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Polnische Küche: das „Na Kuncu Korytarza“

Allerdings: Diesen langen Korridor, der den großen Innenhof des Schlosses der Pommernherzöge mit dem gleichnamigen Schlossrestaurant verbindet, musste man im Sommer 2020 nicht entlang spazieren. Corona und auch Veranstaltungen im Schlosshof, Ende August 2020 fand hier sogar ein Rockkonzert statt, machten die Einrichtung eines separaten Behelfseingangs nötig. Gut für die Gäste: So kamen auch Open air Tische hinzu, an denen ebenfalls die besondere „Küche der Greifen“ serviert wurde. Eigentlich befindet sich das „Na Kuncu Korytarza“ im Untergeschoß des alten Gefängnisturms des Schlosses. Benannt ist dieser ab 1309 errichtete Bau nach seinen Schlossherren, den Pommernherzögen aus dem gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs ausgestorbenen Adelsgeschlecht der Greifen.

Allerdings: Sie hatten Szczecin/Stettin damals zur Residenzstadt Pommerns erhoben und so für den unwiderruflichen Aufschwung dieser heute boomenden 400.000-Einwohnerstadt am Oderhaff gesorgt. An der Schlossstraße nahe dem Pommernschloss erinnert heute eine Statue an Herzog Bogislaw X. (1454 – 1523) und Anna von Polen (polnisch: Anna Jagiellonka); 1476 – 1503), die 1491 in Szczecin heirateten. Anan Jagiellonka ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Königin Polens (1523 – 1596), die ab 1575 regierte. Schon im Jahr zuvor, 1490, hatte Boleslaw X., der Pommern schon ab 1478 durch geschickte Heiratspolitik geeint hatte, den Neubau des Schlosses quasi als Hochzeitsgeschenk für die gerade 14-jährige Anna in Auftrag gegeben.

Wer sich im Na Kuncu Korytarza dennoch die Mühe macht, einige Schritte den Korridor entlang zu gehen, wird über dem Restauranteingang zu den gotischen Gewölben mit den nach Plänen von Ryszard Kaja liebevoll dekorierten Wänden des Restaurants eine besondere Tafel entdecken. Sie zeigt historische sächsische und pommersche Fürsten und erinnert so daran, dass hier die Greifen seit dem zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts regierten. Aber hauptsächlich kommt man natürlich wegen der erst kürzlich wieder ausgezeichneten Kochkunst, die Bolek Sobolewski mit seinem Team präsentiert. Diesmal wurde er für den Einsatz regionaler Zutaten und die Förderung der polnischen Küche besonders geehrt. Bolek Sobolewski ist so etwas wie der kulinarische Botschafter Szczecins, dessen Wirken weit über das historische Zentrum der Hafenstadt hinausreicht.

Tafel im Restaurant. Foto: Ellen Spielmann
Tafel im Restaurant. Foto: Ellen Spielmann

Denn mit Dariusz Staniewski hat er sogar ein besonderes Kochbuch zur lokalen wie regionalen Küche verfasst: „In der Küche der Greifen – Geschichten und Rezepte aus Pommern“ ist auch auf Deutsch zu einem mehr als akzeptablen Preis (10 Euro) erhältlich. Folgerichtig präsentiert er im Restaurant polnisch-pommersche, aber auch kontinentaleuropäische Gerichte. Eines seiner besten Gerichte, der Borscht, wird indes nicht mit traditionellen Stettiner Pastetchen serviert. Die Rote-Bete-Suppe zieren Kolduny, kleine Teigtaschen, die indes nach einem Rezept aus Lemberg (Lwiw) hergestellt und gefüllt werden. Lecker!

Und natürlich wartet Bolek mit Fischspezialitäten auf, gilt doch Szczecin/Stettin als das „Fischhaus“ der Ostsee. Insbesondere der Hering nimmt in seiner Küche „Am Gangende“ einen besonderen Rang ein.

Dies beweist die grandiose Vorspeisenplatte, auf denen sich gleich Neunerlei Variationen dieses leckeren Meeresschatzes befinden. Denn zu Ehren des Ostsee-Herings hat Bolek schon 2001 jenen „Klub śledziożerców“, den Klub der Heringsfresser gegründet, der bis heute einen Teil des Ruhms des Restaurants ausmacht. Die letzte Mitgliederversammlung dieser Heringsgourmets fand am 4. November 2019 statt. Etwas in die Jahre gekommen, ist dieser Klub kulinarisch betrachtet heute nicht mehr so wichtig, denn er hat seinen Zweck, die Förderung der lokalen Küche und Produkte rund um den Hering, vollends erfüllt.

