Foodie

Zukunftsweisende ’Botanische Küche’ in Nijmegen (Teil 2)

Als Gast im „De Nieuwe Winkel“ wird man sogleich „infiziert“: die offene Küche und das Speisezimmer sind im schlichtem Chic gestaltet. Überall, auch auf dem langen Baumstamm-Esstisch mit Platz für 24 Personen, stehen hohe Vasen mit Zweigen, Ästen und Beeren, die sich möglicherweise auch als Teile des Menüs wiederfinden könnten. Die Designer-Lampe in Tischlänge mit Schirmen aus Alutellern ist ein sensationeller Hingucker. Offene, gefüllte Regale mit ihren handschriftlich etikettierten Gläsern und Flaschen erinnern eher an Großmutters Einweckkeller. In diesen Gläsern fermentieren farbenfroh die Funde aus Wouter van Ecks „Food Forest Ketelbroek“ und dem „Ommuurde Tuin“-Gemüsegarten. „Scoby“ steht vielfach auf den Etiketten. Der Fermentierpilz, eine Symbiose aus Milchsäure, Essig und Hefebakterien, wird auch für Kombucha benutzt. An den Inhalten wie Shiitakepilzen, Magnolienblättern oder Fenchel leistet er ganze Arbeit, die kann bis zu 14 Tage dauern.

Code geknackt

Emile bezieht sein begeistertes Team, das immerhin 25 Mitarbeiter zählt, in jeden Planungs- und Arbeitsschritt mit ein. Alle möchten, dass sich die vielen Herausforderungen, die der Klimawandel an uns stellt, auch auf den Tellern widerspiegelt. „Wir müssen den hohen Fleischkonsum loswerden“, betont Emile immer wieder. „Weniger Fleisch, mehr Pflanzen in der Ernährung!“

Auf der Menü-Karte heißt es dann unter anderem: „Young Cheese“ – two trees that are 40 meters apart. Chinese mahagoni and almond“/ Junger Käse – zwei Bäume, die 40 Meter voneinander entfernt stehen. Chinesischer Mahagoni und Mandel.

Wir haben den Code für cremigen, intensiv schmeckenden Mandelkäse geknackt, freut sich Emile, „dank der Hilfe unserer Tellerwäscherin Polona, die in ihrer Freizeit vegane Rezepte ausprobiert. Ihr goldener Tipp war, fermentierten Bulgur für mehr Geschmack und ein weiches Mundgefühl zu verwenden“.

Chinesisches Mahagoni ist in China ein weit verbreitetes Gemüse“. Die gefiederten Blätter haben einen ähnlichen Geschmack wie französische Zwiebelsuppe. Im Gericht verwende Emile sie als leuchtend grün gefärbtes Öl. Durch die Alterung der Mandeln werden sie komplett schwarz. Es dauere bis zu 40 Tage bei 60 °C, um diesen Prozess zu beschleunigen. Als grobe, schwarze Mandelpaste gebe es dem Gericht etwas Textur. Die Mahagoni-Zweige behandelt Emile wie Rinderknochen, macht eine Brühe daraus. „Komischerweise erinnert das Aroma des Holzes an Hühnersuppe“, lacht er.

Emile’s Mandelkäse: Young Cheese – two trees that are 40 meters apart. Chinese mahagoni and almond. Foto: Uta Petersen
Emile’s Mandelkäse: Young Cheese – two trees that are 40 meters apart. Chinese mahagoni and almond. Foto: Uta Petersen

Wein von einem „Haufen Fanatiker“

Ein Universum der Aromen und Genüsse. Ebenso farbenfreudig die Inhalte der Flaschen, in denen köstliche Apéros und Wein-Alternativen vor sich hinarbeiten. Da ist etwa der „Baumtee“, ein Aufguss aus Weidenrinde, kombiniert mit Quittensaft und aromatisiert mit Wacholderbeere und Zitronenverbene. Oder „Traubensaft“, aufgegossen aus Petersilie, Salbei, Rosmarin und Thymian, ergänzt durch Aroniabeere – alles aus dem Lebensmittelwald. Und ein Vergnügen für Sommelier Tobias Visser, der mit Hilfe von Thea Carlson und Hubert Hecker (für Bier) diese Geschmäcker überzeugend präsentiert.

