Tatsächlich dürfte Federica Rosy Boffa Pio eine der jüngsten Winzerinnen und Weingutbesitzerinnen Italiens sein. Doch die Grandezza, Gewandtheit und Routine, mit der die 24-jährige aus der Trüffelhochburg Alba in den piemontesischen Langhe den neuen Jahrgang 2018 des nun 141 Jahre alten renommierten Weingutes präsentierte, nötigte hohen Respekt ab. Nach dem tragischen und unerwarteten Tod ihres Vaters Pio Boffa im vergangenen Jahr, steht Federica Boffa Pio nun an der Spitze des Familienunternehmens – und sorgt seither dafür, dass die auf alle Kontinente verkauften Spitzenweine von Pio Cesare auch weiterhin ihren außergewöhnlichen Rang einnehmen.
Gefüllt wurden die Glaser im Tasting zunächst mit dem seit 2016 wieder produzierten Vermouth di Torino Pio Cesare, der nach altem Familienrezept aus einer Mischung von 26 aromatischen Kräutern hergestellt wird. Großmutter Rosy war zeitlebens begeistert von diesem piemontesischen Traditionsgetränk auf Basis des Absinth, das 40 Tage mit verschiedenen gutseigenen Weißweinen mazeriert wird, ehe die richtige Menge von Chardonnay und Moscato von den Weinbergen von Pio Cesare hinzugefügt wird. Dann reift alles mindestens vier Monate in Stahltanks. Das Ergebnis, schlicht wie von Großmutter Rosy bevorzugt nur mit einer Scheibe Zitrone serviert, mundet ausgezeichnet. Großmutter Rosy soll allmorgendlich an einem Gläschen genippt haben, ehe es an die Arbeit ging.
Erfreulicherweise setzte sie sich am 21.11.1952 an den Küchentisch und schrieb die Vermouth-Rezeptur als „Dosierung für 50 Hektoliter“ für die Nachwelt auf! Später produzierte Pio Cesare den aus der Mode gekommenen Vermouth jahrzehntelang nicht mehr, eher nun dank großer Nachfrage das große Revival samt historischem Etikett standfindet.
Die Weindegustation startete dann mit dem Chardonnay Langhe DOC „Piodilei“ 2019 von Pio Cesare – ein reiner Chardonnay und großartiger Weißwein, dessen Trauben auf den familieneigenen Weinbergen „Il Bricco“ in Treiso in der Barbaresco-Zone und bis 2018 auf den Weinbergen von „Colombaro“ in Serralunga d`Alba gediehen. Letzterer wurde ab der Ernte 2018 durch den „Mosconi“-Weinberg in Monforte d`Alba im Barolo-Gebiet ersetzt.
Eine perfekte Entscheidung, denn so repräsentiert dieser mindestens zehn Monate in französischer Eiche gereifte Chardonnay vor allem auch das Ziel des Weingutes Pio Cesare, Weißweine zu erzeugen, die den gleichen Körper, die Komplexität und das Alterungspotential haben wie die großen Rotweine der Region.
Tatsächlich bestand „Piodilei“ („Pio für Sie“) den Test zu Wildfang-Riesengarnelen mit Zitronen-Sesam-Wasabi-Mayonnaise bzw. Trüffelmayonnaise & Zitronen-Sesam-Wasabi-Mayonnaise perfekt. Und im Nachgang stellte sich bei der Zweitverkostung, etwa 90 Minuten später heraus, welche herausragende Qualität dieser intensive Chardonnay besitzt. Er wird übrigens auch schon seit 1985 bei Pio Cesare angebaut. Damals war es eine Revolution, heute ist der Chardonnay von Pio Cesare ein Klassiker der ersten Stunde!
Und tatsächlich dürften auch die weiteren Weißweine von Pio Cesare exzellent sein. Da ist erst einmal der „L`Altro“ („der Andere“), ebenfalls ein Langhe DOC Chardonnay, dem allerdings ein kleiner Teil Sauvignon Blanc beigefügt wurde. Er gilt wegen seiner Frische, Fruchtigkeit und leichten Noten von Vanille als weiterer Favorit bei der Familie selbst. Ein reiner Sauvignon ist dann der „Blanc“ Langhe DOC Sauvignon, von dem jährlich nur 2000 Flaschen abgefüllt werden. Schließlich produziert Pio Cesare auch noch einen Moscato d`Asti DOCG und einen Gavi DOCG. Ganz zu schweigen von der neusten Kuriosität und Rarität, dem Roséwein „Rosy“.
Dieser nur in kleinen Mengen produzierte Rosato aus Nebbiolo- und Syrah-Trauben (!) ist natürlich eine Hommage an Großmutter Rosy, die Enkelin des Gründers Cesare Pio. Denn der hieß tatsächlich mit Vornamen Cesare und mit Nachnamen Pio. Die bis heute gültige Schreibweise des Gutsnamens Pio Cesare erklärt sich denn nur aus den Gepflogenheiten jener Anfangszeit um 1881. 1940 ehelichte Rosy, einziges Kind von Giuseppe Pio, dem Padrone der zweiten Generation, den ebenfalls aus Alba stammenden Ingenieur Giuseppe Boffa. Und die zwei führten das Weingut beherzt durch die schwierige Kriegs- und Nachkriegszeit, ehe ihr jüngster Sohn, den sie Pio genannt hatten, in vierter Generation übernahm.
Zu Variationen von Dim Sum ging es dann bei der Verkostung zu den Klassikern von Pio Cesare über, die wie alle verkosteten Weine aus außergewöhnlich schönen Gläsern von Zalto serviert wurden. Pio Cesare besitzt heute ca. 75 ha Weinberge, die sich wie ein Flickenteppich auf das Barbaresco-Gebiet (in Treiso und San Rocco Seno d`Elvio), die Barolo-Region (Serralunga d`Alba, Grinzano Cavour, Monforte d`Alba, Novella und sogar im fabelhaften Weinberg-Amphitheater von La Morra) verteilen, aber auch außerhalb in Sinio, Trezzo Tinella und Diano d`Alba zu finden sind.
Alle Weinberge liefern ihre handverlesenen Trauben in die Cantina Pio Cesare in Alba, die Weingutgründer Pio Cesare 1881 an historischer Stelle gründete. Heute wandelt man im Weinkeller aus dem 17. Jh. auf vier Etagen abwärts bis hin zu den antiken römischen Stadtmauern des damaligen Alba Pompeia, die um 50 v. Chr. erbaut wurden. Der Flickenteppich der heutigen Weinberge von Pio Cesare hat einen Hauptgrund in der Tradition Piemonts. Früher bauten Kleinwinzer Rebsorten an und vgerkafute4n sie dann später an Kellereien wie Pio Cesare.
Dann aber entschloss Pio Cesare, den Kleinwinzern Angebote zum Kauf der Weinberge zu unterbreiten. Der Grund: Man wollte und will so den die Arbeit im Weinberg besser kontrollieren und so den besonderen Pio-Cesare-Stil kreieren, der die einmalige Qualität und Signatur der Appellation-Weine Barolo und Barbaresco. Den Hauptteil des so nach und nach erweiterten „Rebenparks“ erwarb aber erst Federicas Vater Pio Boffa in den 1970er Jahren. Damals wollten viele verkaufen – es zog viele Dörfler vom Land in die Großstädte…
Information:
Tenuta Pio Cesare: Via C. Balbo 4, www.piocesare.it
Fotos: Pio Cesare, Jürgen Sorges