Die polnische Woiwodschaft Kujawien-Pommern wurde erst 1999 eingerichtet. Bydgoszcz, das einstige Bromberg ist die größte Stadt der Woiwodschaft, wo auch der Woiwode residiert. Toruń, einst Thorn, ist der andere Verwaltungssitz. Kujawien-Pommern gilt neben Großpolen als Keimzelle Polens. Im Mittelalter kämpften die Fürsten Kujawiens mit den Kreuzrittern des Deutschen Ordens und legten das Fundament zur Gründung Polens.
Die Weichsel, die insgesamt 1047 Kilometer ang ist, teilt Kujawien-Pommern in fast zwei gleichgroße Hälften. Bisher steht die Weichsel und ihre Nebenarme touristisch bei Wassersportlern vor allem für Kajaktouren hoch im Kurs. Längst ist es Zeit darüber hinaus, die neu belebten lokalen Traditionen der Unterweichsel zu entdecken und zu genießen.
Pjotr Lenart ist zweifellos der mover und shaker des erfolgreichen Projekts „Niech Cię Zakole“, was frei übersetzt „Zu Tisch an der Biegung der unteren Weichsel“ bedeutet. Es handelt sich primär um kulinarische Routen, die den „Blick in die Speisekammern an der Biegung der unteren Weichsel“ werfen. Das Unternehmen wurde 2016 mit viel Elan und EU-Unterstützung ins Leben gerufen um den kulinarischen Reichtum und Traditionen des unteren Weichseltals zu präsentieren.
Längst stehen große Teile des Gebiets unter Natur- und Denkmalschutz: der Weichsel Landschaftspark erweiterte sich Schritt für Schritt seit 1985. Die Idee ist die poetische Landschaft des Flusses, die Sightseeing Punkte in einer kulinarischen Route zu verknüpfen und so die Entdeckung neuer lokaler Produkte (Fisch, Geflügel, Fleisch, Gemüse, Bier, Wein) zu ermöglichen. Vom Bauernhof frisch auf den Tisch!
Städter raus aufs Land zu locken um Neues zu erfahren, lautet die Devise und am Ende des Ausflugs als krönenden Abschluss ein Mittagessen oder ein Abendessen zu genießen. Covid-Pandemie und jetzt der Krieg sind natürlich zwei harte Schläge für das Projekt, was internationale Gäste betrifft. Aber Pjotr, der Koordinator der Vereinigung (er spricht neben Polnisch fließend Französisch) und sein Team bleiben optimistisch. Inzwischen gehören 15 Orte links und rechts der Weisel zum Netz darunter sind Restaurants, kleine lokale Produzenten, Züchter, touristische Attraktionen.
Die „Aborigines von der Weichsel“
Unser erster Stopp ist an der Stary Mlyn (Alten Mühle) nahe der Ortschaft Gruczno am westlichen Weichselufer, ca. 25 km nördlich von Bydgoszcz. Das Dorf hat 12.300 Einwohner.
Große Holzskulpturen und einige Mühlsteine säumen die Zufahrt zur Stary Mlyn. Die Alte Mühle ist ein Fachwerkbau aus dem Jahr 1888. Sie wurde ursprünglich von einem Deutschen, Paul Hermann, betrieben. 1998 stellte die Mühle ihren Betrieb ein, heute gehört sie einer gemeinnützigen Organisation, der „Gesellschaft der Freunde des unteren Weichseltals“.
„Laboratorium Smaku“ (Geschmackswerkstatt) verkündet das Schild auf der winzigen Holzhütte daneben. Wir sind angekommen im Aktionszentrum des „Niech Cię Zakole“. Zur Mühle gehört ein großes in breiten Terrassen ansteigendes Gelände. Alte Ackergeräte, ein Traktor, viele Bienenstöcke, ein großer Brotbackofen zeugen von landwirtschaftlichen Aktivitäten.
An der Alten Mühle wird seit 2006 jährlich im August das regionale Festiwal Smaku (Geschmacksfestival) ausgetragen. Der Ort geriert zum kulinarischen Hot Spot des unteren Weichseltals. Mindestens 450 Aussteller nehmen teil, sie bieten ihre Produkte in eigens eingerichteten „Alleen“ an. Es gibt also eine „Honig-“, „Bier-“, „Fleisch-“, „Backwaren“- „Käseallee“.
„Slowfoodprodukte“ haben seit einigen Jahren ihre eigene Straße. Alle Produzenten können am ausgeschriebenen Wettbewerb teilnehmen, 4-5 wichtige Auszeichnungen sind zu gewinnen. Pjotr Lenart, der in Ostromecko selbst lokal produziert, hat schon drei Preise gewonnen: für Fleisch, Fisch und Rapsöl. 2022 geht er mit Lamm- und Gansdelikatessen an den Start. Das Festival erfreut sich einer wissenschaftlichen Begleitung. Für einen großen Stand fallen 500 für einen kleinen 100 Euro Mietgebühren an. 15.000 Besucher kommen jährlich zum Geschmacksfestival, das auch mit Musik und Theater aufwartet. Der Eintritt ist frei.
Übrigens übernachten alle Aussteller auf dem Gelände der Alten Mühle, also ein Gaudi ohne Ende. Unter anderem dürfte „Gruczniak-Bier“ aus der Regionalbrauerei in Gruczno in großen Mengen fließen. Gebraut werden vier Biersorten, u.a. auch Pils und dunkles Bier. Auf dem Etikett ist die Alte Mühle abgebildet. Als „Aborigines von der Weichsel“ bezeichnen sich die Festivalunternehmer in der Emailanschrift. Mehr Traditionsbewusstsein mit Augenzwinkern geht nicht.
Informationen:
Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel
Kujawsko-Pomorska Organizacja Turystyczna K-POT, www.kujawsko-pomorskie.travel
Projekt „Niech Cię Zakole mit Trail „Szlak Kulinary Dolnej Wisley“: www.niechciezakole.pl
Gänse- bzw. Gänsefleisch-Route: www.czasnagesine.pl sowie www.czasnagesine.pl/pages/19/gesinowy-szlak-kulinarny
Kulinarisches Erbe Kujawien und Pommern: www.kujawsko-pomorskie.travel/pl/content/siec-dziedzictwo-kulinarne-kujawy-i-pomorze
Alte Mühle Gruczno, www.festiwalsmaku.eu
Fotos: Jürgen Sorges, pixabay