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Valdichiana: Chiusi und Cortona

Da ist natürlich erst einmal das schon 1871 eröffnete Nationale Archäologische Museum an der Via Porsenna, die nach dem berühmtesten Etruskerherrscher und Priesterkönig von Chiusi benannt ist. Mit dem Reichtum Chiusis im Rücken belagerte dieser Lars Porsenna 506 v. Chr., nach anderen Quellen 508 v. Chr., sogar Rom. Doch Lars Porsenna, den Namen kann man getrost auch mit „Lars, der Warlord“ übersetzen, drang wohl nicht in die Tiberstadt ein. Andererseits: Das berühmte, auch von Plinius dem Älteren beschriebene, von Pyramiden gekrönte Mausoleum des Porsenna wurde nie entdeckt. Allerdings beschrieb Plinius der Ältere auch das zum Mausoleum gehörende Labyrinth des Porsenna.

Heute kann man das „Labirinto di Porsenna“ natürlich in Chiusi besuchen. Es befindet sich zu großen Teilen unter dem Dom von Chiusi und kann mit dem Diözesanmuseum der Kathedrale am Domplatz 1 besichtigt werden. Aber die größten Schätze birgt natürlich direkt gegenüber das Archäologische Nationalmuseum, das auch die spektakulären etruskischen Gräber außerhalb von Chiusi verwaltet. Derzeit sind sie wegen Covid-19 aber nicht zu besichtigen. Immerhin: Dort wurde Mitte des 129. Jahrhunderts eine der berühmtesten Keramiken der Antike entdeckt. Die Francois-Vase. Sei steht heute im Archäologischen Nationalmuseum von Florenz und musste schon geflickt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts ließ sie ein Museumswärter fallen – und so ist sie nun ein schön rekonstruiertes „Scherbengericht“! Unterirdisch angelegte etruskische Kellertunnel bietet natürlich auch Chiusis Stadtmuseum, das Museo Civico, mit seiner „Cittá Sotteranea“, der unterirdischen Stadt. Und auch hier kann man gewaltige Zisternen bestaunen und die Etruskerzeit hautnah nacherleben.

Der eigentliche Höhepunkt im äußerst beschaulichen, sich durch hohe Lebensqualität auszeichnenden Städtchen ist dann aber eine kulinarische Einrichtung nahe dem perfekt restaurierten Rathaus an der Piazza XX Settembre. Hier öffnet das Ristorante Il Grillo è Buoncantore („Die Grille ist eine gute Sängerin“). Es ist eines der großen Entdeckungen der diesjährigen Toskana-Reise, das man nie verpassen sollte. Alles geht hier auf Tiziana Tacchi zurück, die 2001 dies exklusiv dem Gedanken von Slow Food verpflichtetes Restaurant eröffnete, zudem in der Küche zaubert und den Gästen auch als Sommeliere zur Verfügung steht. Denn sie sucht die 200 verschiedenen angebotenen Weine aus. Ihr Gatte Stefano sorgt derweil umsichtig im Restaurant für die Betreuung der Gäste an den 40 Plätzen.

Tartar im Ristorante Il Grillo è Buoncantore. Foto: Ellen Spielmann
Tartar im Ristorante Il Grillo è Buoncantore. Foto: Ellen Spielmann

Und auch draußen finden sich Tische vor der Tür – ein ideales Ambiente für einen Aperitif. Die zwei und dazu auch Koch Gianmarco Annulli in der Küche arbeiten mit 30 lokalen Produzenten zusammen und kreieren so grandiose Gerichte, die dank Bioqualität und lokalem Bezug einfach überragend sind. Dazu zählen Polenta-Törtchen mit Artischocken vorweg, Pici mit Ragu vom Chianina-Rind, das grandiose Tatar vom Chianina-Rind oder Perlhuhn (faraona) zur Artischocken-Farce. Aber auch eine Vorspeisenplatte mit Käse- (vom Podere „Il Casale“), Salami- und Schinkenvariationen (vom Podere „San Gregorio“) entzückt. Und natürlich werden auch vegetarische, vegane und glutenfrei Gerichte serviert, auch Ribollita oder die Pici all`aglione, Pici mit den riesigen, aber sanft schmeckenden Knoblauchknollen aus dem Valdichiana-Tal. Dies alles wird zudem kostenschonend angeboten. Und so ist die Grille tatsächlich eine vortreffliche Sängerin.

