Wegen ihrer roten Festungsmauer und den roten Lehmhäusern innerhalb der Medina wird Marrakesch auch die ‚Rote Stadt‘ genannt. Seit 1985 ist die Altstadt Weltkulturerbe der Unesco. Zwischen der quirligen Medina und dem kosmopolitischen Viertel Ville Nouvelle gelegen, bietet das Four Seasons Hotel auf 16 Hektar Fläche viel Raum zum Rückzug. Arkaden, Innenhöfe, Olivenbäume und Palmen sowie die zwei 35 Meter langen Pools (für Erwachsene und Kinder) verleihen der weitläufigen Anlage ein Resort-Ambiente.
Seit Juli vergangenen Jahres ist dort der Italiener Cristian Lisci mitverantwortlich für die kulinarische Marschrichtung. Genau genommen ist er Executive Sous Chef. Da derzeit aber die Stelle des Küchendirektors vakant ist, führt Lisci eigenverantwortlich die gastronomische Regie in der drei Fahrminuten vom Menara-Garten entfernten Luxusherberge.
Vor rund acht Jahren hat der in Sardinien geborene Küchenkünstler im Four Seasons Hotel Bahrein sein Faible für den Nahen Osten entdeckt. Im Juli 2018 zog es ihn nach Kairo, wo er Küchenchef im Nile Plaza wurde, das ebenfalls zu der kanadischen Hotelkette gehört. Unter seiner Ägide entwickelte sich das ägyptische Pendant der angesagten Mailänder Osteria Bullona Milano zu einem der besten italienischen Restaurants in Kairo. Sein Erfolgsrezept: Er fusionierte den traditionellen Stil aus Italien mit dem aromatischen Geschmack Ägyptens.
Liscis mittlerweile knapp 30 Jahre währende Karriere begann im zarten Alter von 19 Jahren als Sous Chef im damals Michelin-besternten Edilio in Genua. Danach wechselte er als Chef de Cuisine ins Restaurant Il Mirtillo in Megève, das um die Jahrtausendwende im Pudlo-Gastronomieführer zum besten italienischen Restaurant in Frankreich gewählt wurde. „Kochen ist seit 25 Jahren ein Teil meines Lebens“, blickt der sympathische Lisci im Gespräch mit dem Kulinariker zurück. „Wie die Kunst ist das Kochen für mich eine leere Leinwand, auf der ich zeichnen und mich inspirieren lassen kann.“ Im Four Seasons Marrakesch kann er seiner Kreativität gleich in drei Restaurants freien Lauf lassen.
Marokkanischer Minztee als Digestif
Auf der Terrasse des „Inara“ mit Blick auf den Atlas etwa werden Klassiker wie Tajine, libanesisches Mezze (darunter Hummus, Baba Ganoush und Labneh) sowie Lammkoteletts serviert. Tajine zählt zu den marokkanischen Nationalgerichten. Der Name geht auf den runden, spitz zulaufenden Tontopf mit gewölbtem oder konischem Deckel zurück. Darin wird Fleisch zusammen mit Gemüse stundenlang geschmort. Gegessen wird es ebenfalls direkt aus dem noch dampfenden Topf. Wunderbar zart und saftig präsentiert sich die Hühnchen-Tajine mit Oliven und Zitrone.
Der auf den Punkt gebratene Lachs wird in einer landestypischen Chermoula-Marinade aus frischem Koriander, Kreuzkümmel, Paprika, Minze und Rosenwasser gebeizt. Geschmacklich und optisch gleichermaßen verlockend ist das Dessert namens Red Velvet Tarbouche. So heißt die typisch marokkanische rote Kopfbedeckung mit ihren dunklen Quasten, die hier dank einer fluffigen Käsekuchenmasse zum Gaumenschmankerl geadelt wird. Zum Abschluss darf ein marokkanischer Minztee – „Thé à la menthe“ genannt – nicht fehlen. Er wird in kleinen Gläsern serviert und aus der Höhe gegossen, um eine schaumige Textur zu erzeugen.
Ihren Lunch können Genussmenschen im Restaurant „Azzera“ stilvoll unter Palmen und Olivenbäumen am Pool genießen. Herrlich die Ceviche von der Seebrasse mit Mango-Chutney und Avocado-Gel. Hier wird schnell klar, dass Cristian Lisci sechs Jahre lang in Madrid sein Handwerk verfeinerte und sich nach eigenem Bekunden ein bisschen wie ein Spanier fühlt. Ein Hochgenuss – und eine Reminiszenz an die Wurzeln des Herrn der Herde – sind die Lobster-Linguini mit Kirschtomaten, Petersilie, Chili und einem Hauch Knoblauch.
Hommage an die italienische Haute-Cuisine
Das Restaurant „Quattro“ wiederum bringt die kulturelle Verschmelzung zwischen Süditalien und Marokko auf den Tisch. Zum Beispiel die von einer Bäuerin in Marrakesch hergestellte Burrata mit Pesto und alten Tomatensorten. Auch in einem Sterne-Restaurant auf der Karte könnte „Manzo al Coltello“ stehen, ein hauchfeines Carpaccio mit Avocado-Mayonnaise, sibirischem Kaviar, getrocknetem Eigelb und Blütenblättern. Ein kulinarisches Muss unter den Pasta-Gerichten sind die Lobster-Ravioli mit Tomaten-Chutney. Buchstäblich eingefleischte Karnivoren kommen im „Quattro“ mit dem 45 Tage gereiften, nussig-intensiven Ribeye-Steak auf ihre Kosten. Das hervorragende Tiramisu zum Dessert wird – eine Hommage an die italienische Haute-Cuisine – am Tisch zubereitet.
Im Getränke-Menü überzeugen nicht zuletzt Signature Cocktails wie der Ochre Negroni. Die Kombination aus Safran-Gin, weißem Vermouth, Campari und Orangenblütenwasser mac hat Lust auf mehr. Dass auch marokkanische Weine überzeugen können, zeigt der Syrah aus der zwischen Casablanca und Rabat liegenden Domaine des Ouled Thaleb. Das 1926 gegründete Weingut wird von Jacques Poulain geführt, der einst in Bordeaux sein Handwerk lernte.
Frohen Mutes verlässt man das Four Seasons Resort am Ende des Aufenthalts mit leiser Wehmut – und wünscht sich insgeheim, dass Cristian Lisci sehr bald selbst den momentan unbesetzten Posten des Küchenchefs angetragen bekommt.
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Fotos: Christian Euler, Four Seasons Hotels