Bei diesem Gang packt einen das Gruseln. Eine Backe vom Kabeljau hatte die Speisekarte versprochen, doch was da auf dem Teller liegt, ist wohl eher ein Stück des Kiefers. Samt der extrem spitzen Zähne. Die kann neben dem Haifisch auch mal ein Kabeljau zeigen, gilt er doch ebenfalls als recht gefräßiger Raubfisch, nicht nur zum Leidwesen manches Herings. Die Backe ist natürlich auch dabei, das schneeweiße Fleisch ist sehr saftig und zart geraten. Dazu gibt es eine Art eingedickte Buttermilch mit Pesto von frischem Liebstöckel. Das typische, recht aufdringliche säuerliche Buttermilch-Aroma wird erfreulicherweise von einer angenehmen leichten Salznote übertüncht. Der Fisch wurde übrigens gegrillt, mit der Haut. Die sei ebenfalls essbar, wie die freundliche und aufmerksame Mitarbeiterin versichert.
Kabeljau ist wie viele andere Fischarten ein Klassiker in Island. Kein Wunder, der Nordatlantik ist immer nahe und gerade bei Island sehr sauber. Der Fisch wächst in seinem kalten Lebensraum eher langsam heran, was für ein komplexes, reiches, mildes Aroma mit einer leicht süßlichen Note sorgt. Sahnig-salzige Saucen mit Kräutern wie hier die Dickmilch bilden da einen idealen Begleiter.
Dass Fischkopf so gut schmecken kann. Ein fantastischer Gang. Passt bestens zur Location. Das „Matur og Drykkur“ („Essen und Trinken“) befindet sich in einer ehemaligen Fischfabrik aus dem Jahr 1924 am alten Hafen von Reykjavik. Ende der 60er Jahre wurde sie geschlossen. Ein großes Schwarz-Weiß-Poster an der Wand zeigt Frauen, die im Akkord schuften. Jetzt wird hier gespeist, auf hohem Niveau. Und in einem beeindruckenden Ambiente. Kahle Wände, hohe Decken, der einstige Industrie-Charme lässt sich zumindest erahnen.
Serviert wird traditionelle isländische Küche, mit einer modernen Note. Und besten, regionalen Zutaten. Saisonal, von lokalen Produzenten. Gerne blätterte man dazu in alten Kochbüchern oder anderen Quellen, wo sich traditionelle Rezepte finden lassen. Die werden dann auf kreative Weise weiterentwickelt.Schließlich stammt der Name des Lokals selbst von einem alten Kochbuch aus den 1940ern.
Wie gut die einzelnen Produkte sind, zeigt sich schon bei der Vorspeisenplatte. Etwa bei der Lammwurst. Engelwurz-Samen verleiht ihr eine stark würziges Aroma. Aber auf dem rustikalen Holzbrett befindet sich auch ein krümeliger Weichkäse. Eine Art Ricotta aus Kuhmilch, herrlich mild und hausgemacht. Traditionelles isländisches Flachbrot begleitet die Köstlichkeiten.
Herzhaft und geht es weiter. Und herzlich. Denn genauso ist die Waffel geformt, die nun serviert wird. Aus Kartoffelteig, dazu Lamm-Ragout und eingelegten Weißkohl, eine Art Sauerkraut. Das Fleisch wurde langsam gekocht, und zwar in einem Sud aus IPA, Butter und Senf. Das IPA, es stammt von der Westküste, hört auf den schönen Namen „Ulfur“ (Wolf). Lamm, ein Klassiker der isländischen Küche, gibt es auch als Hauptgericht. Saftig, zart, medium-rare gebraten, mit reichlich Thymian. Der Eigengeschmack ist dabei auffallend mild, so mild, dass man das Fleisch glatt für Rind halten könnte.
Den „Fang des Tages“ verspricht das saisonale Sechs-Gänge-Menü ebenfalls. Seewolf mit einer Art Creme aus Gersten, sowie einer Gremolata. Und einer Kräuter-Gewürzmischung aus saisonalen Kräutern, Fenchel und Apfel. Ausgezeichnet.
Die Desserts sind auch nicht von der Stange, wie die spannende Dreier-Kombi beweist. Buttermilch-Pudding. Gerste. Und Halbgefrorenes. Islands sehr nordische Antwort auf die Granita, die ja bekanntlich aus Sizilien stammt. Dort wird die gefrorene Mischung aus Wasser und Zucker oft mit Zutaten wie Zitronensaft oder Pistazien zubereitet. Hier ist sind es Essenzen der Birke. Dieser Baum wuchs vor Jahrhunderten fast überall auf der Insel.
Das hohe Niveau setzt sich bei den Drinks fort. Etwa mit Erro, einem Cocktail, so köstlich wie interessant. Floki Whiskey, mit Kakao veredelt, von der Eimverk-Brennerei aus Reykjavik, Portwein, und dem Saft von Roter Johannisbeere. Außer einem Eiswürfel hat sich noch eine eigenartige Masse in das Glas verirrt. Von der Konsistenz her eine Art Wackelpudding, aus Cranberries, Apfel und Erdbeeren. So kann man auch hinter dem Bartresen völlig neue und kreative Wege beschreiten.
Essen und Trinken. Und das vorzüglich. Das Lokal macht seinem Namen alle Ehre.