Im „Bieberbau“, einem Sterne-Lokal in Berlin, werden die „verbotenen Früchte“ den Gästen serviert. Zuvor wurden sie eingefroren, abgekocht und eingeweckt. Nun drohen keine Magenschmerzen mehr, nun seien sie völlig harmlos, versichert die Servicekraft. Gut verdaulich und schmackhaft. Nicht mehr so bitter, sondern eher herb-süß. Ähnlich wie die Preiselbeeren, als Chutney oder Gelee beinahe ein Muss für Rehbraten oder andere Wildgerichte. Die Vogelbeeren, auch Eberesche genannt, sind da eine interessante Alternative, schon wegen ihres hohen Gehalts an Vitamin C. Hier begleiten die Beeren, pur und gänzlich unverändert, Filetstücke vom Wildschwein.
Das Fleisch, gebettet auf Jus von eben diesem Tier, es wurde übrigens im Fläming erlegt, ist tadellos, zart und rosa gebraten. Hervorragend auch die Beilagen. Die Bucheckern, knusprig und nussig, selbstredend aus der Schale befreit. Der Rotkohl, schonend gegart sowie als fruchtiges Gel. Doch der eigentliche Star bei diesem rundum gelungenen Hauptgericht ist die Schwarzwurzel. Hier umhüllt eine hauchdünne Scheibe ein fein gewürztes, mit Haferwurzeln angereichertes Püree, in dem sich noch kleine Stücke der Schwarzwurzel befinden. Nie hat dieses Wintergemüse, das immer noch eher ein Schattendasein fristet und meist in weißer Mehlschwitze zwangsbaden muss, so gut gemundet. Ein kulinarisches Kunstwerk, zu dem der Shiraz, Jahrgang 2017, vom südafrikanischen Weingut Villiersdorp, sehr gut passt. Wer sich stattdessen für Fisch entscheidet, wird mit dem weißen Heilbutt, so frisch wie bissfest, mit Rettich ebenfalls bestens bedient.
Spätestens hier wird deutlich, dass das Team um Inhaber und Küchenchef Stephan Garkisch aus regionalen und saisonalen Produkten bester Qualität alles, aber wirklich alles herausholt. Kräuter aus dem eigenen Garten in einem Brandenburger Waldstück sowie erlesene Gewürze helfen dabei. Das Resultat: eine Küche, bodenständig, im positiven Sinne, und regional. Aber zugleich raffiniert, modern und kreativ, ohne abgehoben zu sein. Kulinarische Verrenkungen und gewagte Experimente hat man hier nicht nötig.
Das beweisen auch die weiteren Gänge. Etwa die Gelbe Beete Suppe mit Ananas und Meerrettich, verfeinert mit Seidentofu und Erbsenkresse. Säure und Süße, perfekt ausbalanciert. Oder die weiße Schokolade mit Agenpflaume, Birne, Dill und Estragon, eher fruchtig als süß. Die Tester vom Guide Michelin belohnen dieses Können seit November 2015 regelmäßig mit einem Stern.
Hinzu kommen die extrem fairen Preise. Selbst für die Weine, ob offen oder in der Flasche, wie die weiteren Getränke. Kein Wunder, dass die Gäste gerne wiederkommen. Auch an diesem Abend an einem frostigen Donnerstag ist das Lokal bis auf den letzten Platz besetzt. Ein Paar ist eigens aus dem Köln mit dem Flieger angereist. „Wir haben sogar Stammgäste aus New York oder Israel“, sagte Mitinhaberin und Sommelière Anne Garkisch.
Dabei ist die Lage alles andere als zentral. Wilmersdorf. Tiefer Berliner Südwesten, ruhige Nebenstraße. Ein unscheinbares Gebäude in einer unscheinbaren Wohngegend. Doch kaum eingetreten, wartet auf die Besucher ein prächtiger Saal mit Fachwerk, Stuck und Bildhauerarbeiten – das Atelier und Wohnhaus wurde 1893 /94 von Wilhelm Walther für den Bildhauer Richard Bieber erbaut. Während das Gebäude im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, hat der denkmalgeschützte Innenraum wie durch ein Wunder überlebt. Im Hintergrund, läuft, dezent und leise, „Coffee Table Jazz“.
Ein passender, würdevoller Rahmen, so gediegen, so individuell wie die Küche. Besonders bei dem handgeschöpften Käse mit persischer Wildfeige, Radicchio und etwas Rosmarin zeigt sich die unverwechselbare Handschrift. Gereifte Rohmilch und Schaum vom Käse. Das Aroma ist intensiv, extrem streng. So streng, dass man die Milch von eher meckernden statt muhenden Zeitgenossen vermutet. Tatsächlich stammt sie von der Kuh. Rohmilch, versetzt mit Camembert-Sporen sorgen für das spezifische Aroma. Eher ein Genuss für den fortgeschrittenen Gourmet.
Wirklich jedem munden dürfte die Amuse-Bouche. Eine Suppe aus gelber Erbse, Curry, Gel von der Preiselbeere, Rotkohl und Rosmarinöl. Diversen, köstlichen Aromen gelingt ein perfektes Zusammenspiel. Ein absoluter Höhepunkt. Hier passt das Lob eine weiblichen Gasts einige Tische weiter nur zu gut: „Sensationell“.
Alle sechs Wochen entwickelt das Team neue Gerichte. Wiederholungen seien ausgeschlossen, versichert Anne Garkisch. Die Inhaber setzen so weit wie möglich auf Regionales. Fleisch und Fisch stammen immer von lokalen Erzeugern. Obst und Gemüse so weit wie möglich, je nach Saison. Die Vogelbeeren stammen übrigens aus der Schorfheide. Anne Garkisch: „Von uns eigenhändig gepflückt.“
Informationen:
www.bieberbau-berlin.de
Fotos: Fritz Hermann Köser