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Marokko auf dem E-Bike

Auf den engen Serpentinen zum Col du Tichka kommen uns Lastwagen mit riesigen Felsladungen entgegen. Meterhoch aufgetürmt, kaum gesichert, auf dem Weg vom Steinbruch nach Marrakesch. Manchmal bringen sie den Verkehr vollständig zum Erliegen, wenn sie lahme Mopeds und noch lahmere Eselkarren überholen. Man braucht nicht lange, um den orientalischen Fahrstil zu verstehen: Solche Manöver geschehen immer dann, wenn an der schmalsten Stelle schroffe Felswand in den Himmel ragt und links tiefer Abgrund droht. Auf der Straße zum Tichka-Pass, mal ausgewaschen, mal Schlaglochpiste, braucht man gute Nerven. Ob die Fahrer, wenn sie auf die nächste Kurve zudonnern, bekifft sind oder lebensmüde, weiß kein Mensch. Ich bin jedenfalls froh, die erste Etappe unserer Tour noch nicht auf dem Rad bewältigen zu müssen, sondern im kleinen Transporter, der unsere Gruppe zu den E-Bikes bringt. Den Ersten im Bus wird übel – oder fallen mit Reisetabletten in Tiefschlaf.

Kurz hinterm Pass verlassen wir die Hauptroute N9, die Verbindung nach Ouarzazate, biegen auf 2260 Metern ab, auf eine unbefahrene Piste weiter Richtung Süd-Ost. Die Anspannung im Körper verfliegt langsam. Je weiter wir Marrakesch hinter uns lassen, desto tiefer dringen wir ins steinige Gebirge vor, das mir bei bisherigen Marokko-Reisen immer nur zuverlässig als Fotokulisse auf den Dachterrassen Marrakeschs gedient hat. Jetzt, nach zwei Stunden Autofahrt, sind wir mitten im Hohen Atlas, die umliegenden Hügel und Gipfel sind um die 3000 Meter hoch. Und je weiter wir uns hochwinden, desto karger und einsamer wird die Landschaft. Steinig und schroff, selbst für die unzähligen Schafe im Land wächst hier kein Kraut mehr. Anders ausgedrückt: Hier lenkt wirklich nichts mehr von der Schönheit der Felsformationen ab. Der Himmel strahlend, fast unwirklich blau, ins Ultramarin gehend. Die Felsen, mal steil und rau, mal sanft wie vom Wind hingepustete Hügel, in Sand-, Beige- und Ockertönen, die, je nach Eisenoxydgehalt im Gestein, in ein tiefes, sattes Rotbraun übergehen. Die Wintersonne bringt den Fels um die Mittagszeit zum Leuchten.

Fahrt durch das Atlas Gebirge. Foto: Eva Reik
Fahrt durch das Atlas Gebirge. Foto: Eva Reik

Unser erstes Ziel ist eine verlassene Kasbah, ein palastartiger Bau, ziemlich zerfallen, kurz vor Telouet. Eine einstige Zollstation, 400 Jahre alt, wo bis ins 19. Jahrhundert die Karawanen von Timbuktu nach Marrakesch Halt machten, für die Rast von Mensch und Tier. Trotz der maroden Bausubstanz lässt sich im Inneren die Kunstfertigkeit der Berbervölker bestaunen: Bunte Mosaike, Deckenornamente, die aus dem Gips herausgekratzt sind oder ins Zedernholz geschnitzt. An dieser Stelle wechseln wir vom Minibus aufs Fahrrad. Die Tagesetappe beträgt 42 Kilometer, 300 Meter geht es in die Höhe, 800 Meter bergab, bis wir abends in der Dämmerung im Ounila-Tal ankommen.

Alles easy, könnte man meinen. Die ersten paar Tritte auf asphaltierter Straße sind leicht, aber wenn man, wie ich, zum ersten Mal auf einem E-Bike sitzt und sich noch nie zuvor mit der Materie auseinandergesetzt hat, ist vor allem diese Erkenntnis erstaunlich: Ein E-Bike fährt nicht von alleine. Man muss selbst treten, um von der Batterie Schwung zu erhalten, in viererlei Abstufungen von Eco bis Turbo. Ansonsten macht das Fahrrad so wenig wie die störrischen Esel, die die Männer in ihren langen Gewändern vor sich hertreiben. Außerdem komme ich nach dem ersten brutalen Anstieg zu dem Schluss: Berge, die ich ohne Hilfe entweder weinend, schiebend oder eben gar nicht hochkommen würde, bewältige ich dank des Motors mit einem Lächeln am Ziel. Das macht Freude, weil das Radfahren nicht in einen totalen Kraftakt ausartet. Ursprüngliche Ressentiments wie „Fahrrad mit Batteriebetrieb zu fahren ist etwas für Alte und Unsportliche“, sind schnell verflogen.

