Noch in den 1960er Jahren döste Umbrien in einem Dornröschenschlaf vor sich hin. Die Musik spielte in Norditalien, dort wurde nach dem Krieg das Geld verdient. Im Zentrum des Stiefels waren viele Straßen auf dem Land noch nicht einmal geteert, Häusern fehlte es an Elektrizität und Wasserleitungen. Hippies und Aussteiger nahmen verlassene Gehöfte in Beschlag und lebten ihren Traum von Selbstversorgung, freier Liebe und antiautoritärer Erziehung. Umbriens bessere Zeit war das Mittelalter gewesen. Als die Renaissance heraufzog, verlagerte sich das politische und kulturelle Zentrum nach Norden. Die Wiederbelebung antiker Kunst und Gedanken, der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, fand in der Toskana statt. Im düsteren Umbrien hätte man gut „Der Name der Rose“ drehen können.
Die Bolzas stammen ursprünglich aus der Lombardei, waren gegen Ende des 17. Jahrhunderts jedoch nach Wien gezogen, als Finanziers der Habsburger. In den Adelsstand erhoben, ließ es sich dort gut leben. Mit dem Niedergang von Österreich-Ungarn gingen die besten Zeiten zu Ende. Antonios Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg in einer ungarischen Kavallerie-Einheit gegen sowjetische Panzer – der Zusammenprall verschiedener Ären hätte nicht pointierter sein können. Ungarns Kommunisten nahmen den Bolzas nach dem Krieg ihre Besitztümer, sie fanden sich in Wien als Flüchtlinge wieder, wo Antonio Bolza auf Baustellen Beton mischte, um seine Familie durchzubringen.
Später siedelte er nach München über und wurde Geschäftsführer von drei Kunstbuchverlagen, die der Agnelli-Familie gehörten. Als man wieder reisen konnte, verbrachte er mit Ehefrau Angelika und den fünf Kindern die Ferien an Sardiniens Costa Smeralda und an anderen schönen Orten Europas. Doch eigentlich missfiel dem Graf die Idee, viel Geld für Hotels auszugeben, mit denen sie dann doch nie ganz zufrieden waren. Er streckte die Fühler aus und entdeckte 1984 durch Zufall ein verwunschenes Stückchen Erde für den Sommerurlaub: Auf einem 1.500 Hektar großen Areal unweit von Perugia standen da in einer von Landflucht geprägten Ecke Umbriens 50 verlassene Bauernhäuser, in der Mitte ein geheimnisvolles Schloss, das ebenfalls bessere Zeiten gesehen hatte. Bolza verguckte sich in eines der Häuser. Es stand nahe dem Weiler San Martino und war flankiert von einem Glockenturm und einer kleinen Kapelle. Eigentlich viel zu groß, doch der Geruch des Thymians, der unter den Autoreifen zerrieben wurde – in den habe er sich damals unsterblich verliebt. Und dieser Duft habe sein Leben fundamental verändert, erinnert sich der heute 78-Jährige.
Bolza renovierte das Haus, fortan fanden die Urlaube hier statt. Doch er wünschte sich etwas mehr Land, etwas mehr Privatsphäre. Also sprach er beim Schlossherrn vor. Bolza wusste, dass Reschio vermutlich nach Resculum, dem lateinischen Wort für Befestigungsanlage, benannt worden war. Dass das Gebiet einst unter etruskischer Herrschaft stand, wie antike Funde nahelegen. Dass um etwa 900 mit dem Bau des Schlosses begonnen worden war, welches über die Jahrhunderte eine wechselvolle Geschichte erlebte. Allein: Die Eigentümer antworteten stets „No“, wollten nicht weitere Landparzellen hergeben. Dann, 1991, änderten sie plötzlich ihre Meinung. Sie luden Bolza ein und eröffneten ihm, dass sie kein Interesse daran hätten, ein oder zwei Häuschen zu veräußern. Er könne aber gern das ganze Land haben.
