Die Legende will, dass sich auf dem sogenannten Lech-Hügel der Stadt eines Tages während der Abendröte ein weißer Adler in einer Baumkrone niederließ. Dies Ereignis beobachtete Lech, der Urvater des polnischen Staates und Bruder von Czech, Urvater des tschechischen Staates, sowie Rus, dem Urvater des russischen Staates. Und er beschloss auch hier, exakt auf dem heutigen Lech-Hügel, sein „Nest“ zu bauen und gründete so die Stadt Gniezno. Heute thront hier die Erzkathedrale von Gniezno, auch Primas-Basilika der Mariä Himmelfahrt genannt.
Es ist nicht der einzige Prachtbau auf dem Lech-Hügel, indes sicher der prachtvollste im ohnehin prächtigen, höchst gepflegten und aufwendig restaurierten Ensemble der teils nun auch museal genutzten Bauten im Besitz der katholischen Kirche. Und natürlich lebt auch die legende weiter fort: Einerseits in einem Denkmal zur Legende, das an der die Stadt Gniezno auch touristisch erschließenden Königsroute steht. Andererseits natürlich auch im Stadtwappen von Gniezno wie auch im Wappen Polens: Dort ist der weiße Adler präsent. Und zum Weiß der polnischen Fahne gesellt sich das Rot der Abendröte…
Schon von weitem sieht man die markanten und einladenden Doppeltürme der Erzkathedrale, an der nur wenige hundert Meter entfernt die Landstraße nach Torun (Thorn) bzw. Poznan (Posen) vorbeiführt. Doch nicht immer ist die Zufahrt zu diesem zu den wichtigsten Kirchen Polens zählenden Sakralbau möglich.
Und natürlich entdeckt man in der Erzkathedrale von Gniezno heute ein monumentales, über und über mit Blumen und polnischer Flagge geschmücktes Bronzedenkmal für diesen Kardinal, dem Papst Franziskus am 18.12.2017 den heroischen Tugendgrad zusprach. Am 2.10.2019 anerkannte der Papst auch ein der Fürsprache Wyszyńskis zustande gekommenes Wunder. Seine Heiligsprechung dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein.
Es ist also erst einmal ein Kardinal, dazu der wohl bedeutendste Primas in der Geschichte Polens, der uns aus aktuellem Anlass bei unserem zweiten Besuchs in Polens ältester Königsstadt erst einmal in den Bann zieht. Aber in Gniezno lernt man schnell, wie eng Kirchen- und Staatsgeschichte in Polen miteinander verwoben sind. Denn zwar ist Gniezno sehr alt, eine Burg wird hier schon für das 8. Jh. n. Chr. genannt. Und im 9. Jh. ließ sich hier die Adelsdynastie der Piasten nieder, die dann die ersten Könige Polens stellte. Aber auf die nationale und dann rasch auch die internationale Landkarte gelangte Gniezno erst durch zwei Ereignisse: Den Tod des Bischofs Adalbert von Prag (ca. 956 – 23.4.997), der auf einer Missionsreise zu den Prußen an einem Ort an der Ostsee erschlagen und schon 1999 von Papst Silvester II. heiliggesprochen worden war.
Begraben wurde er dann erst einmal in Gniezno. Denn Noch-Piasten-Herzog und Fast-König Boleslaw I. Chrobry (Boleslaw I. der Tapfere) soll seinen Leichnam gegen Gold in Höhe von Adalberts Gewicht ausgelöst und im Vorgängerbau der heutigen Erzkathedrale beigesetzt haben. Die Reliefs an der 1175 angefertigten Bronzetür an der Erzkathedrale erzählen aus seinem Leben. Durch das zweite Ereignis, den „Akt von Gnesen“ nur ein Jahr später, wurde Adalbert, polnisch Wojciech genannt, auch zum ersten Heiligen Polens. Denn im Jahr 1000 kam es zum „Akt von Gnesen“. Kaiser Otto III. brach zur Wallfahrt nach Gniezno auf, um seinen Freund Adalbert zu Ehren – und um – nach Rücksprache mit Papst Silvester II., das Erzbistum Gnesen zu begründen. Erster Erzbischof wurde Adalberts Bruder Gaudentius. Durch die Einrichtung dieses ersten Erzbistums wurde Polens Kirche unabhängig, was zudem zur direkten Aufwertung der Herrschaft von Boleslaw I. Chrobry führte.
Aus dem „tributarius“, dem Tributpflichtigen des Kaisers, wurde der „dominus“, der Herr Polens. Nicht wenige sehen heute in diesem Akt von Gnesen die Erhebung Boleslaw I. Chrobry zum König – wenn auch nur als weltlicher Akt, indem Otto III. ihm die Krone aufs Haupt setzte. Ganz offiziell zum König samt kirchlichem Segen krönen ließ sich Boleslaw I. allerdings erst kurz vor seinem Tode im Jahr 1025. Da war er sicher der mächtigste Mann Mittel- und Osteuropas, zudem über zig Wege längst intensiv mit den führenden sächsischen Adelsfamilien auch verwandtschaftlich verbandelt. Und so kommen heute Historiker auch zu dem Schluss, dass der Akt von Gnesen eine „Sternstunde“ in der Geschichte der polnisch-deutschen bzw. deutsch-polnischen Beziehungen war. Natürlich wird Boleslaw I. Chrobry mit einem monumentalen Denkmal vor der Erzkathedrale geehrt. In der Kirche dominiert indes der barocke silberne Prunksarkophag für Adalbert/Wojciech von 1623!
Informationen:
Tourismusinformation Gniezno, www.informacjaturystycznagniezno.pl, https://szlakpiastowski.com.pl/de
Stadt Gniezno: www.gniezno.eu
Königs- bzw. Piastenroute in Gniezno: https://traktkrolewski.gniezno.eu/
Fotos: Ellen Spielmann