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Stettin im Aufbruch

Dabei spielt indes die großartige Küche des Kresowa, die sowohl mit ostpolnischen Spezialitäten wie auch europäischen Gerichten und eiern guten Weinkarte aufwartet, eine eher untergeordnete Rolle. Dabei schmecken die Gerichte ausgezeichnet und sind auch optisch ein besonderer Genuss. Ob nun mit Quark und Kartoffeln gefüllte Piroggen, die mit frittierten Zwiebeln serviert werden, das Kabeljau-Filet mit Kartoffel-Zwiebelpüree, frischer Karotte, Walnüssen, Steckrübe und Selleriesalat, oder der Hit Ochsenbäckchen serviert mit Piroggen, mariniertem Rotkraut und dunkler Sauce: Alles ist höchst ansprechend, wie auch das stilvolle Ambiente ringsum.

Denn wichtig ist z. B. auch die Lage dieser schmucken Gründerzeitvilla an der aleja Wojska Polskiego 67. Denn die Um- wie Neugestaltung dieser aleja Wojska Polskiego, der wichtigsten Verkehrsachse in Szczecin, ist eines der Hauptprojekte im höchst ambitionierten Stadt- und Regionalentwicklungsprogramm „Floating Garden 2050“. Hier steht auch die historische, 1888-1889 im eklektischen Stil erbaute Villa Lenz (al. Wojska Polskiego 84).

Und an der Allee finden sich weitere Attraktionen wie das laut Guinnessbuch der Rekorde älteste Kino der Welt (das Kino Pionier von 1907), die Bar Pasztecik, die Galeria Henryka Sawki oder das Atelier Sylwia Majdan. Der Architekturwettbewerb zur Umgestaltung wurde 2017 entschieden, nun wird alles umgesetzt. Zudem verläuft quasi direkt vor der Tür des Kresowa die historische grüne Achse der Stadt, die durchaus auch als Vorbild für die zukünftigen grünen Neuerungen am Wasser dienen könnte. Denn die Zukunftspläne reichen über Jahrzehnte: Bis 2050 soll es die Erschließung der zahllosen Stettiner Inseln samt der einzigartigen Natur im großräumigen Oderhaff, vor allem aber die Entwicklung von Stadt und Umland zur Metropolregion mit einem Einzugsgebiet von einer Millionen Menschen voranbringen!

Gericht im Kresowa. Foto: Ellen Spielmann
Gericht im Kresowa. Foto: Ellen Spielmann

Denn nicht nur aus der Vogelperspektive ist Szczecin/Stettin eine Stadt, umgeben von Wasser und Grün. Denn die Vision von „Floating Garden 2050“, so die Stadtverwaltung, stützt sich auf den natürlichen Reichtum rund um Stettin. Auf die Wälder, Parks, Urwälder und Wasser – auf die zahlreichen Kanäle, Flüsse, Stettiner Haff, dem Dammschen See und das Oder-Delta. Dabei schwebt über allem die Idee von Szczecin/Stettin als „schwimmendem Garten“, der natürlich umweltbewusst und nachhaltig entstehen soll. Schon 2008 wurde dafür bereits das Logo dieses gewaltigen Programms entwickelt. Und dank eines genialen Kniffs dürfen sich alle, ob Einheimische oder Gäste, über alle Grenzen hinweg angesprochen fühlen! Denn der Titel des Zukunftsprogramms führt den Stadtnamen lautmalerisch aus. Er heißt offiziell „ʃt͡ɛ´t͡ʃin Floating Garden 2050“!

Und so reicht man sich schon mal vorab die Hand: Denn Szczecin wie Stettin sind dank dieses phonetischen Kunstgriffs zumindest sprachlich direkt vereint. Zu den ersten realisierten Maßnahmen überhaupt gehörte der Aufbau des hervorragenden Stadtinformationssystems SIS: Gleich 42 Attraktionen verbindet die Haupttouristenroute Szczecins, der man anhand der roten Markierungen auf dem Bürgersteigpflaster mühelos folgt. Ob nun das Königstor, das Geburtshaus der Zarin Katharina der Großen, das Loitzenhaus, die Marineakademie oder das 1879 eingeweihte, am 6.12.1945 mutwillig durch Brandstiftung zerstörte, später wieder aufgebaute neogotische Rote Rathaus, über dessen Eingang die allegorischen Darstellungen von Handwerk, Fischerei, Handel und Wissenschaft prangen und in dessen prächtig restauriertem Treppenhaus das alte Stadtwappen Stettins von 1660 prangt: Alles ist gut zu Fuß oder nun auch per Leihrad zu erreichen. Sogar unterirdisch gibt es Sehenswertes.

