reservat ist Habitat von mehr als 430 Vogelarten. 35 sind endemisch. In etwa dergleichen Zahl sind Kolibris gelistet. Für diese bezaubernden Vögelchen wurde ein spezieller Garten mit Trinkgefäßen eingerichtet. Obwohl man sie dort aus nächster Nähe beobachten kann, ist es bei ihren blitzartigen Bewegungen verzwickt, sie scharf auf den Chip zu bannen.

Vom Hotel geht es direkt in den Urwald... Foto: Paul Spierenburg
Vom Hotel geht es direkt in den Urwald... Foto: Paul Spierenburg

Weil es für Roque Sevilla Herzensangelegenheit war, seinen Gästen auch die Biodiversität der Baumwipfel-Fauna und Flora vor Augen zu führen, hat er sich eine Installation ausgedacht – The Sky-Bike. Eine haarsträubende Angelegenheit, steht man erstmal am Einstieg. Vielleicht muss man deshalb einen Helm aufsetzen. Nützen täte er wenig, wenn man rausfällt. Geht es doch darum ein 60 Meter tiefes Tal am Stahlseil zu überwinden. Daran angehängt ein Gestell mit zwei Sitzen. Bewegt wird es wie ein Fahrrad mittels Pedalen. Die Insassen können so die Geschwindigkeit selbst bestimmen. Das grummelige Gefühl im Magen lässt schnell nach, denn das Auge verlangt volle Konzentration.

Etwa die Hälfte der Strecke geht durchs Urwalddach. In ausladenden Astgabeln herrscht kunterbuntes Leben: Zwischen Bromelien, Moosen und Farnen krabbeln gepunktete Käfer und überdimensionale Ameisen. Baumfrösche verharren im Angesicht eines potentiellen Leckermauls wie tot. Unendlich verzweigte Philodendren haben sich mit ihren gefiederten Riesenblättern wie ein Schutzschild um Stämme gewickelt, beliebte Verstecke von Schlangen, Tarantulas und Kleintieren. Dann kommt 50 Meter nichts mehr. Nur der Abgrund. Es fängt an zu nieseln, der Dschungel tief unterm Sky-Bike dampft. Man möchte dieses einzigartige Erlebnis noch ein bisschen auskosten. Doch am anderen Ende winkt der Guide. „Morgen vielleicht nochmal?“, fragt er. Ganz bestimmt.

Das Reservat ist Habitat von diversen Tierarten. Foto: Paul Spierenburg
Das Reservat ist Habitat von diversen Tierarten. Foto: Paul Spierenburg

Informationen:
 
Masphi Lodge, www.masphilodge.com       

Fotos: Paul Spierenburg

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