Mitglied werden konnte und kann ein jeder. Einzige Bedingung: Er/Sie muss ein originales wie originelles Heringsrezept beisteuern und den gestrengen Juroren präsentieren, ehe dieses Gericht in den absoluten Kanon der Heringsgerichte Aufnahme findet. Diese offizielle Heringsfresser-Kollektion (Kolekcja śledziożerców) ist denn auch die Pracht der Speisekarte, deren Gerichte man coronabedingt derzeit nur außer Haus genießen kann. Und so findet sich auf der großen Platte original Matjes, Sherry-Hering, Hering mit Majoran und Knoblauch, Hering in Honig, Hering a la Kwasniewski (mit Knoblauch und Pfeffer), sogar Passions- und sensationell Lebkuchen-Hering.

Alles fertig für die Heringsfresser. Foto: Ellen Spielmann
Alles fertig für die Heringsfresser. Foto: Ellen Spielmann

Und wer nicht auf Hering steht, kommt spätestens bei den Hauptgerichten auf seien Kosten: Da gibt es Wildschweinbraten, Rinder- und Schweinebraten oder Leckeres von der Ente. Und nie fehlen darf das im Na Kuncu selbst hergestellte und im Glas auch außer Haus verkaufte Stettiner Paprika, das Aushängeschild der lokalen Küche. Dieser Paprykarz Szczecinski gilt als Brotaufstrich und perfekte Beilage zu Hering, stammt aber aus Afrika. Denn das Stettiner Paprika geht auf die Zeit der sozialistischen Volksrepublik Polen zurück, als Stettiner Hochseefischer des Fischereidienstleisters Gryf (Greif) sogar per Flugzeug mit den afrikanischen Fischgründen verbunden war. Das so importierte Rezept wurde – fein säuberlich in Dosen verschweißt, zur Kultkonserve in Polen. Die Zutaten: Neben Fisch gehören Reis, Zwiebeln, Tomatenmark, Pflanzenöl und eine Prise Gewürze mit hinein.

Und natürlich sollte man nicht nur Bolek, sondern auch dem Schloss die Aufwartung machen. Im Haupthof des Schlosses, das auch die Oper der Stadt beherbergt, fällt der Blick auf jene berühmte astronomische Turmuhr, die der schwedische König 1693 den Stettinern zum Dank schenkte, weil diese sich tapfer bei der Belagerung der Stadt durch Brandenburg in den Jahren 1676 bis 1677 gewehrt hatten. Die von Caspar Nitardi geschaffene Uhr zeigt im Zentrum den Maskaron, dessen Augen dem Verlauf der Zeiger folgen. In seinem Mund ist das Tagesdatum abgebildet, während der Narr die vollen und die Viertelstunden schlägt.

Boleslaw Bolek Sobolewski. Foto: Ellen Spielmann
Boleslaw Bolek Sobolewski. Foto: Ellen Spielmann

Im kleinen Schlosshof beeindruckt dann die Statue des Apostels der Pommern, Otto vom Bamberg. 1124 bis 1128 war er in Sachen Christianisierung unterwegs. Die hier zu bestaunende Statue ist allerdings eine Kopie des gotischen Originals vom Ende des 14. Jahrhunderts (heute im Nationalmuseum Szczecin). Der Stettiner Bildhauer Franz von Ruedorffer schuf sie in den 1930er Jahren. Ebenfalls einen Blick verdient das barocke Schlosstor, das mit Panoplien (Rüstungselementen) verziert ist. Sie entstanden 1735 für „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Denn der Kurfürst und Kurfürst und „König in Preußen“ mochte so etwas. Die Werke des Bildhauers Erhard Löffler wurden indes mit der Zeit marode und wurden so 1925 durch Kopien ersetzt.


Informationen:

Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel 

Regionale Tourismusorganisation Westpommern, www.zrot.pl 

Essen und Trinken:

Rest. „Na Kuncu Korytarza“ („Am Gangende“) mit Klub śledziożerców (Klub der Heringsfresser), https://na-kuncu-korytarza.eatbu.com/?lang=de

Museen/Attraktionen:

Schloss der Pommernherzöge (Zamek Ksiazat Pomorskich), www.zamek.szczecin.pl

Übernachten:

Novotel Szczecin Centrum, https://all.accor.com/hotel/3367/index.de.shtml

Fotos: Ellen Spielmann

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