Das Rote Rathaus in Stettin. Foto: Ellen Spielmann
Das Rote Rathaus in Stettin. Foto: Ellen Spielmann

Liberal und weltoffen

Szczecin/Stettin möchte sich weltoffenen und als liberaler Ort des Dialogs präsentieren. Und dafür erscheint Vize-Oberbürgermeister Krzysztof Soska, Jahrgang 1965 und gebürtiger Stettiner, in seiner sachlichen, ruhigen und stets freundlichen Art der allerbeste Werbeträger! Denn zwar mag der Plan der Stadtverwaltung, Szczecin zu eiern Art Venedig an der Ostsee zu machen, durchaus revolutionär. Doch Revolutionen dürften keineswegs die Sache von Krzysztof Soska sein. Eher geht man Schritt für Schritt und planvoll vor.

Bestes Beispiel sind die Yacht-Marina und die neue Oderpromenade auf der Stettiner Insel Lasztownia (deutsch: Lastanie), deren Kulisse die historischen Hafenkräne von 1929 bilden. Und tatsächlich tragen diese Technik-Dinos den Spitznamen „Kranosaurier“. Nahe der neuen Marina, wo auch Hafenrundfahrten starten, befindet sich auch der alte Schlachthof, quasi das neue Zentrum der Stadtentwicklung, wo auch Büros, eine Buchhandlung und Konferenzräume bereitstehen. Hier öffnet auch das wunderbare Restaurant „Stara Rzeźnia“, wo man selbstverständlich auch Gänsebraten ordern oder die Stadtspezialität „Stettiner Paprika“ probieren kann. Die Insel Lastadie soll nun sukzessive weiter in die Stadt integriert werden und als lebendiges Herz des neuen Szczecin zum neuen Hotspot der Vision 2050 werden. Vor dem Panorama der Altstadt von Szczecin wird die Insel 2021 eine erste Bewährungsprobe bestehen müssen. Denn dann, so der Vize-Oberbürgermeister, erwartet man bis zu 2 Millionen Gäste aus aller Welt, die sich hier zum Finale der Tall Ship Races einfinden sollen. Ob dies allerdings angesichts der Corona-Lage klappt, sei dahingestellt.

 Aber es gibt ja durchaus noch andere Fortschritte zu vermelden. So wird in den Wohnungsbau investiert und ganz stark auch in die Kultur. Denn nicht nur die preisgekrönte, 2015 fertiggestellte Philharmonie ist ein besonders Juwel. Auch das alte Polnische Theater wird nun aufwendig restauriert und erweitert. Natürlich erwartet Szczecins spitzen-Fußballteam Pogon ein neues Stadion. Aber zuvor wird sicher erst einmal der neue Aquapark im Bereich der alten Werkt Stettin fertiggestellt werden. Schon 2022 soll es als Spaßbad für alle zugänglich werden.

Auch das alte Polnische Theater wird restauriert und erweitert. Foto: Ellen Spielmann
Auch das alte Polnische Theater wird restauriert und erweitert. Foto: Ellen Spielmann

Und natürlich muss auch das touristische Angebot weiter ausgebaut werden. Zwar besitzt Szczecin gute und schöne Hotels, doch es fehlen noch weitere, z. B. direkt an der Oder. Sicher muss auch noch eine neue Stadtbrücke her, um den Verkehrsfluss umzulenken. Bau- und Planungssünden der 1960er Jahre sind zu beseitigen. Und schließlich ist Krzysztof Soska auch stark in die Entwicklung der grenzüberschreitenden Euro-Region Pommern involviert. Denn ohne die Nachbarn geht es nicht. Dafür gibt es die Deutsch-Polnischen Kooperationstage, den deutsch-polnischen Wirtschaftskreis oder auch die überaus guten Verbindungen zur Partnerstadt Greifswald.

Doch wichtigster Wirtschaftspartner in Szczecin sind die Deutschen im boomenden Szczecin nicht. Das sind heute die Dänen, gefolgt von den weiteren skandinavischen Ländern. Und natürlich gibt es auch Unstimmigkeiten, wie sich gerade erst an der Diskussion um den weiteren Flussausbau der Oder zeigt. Aber Stettin/Szczecin hat eben auch seine alte, historische Bedeutung an der Ostsee erkannt und wiedererlangt und richtet den Blick in alle Himmelsrichtungen. Da ist es auch ein kleiner Trost, dass man sich hier, im „alten Hafen von Berlin“, vor allem auch der historischen Wasserpumpen angenommen hat. Von den 100 Pumpen im Stadtgebiet sind 28 noch historisch. Diese heißen, weil den Berliner Exemplaren ähnlich, schlicht „Berliner“. Doch sie zieren, wie an Szczecins Altem Rathaus am Heumarkt, nicht den Berliner Bären, sondern sichtlich stolz den Stettiner Greifen.


Information:

Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel 

Regionale Tourismusorganisation Westpommern/Pomorze Zachodnie ZROT, www.zrot.pl 

Centrum Informacji Turystycznej Szczecin, www.zstw.szczecin.pl/pl/turystyca , www.szczecin.eu 

Essen und Trinken:

Kresowa Restaurant & Music Bar, http://kresowa.net/

Übernachten:

Novotel Szczecin Centrum, https://all.accor.com/hotel/3367/index.de.shtml

Grand Park Hotel,www.grandparkhotel.pl

Fotos: Ellen Spielmann

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