Den nächsten und vorerst letzten Stopp verlangt dann die noch immer von 2000 Einwohnern besiedelte Altstadt von Cortona. Natürlich muss man Beppe Bussus Laden eine Kurzvisite abstatten. Aber erst einmal geht es auf der von Geschäften gesäumten Via Nazionale ins beste Café der einstigen, über 2500 Jahre alten Etruskermetropole, das Caffè Signorelli (Via Nazionale 1). Hier begrüßt uns Susanna Buricchi. Die Kunsthistorikerin und Autorin mehrerer Kunstbücher arbeitet auch als Touristenführerin und kennt natürlich Cortona bis ins kleinste Detail.

Und so folgen wir ihr begeistert die Sträßchen hinauf bis hoch zur Kirche San Francesco – ein Muss in Cortona. Am Wegesrand findet sich zudem eines der besten Lokale der Stadt: die Osteria del Teatro. Wirt Emilio bietet im umgebauten Palazzo aus dem 16. Jahrhundert beste toskanische Küche – und hat 2020 wegen Corona sogar ausgebaut. Nun öffnet draußen auch ein Gartenbereich. Zurück am Domplatz steht natürlich das wichtigste Sakralgebäude Cortonas auf dem Programm: Santa Maria Assunta beherbergt enorme Kunstschätze, doch mehr noch sind im Diözesanmuseum gegenüber versammelt. Schade dann, dass das Coronavirus uns keine Blicke auf die Werke der Gebrüder Lorenzetti, von Frau Angelico, Sassetti, Severini oder eben Luca Signorelli, dem größten Sohn der Stadt, erlaubt. Der berühmte Renaissancemaler wurde 1450 in Cortona geboren und verstarb hier auch 1523. Ganzer Stolz der Stadtbürger ist daher natürlich auch das nach ihm benannte, 1854 erbaute Teatro Signorelli an der Piazza Signorelli. Es ist natürlich oberste Pflicht jeder Familie, das saisonale Abonnement im Mehrspartenhaus mit großartigem Programm jährlich zu erneuern.

Die Kirche San Francesco. Foto: Ellen Spielmann
Die Kirche San Francesco. Foto: Ellen Spielmann

Dann aber geht es zum Höhepunkt Cortonas, in einen der ältesten Orte der europäischen Aufklärung: Denn das im mächtigen Palazzo Casali eingerichtete Museum der Accademia Etrusca di Cortona, kurz MEAC genannt, geht schon auf den 29.12.1726 zurück. Damals gründeten Sprösslinge aus Cortonas Adelsfamilien eine erste Gelehrtengesellschaft und widmeten sich fortan mit Heißhunger den Wissenschaften. Und so ist bis heute allein schon die Einrichtung in den zig Sälen des Hauses den Beuch voll und ganz wert. Wer dann noch das Glück hat, auch die Etruskerexpertin Eleonora Sandrelli kennenzulernen, ist mit ihr auf dem richtigen Weg zu den absoluten Highlights des Hauses. etwa dem 1840 nahe Cortona entdeckten etruskischen Kronleuchter aus der Mitte des 5. Jahrhunderts. Er ist der bisher einzige bekannte dieser Art.

Und dann besitzt das Museum natürlich auch noch die 1992 bei Cortona entdeckten, leider in acht Bronzefragmente zerlegten, drittlängsten bislang bekannten Etruskertexte überhaupt: Die Tabula Cortonensis wird auf das 3. oder 2. Jh. v. Chr. datiert, besitzt 32 Reihen Schrift auf der Vorder- und acht Reihen auf der Rückseite und zählt insgesamt 260 Wörter. Das überbieten nur noch die Tabula Capuana aus Terrakotta (5. Jh. v. Chr.), sie befindet sich im Alten Museum in Berlin, und die berühmte „Mumie von Zagreb“, auch bekannt als „Zagreber Mumienbinden“ und im Archäologischen Museum in Zagreb (Kroatien) untergebracht. Doch auch dort zeigt die Analyse des 3,40 m langen Leinenstreifens: Die lokalen Götternamen im Text deuten darauf hin, dass auch dieser Text wohl aus der Süd-Toskana stammt, mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Gebiet der alten Etruskermetropolen Chiusi und Cortona.


Informationen:

Valdichiana Senese e Aretina, www.valdichianasenese.com 

Toscana Promozione Turistica, www.visittuscany.com 

Fotos: Ellen Spielmann