Selbstredend kann Emile auch auf ein stattliches Weinangebot zugreifen: „Wir arbeiten mit einem Haufen Fanatiker zusammen“, lacht er. „Maison En Belles Lies“, gegründet von Pierre Fénals, Biochemiker und ursprünglich Biologe. Er verzichtet auf jegliche Form von üblichen Produkten für die Weinwirtschaft. Keine Enzyme, keine Hefen, keine Stabilisatoren und keine Säuren. Er klärt nicht, er filtert nicht! Und verwenden kaum Sulfite. Und das macht Weine gut. Zumindest, wenn Sie natürlichen Burgunder mögen… „

Im März ernten Emile und Wouter dann Brennnessel (Nessel), Blätter der ‚Indischen Pflaume‘ aus Kanada mit Gurkengeschmack, den wuchernden Gemahlene Holunder/Giersch und Geißbock/Gagel sowie die Wiesen-Schaumkraut-Kuckucksblume, auch die sogenannte Oregon-Pflaume ebenso wie Weinberg-Lauch, der schon in der Odysse erwähnt wurde.

Pompoen: Flaschenkürbis mit Kürbis-Toffee und Hirschhornwegerich. Foto: Duncan de Fey
Pompoen: Flaschenkürbis mit Kürbis-Toffee und Hirschhornwegerich. Foto: Duncan de Fey

Nixtamalisierung

Stets kommen Emile und Wouter auf neue Ideen. Schon im Februar, auch jetzt im März und dem Frühjahr gedeihen die Triebe von Spargel und Bambus. „Grüne Blätter ernten wir zwölf Monate im Jahr, Triebe wie Spargel und Bambus hauptsächlich im Frühjahr und Sommeranfang“, sagt Wouter, der u.a. auch Aktivist und Lobbyist für „Friends of the Earth Niederlande für Ernährung und Landwirtschaft“ war. „Jede Menge Früchte von Sibirischer Blaubeere im Mai, natürlich essbare Blüten im Sommer, die meisten Nüsse im September und Oktober, bis zu den Mispeln im Dezember.

In diesem Jahr konzentriert sich Team Emile darauf, mehr Anwendungen für den Bambus zu finden. „Wir erwarten dieses Jahr eine reiche Ernte und denken über die Technik der „Nixtamalisierung“ nach, die zur Herstellung von Tortilla verwendet wird. Dies’ könnte die Lösung sein, um die faserige Textur zu erweichen“.

Schokolade aus dem Wald?

Die Menüfolge, die von Küchenchef Pau Pociello, den Junior-Sous-Chefs Tim Van de Griend und Paul Weijers aufgetragen wird, enthält Überraschungen und Geschichten von neuen wie bekannten Aromen, ungewohnte Konsistenzen in völlig neuer Präsentationsform.

Krönender Abschluß eines Menüs ist Emiles „Forest chocolate: No chocolate based on chestnuts. With porcini mushrooms, pine cone and quince“: Keine Schokolade, basierend auf Kastanien. Mit Steinpilzen, Tannenzapfen und Quitte.

„Alle Elemente in diesem Dessert sind im Wald zu finden“, sagt Emile. „Durch Zufall entdeckten wir, wie man aus Kastanien etwas machen kann, das nach Schokolade schmeckt. Erst nach zwei Wochen wurde mir klar, was wir taten. Wir haben Kakaobohnen aus der Gleichung entfernt und durch Kastanien ersetzt“. Schokolade ist also nicht unbedingt Kakaobohne? „Nein, sondern fermentierte und geröstete Kakaobohnen“, sagt Emile. „Dadurch ist es möglich, sie zu ersetzen und ein Ergebnis zu erzielen, das dem Original ziemlich nahekommt. Wir machen also daraus Schokoladenmousse und würzen es mit getrockneten Steinpilzen. Die Säure stammt von kandierten Tannenzapfen und Quittenkompott”.

Gerührt

Emile ist ein unermüdlicher und unentbehrlicher Pionier in Sachen Ernährung und Genuss! Einer, der scheitern als Investition und Lernprozess begreift, dabei weiter und weiter geht. Er ebnet damit anderen den Weg, bleibt bei allem Enthusiasmus gelassen wie auch kritisch. Seine Überzeugungskraft als Koch erreicht seine Gäste unmittelbar. Aus dem Überangebot der ungestörten Natur liebt Emile besonders „Chawanmushi“, ein gedünsteter herzhafter Pudding, der auf einem Aufguss des Holzes des chinesischen Mahagonis basiert, garniert mit japanischen Walnüssen. Seine Geschichte dahinter zu erfahren, über das Staunen, Testen, Scheitern und schließlich dem Erfolg, eine Brühe zuzubereiten, die endlich nicht mehr bitter war, hat tatsächlich schon einige seiner Gäste zu Tränen gerührt.

Informationen:

Restaurant DE NIEUWE WINKEL in NIjmegen/DNW, www.denieuwewinkel.com 

Food Forest Ketelbroek/Voedselbos Ketelbroek, www.voedselbosbouw.org/ketelbroek 

Nachhaltig zentral logieren im „Guest House Vertoef“, www.guesthousevertoef.com/nl/ 

Fotos: Duncan de Fey, Uta Petersen

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