In knapp 90 Minuten gelang es, gleich sechs Weinen aus dem Portfolio von Siddùra die Referenz zu erweisen: kein von Zeitdruck getriebener Parforceritt, eher eine gekonnt moderierte Veranstaltung, die jedem Wein und auch der Philosophie des Hausherrn genug Raum zur Entfaltung ließ! Am Ende wartete der italienische Weinjournalist Michele Longo gar mit einem köstlich amüsanten Bonmot auf. Und es bewahrheitete sich das Statement von Direktor Massimo Ruggero: „Siddùra ist Sardinien in einem Glas!“
Über 200 Hektar umfasst das von Kork- und Steineichenwäldern, aber auch viel Wacholder und mediterraner Macchia geprägte Landgut Siddùra. Hier, wo ein kräftiger Seewind, der Maestrale, regelmäßig würzige Meeresluft ins Inselinnere transportiert, besteht allerbestes Mikroklima. Vielleicht legt dieses Extraplus auch der Name der Heimatgemeinde von Siddùra nahe: Es ist das 1800-Seelen-Dorf Luogosanto, im Gallura-Dialekt Locusàntu, sardisch Logusantu, übersetzt „Heiliger Ort“, „Heiliger Platz“. Ideal also, um auf nunmehr 40 Hektar Weinbergen beste Weinreben gedeihen zu lassen. 2019 waren es noch 37 ha. Aber, so Massimo Ruggero, die Weinbaufläche wachse eben mit der Nachfrage der Konsumenten. Und die ist derzeit gewaltig, was sicher auch in Zukunft so anhalten wird. 2008 übernahm das Münchner Ehepaar Gottesdiener das uralte Weingut, Massimo Ruggeri wurde Gutsdirektor.
Noch in den 1950er Jahren beschränkte sich allerdings die Weinproduktion auf den lokalen Markt. Vor allem profitierten auch die auf der nahen Isola della Maddalena stationierten US-amerikanischen Soldaten vom Siddùra-Wein. Seit 2008 ist indes alles anders. Es entstand eine moderne neue Kellerei, die seither allerbeste sardische Weine erzeugt, deren Weine von noch recht jungen Weinbergen stammen. Denn Direktor Massimo Ruggero und der aus der Toskana stammende Önologe Dino Dini ließen ab 2010 sämtliche Weinberge in Höhenlagen von 200 bis 300 m über dem Meeresspiegel erneuern und neu bepflanzen. Aber, so Massimo Ruggero, auch junge Weinberge könnten etwas erzählen. Insbesondere für Nathan Gottesdiener und Gattin dürfte der heutige Erfolg eine besondere Genugtuung sein. Denn nachdem die in München aufgebaute Modegruppe Oui an die nächste Generation weitergegeben worden war, wurde Siddùra zur neuen Herausforderungen und zweiten Heimat. „La terra sceglie noi!“ Die Erde wählt uns aus – und keineswegs umgekehrt! Es sind solche Kernsätze von Massimo Ruggero, die aufhorchen lassen. Denn tatsächlich ist wohl eines der Erfolgsgeheimnisse von Siddùra die ebenso elegante wie harmonische Verknüpfung von Tradition und von Intuition geprägter Avantgarde. Ganz zu schweigen davon, dass Siddùra umgehend zu Sardiniens erstem Öko-Weingut avancierte!
Gepflanzt wird auf dem Weingut vor allem die im 19. Jh. aus Korsika importierte Vermentino-Rebe. Sie okkupiert 60 % der Weinberge. Die restlichen 40 % machen die uralte sardische Traditionsrebe Cannonau und weitere rote Rebsorten aus. Und folgerichtig starten wir unsere Verkostung mit gleich drei Ausdrucksformen des Vermentino di Gallura. Und diese Rebsorte ist, vor allem dank des Terroirs, durch Verwitterung von Granit entstandene sandige, eher karge Böden, und der Pflege und Auslese der Trauben im Weinberg eben einfach etwas intensiver als andere Vermentino-Rebsorten.
Und tatsächlich besitzen Vermentino-Reben etwa aus der toskanischen Maremma oder der Lunigiana den gleichen genetischen Aufbau, doch erreichen sie wohl nicht die Klasse des Vermentino di Gallura. Und natürlich spielen auch die Annate, die Jahrgänge eine große Rolle. So war laut Massimo Ruggero das Jahr 2017 perfekt, das Weinjahr 2018 dank ausreichend Regen im Mai ein reguläres und das Jahr 2019 mit weniger Regen ein sicher schwierigeres Jahr. Schließlich ist da noch das Weinjahr 2016 – außergewöhnlich, aber dazu später.
Den Start der Vermentino-Verkostung machte dann der Siddùra Spèra Vermentino di Gallura DOCG 2020, ein reinsortiger Vermentino. Spèra bedeutet im Gallura-Dialekt „Lichtstrahl“, und der Name steht natürlich auch für die intensive Sonneneinstrahlung auf Nord-Sardinien.
Hinzu kommen der stete Seewind, der Granitschotter der Böden und das daraus resultierende Mikroklima. Dies führe, übrigens nicht nur bei diesem Wein, stets auch zu einer speziellen Note von Wacholder, der ringsum wächst und so dem Vermentino aromatisch zufällt. Der Spèra ist ein traditioneller Vermentino „von einst“, doch natürlich in einer weitaus raffinierteren modernen Version. Ihn zeichnen Frische, Mineralität, Würze und Authentizität aus – eine Werbung für die Gallura. Zur strohgelben Farbe mit leicht grünlichen Reflexen kommen zarte Aromen von weißen Blüten, mediterraner Macchia und fruchtigen Zitrusfrüchten – samt Bittermandel-Finale.
Zweiter Wein der Verkostung ist der Siddùra Maìa Vermentino di Gallura DOCG Superiore 2019, auch er in 100 %-Vermentino. Maìa meint im Gallura-Dialekt „Magie, Zauber“. Maìa ist so etwas wie der erste Signature Wine des Weingutes, da er schon seit 2011 abgefüllt wird. Er reift zehn Monate in Edelstahl und beeindruckt durch seine intensive gelbe Farbe, seine Frische und elegante Einfachheit, durch Noten von gelben Früchten und weißen Blüten und typischem Mandel-Finale. Und natürlich sollte man einen magischen Vermentino di Gallura wie diesen nie ohne Begleitung trinken. Dies betrifft natürlich nicht nur die menschliche am Tisch, sondern das Essen selbst. Perfekt wäre z. B. sardisches Brot, etwa das aromatische „Galanu“ Pane Guttiau aus dem Bergdorf Orgosolo in der sardischen Provinz Nuoro. Es entsteht aus Mehl (Farina di Grano), Wasser, Hefe, Bierhefe, Olivenöl und Salz und bietet bei 451 kcal pro 100 Gramm die allerbeste Grundlage zur Sommermahlzeit. Perfekt wäre auch sardischer Schafskäse, etwa der gereifte Pastorino Sardo der Kooperative CAO (Cooperativa Allevatori Ovini) aus Oristano. Einfach ein Gedicht.
Und natürlich erfüllt dieser Zauberwein mit einem Hauch von Costa-Smeralda-Feeling auch die Bedürfnisse der mehr und mehr jüngeren Konsumenten: Sie wollen eben vorrangig Frische und Einfachheit, die „Erzählung“ zum Wein taucht dann in der Wichtigkeitsskala viel später auf.
Information:
Societá Agricola Siddùra, www.siddura.com
Fotos: Siddùra