Drei Jahre zogen sich die Verhandlungen hin. Bolza musste alles auf eine Karte setzen, Vermögenswerte in München verkaufen, doch 1994 war er Herr über ein Stück Umbrien, das sich bis zum Horizont erstreckte. Aber was tun mit diesem Besitz in einer Ecke Italiens, in der die Bolzas kaum jemand kannte, wo die Bauern längst aufgehört hatten, die Felder zu bestellen, wo 50 Häuschen vor sich hin moderten? Natürlich hatte der Graf eine Vision. Ihm war nicht entgangen, dass Umbrien dabei war, die neue Toskana zu werden: noch erschwinglich, authentischer, nicht von Touristen überrannt. Und: Antonio fand in seinem Sohn Benedikt einen kongenialen Mitstreiter. In München geboren, in Kloster Andechs getauft, verbrachte er die Kindheitstage in Hechendorf am Pilsensee vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt, ehe er zum Architekturstudium nach London ging. 1999 kam er zurück. Aber eben nicht nach Oberbayern, sondern nach Umbrien, um die Wiedergeburt, die Renaissance von Reschio zu orchestrieren.
Der Plan des Vater-Sohn-Duos: die alten Häuschen im Auftrag vermögender Menschen behutsam restaurieren; nach deren Wünschen, aber ohne die eigenen Überzeugungen aufzugeben. Das Rüstzeug dafür hatte Benedikt als Architekt ja mitbekommen. Und an Stil mangelte es der Familie ohnehin nie. Außerdem hatten Visionäre wie der Ägypter Samih Sawiris ja vorgemacht, wie sich der Wüstensand von El Gouna in ein Luxusresort verwandeln lässt. Das sollte doch auch mit den umbrischen Hügeln möglich sein. Benedikt, inzwischen mit Donna Nencia Corsini verheiratet, deren Familienstamm sogar eine Beziehung zu Reschio hat, zog ins Schloss, wo alle ihre fünf Kinder zur Welt kamen, die heute zwischen 13 und 21 Jahre alt sind.
„Die Vermarktung der Häuser lief erratisch“, erzählt Graf Benedikt. „Mal verkauften wir drei Jahre lang kein einziges, dann gleich vier in nur zwei Jahren.“ Aktuell seien 28 von 55 restauriert und verkauft. Mindestens ein weiteres Dutzend stehe bereit, bei den anderen sei er zurückhaltend, weil zum Beispiel eine Straße am Anwesen vorbeiführe und er seinen potentiellen Kunden keinen Autolärm zumuten wolle. An neuen Standorten dürften grundsätzlich keine Häuser entstehen. Er habe rechtzeitig dafür gesorgt, dass das ganze Areal als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde – so funktioniert garantierte Alleinlage.
Fünf der Villenbesitzer wünschten sich sogar eigene Weinberge samt Keller und keltern nun ihren eigenen Rebensaft. „Die machen sich da ein bisschen Konkurrenz, nach dem Motto: Wer hat den besten?“, meint der Graf mit einem Augenzwinkern. Er selbst lässt ebenfalls einen Reschio-eigenen Wein produzieren (100 Prozent Sangiovese), dito ein fantastisches Olivenöl. Mit Shelley-Anne Claircourt, Benedikts britischer Assistentin mit inseltypischem Humor, schauen wir uns eine Villa an, die derzeit von ihren amerikanischen Eigentümern nicht oder nur sehr selten genutzt wird. Die Lage raubt einem den Atem, der Infinity-Pool ist ein Hingucker, doch beim Interior Design ist Luft nach oben. Aber vielleicht ist das auch nur Geschmackssache. Und am Ende gilt eben auch hier: Wer zahlt, schafft an. Insgesamt können derzeit acht Villen auch wochenweise gemietet werden. Die Preise beginnen bei 5.000 Euro – pro Tag.
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Fotos: Reschio