Mit dem E-Bike vorbei an Kamelen. Foto: Eva Reik
Mit dem E-Bike vorbei an Kamelen. Foto: Eva Reik

E-Bike-Fahren ist ein Trend, der sich in Deutschland in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat und immer populärer wird, vor allem in hügeliger Landschaft. Belvelo war der erste Reiseveranstalter, der das Erlebnis in ferne Länder verlegte. In Verbindung mit einer Reise dient das Bike also nicht nur der einfacheren Streckenbewältigung, sondern ist ideal, um ein Land anders kennenzulernen: In der frischen Luft, im eigenen Tempo und viel bewusster als im Zug oder Reisebus. Gleichzeitig sind die Tagesetappen aber eben auch viel größer und weniger anstrengend, als wenn man den Hohen Atlas auf einer Trekkingtour erwandert.

Dabei ist Marokko, im Vergleich zu den anderen Belvelo-Zielen – Südafrika oder Costa Rica zum Beispiel –, gar nicht so fern. Marrakesch liegt gerade mal drei Flugstunden von Frankfurt entfernt, und doch reicht diese Zeit völlig, um in eine andere Welt einzutauchen. Das bunte, geschäftige und orientalische Treiben mit Handel und Feilscherei in der Souks von Marrakesch zu erleben das eine, auf dem Fahrrad das Gebirge zu queren und dabei den einfachen Lebensstil der Bergbewohner kennenzulernen, das andere. Sofort springen uns kleine Kinder vor die Felgen. Barfuß oder in uralten Sandalen, ziemlich schmutzig. Sie winken und strahlen, wollen im Vorbeifahren abklatschen, und reden wahrscheinlich tagelang über die komisch aussehenden Menschen mit einem Helm auf dem Kopf. Ganz klar, wir sind die Hauptattraktion, Exoten, denn sonst passiert in den Dörfern nicht viel oder tagelang gar nichts. Manche Kinder nehmen den mühsamen Schulweg von zwei Stunden auf sich, die Eltern weben in ihren dunklen Lehmhütten die, seit ein paar Jahren in Europa so begehrten, Beni-Ourain-Teppiche. Fließend Wasser gibt es kaum, Elektrizität ist ebenfalls Glückssache, und die Winter können grausam kalt werden ohne Heizung in 2000 Meter Höhe.

...durch eine Traumkulisse... Foto: Eva Reik
...durch eine Traumkulisse... Foto: Eva Reik

Nach dem langen Weg nach oben, folgt eine rasante Abfahrt. Steile Haarnadelkurven am Fels entlang, dünne Reifen, Splitt und Steine machen die Fahrt zum Abenteuer, bis wir das grüne Ounila-Tal erreichen. Das Flussbett verwandelt die steinige Wüste in eine Oase. Die angenehme Tagestemperatur sinkt rapide, es wird frisch, für einen kurzen Moment tauchen die letzten Sonnenstrahlen den Himmel in Pink. Die Tagesetappe ist geschafft, müde, aber keinesfalls erschöpft beziehen wir Quartier.

Am nächsten Morgen geht es früh los – zum UNESCO-Weltkulturerbe, der Kasbah Aït-Ben-Haddou. Nur wenige Kilometer sind wir von der möglicherweise schönsten Kasbah Marokkos entfernt. Schon vielen Film- und Hollywood-Produktionen hat sie als Kulisse gedient und dem Ort plötzlichen Reichtum beschert. James Bond (Der Hauch des Todes (1987), Gladiator (2000), Game of Thrones (2012) sind die letzten Großwerke, die dem Wüstenort zu Ruhm verhalfen. Die verschachtelte Anordnung der Lehmhäuser erinnert an die Architektur aus orientalischen Märchen. Wandelt man durch die Gassen zur Kuppe, sieht man kilometerweit. Schönes, sandiges, ockerleuchtendes Wüstenland unter stahlblauem Himmel.

UNESCO-Weltkulturerbe Kasbah Aït-Ben-Haddou. Foto: Eva Reik
UNESCO-Weltkulturerbe Kasbah Aït-Ben-Haddou. Foto: Eva Reik

Zurück auf dem Sattel verschwinden allmählich die hohen Berge, die Kasbah liegt im Rücken, der nächste Stopp ist der Markt von Aguim: Wer nur europäische Marktromantik kennt, wird hier überrascht, die Bauern aus dem Umland breiten Mandarinen und Granatäpfel aus ihren Gärten aus, Gemüse, das in dieser fruchtbaren Gegend wächst, aber auch Rinderhälften und halbe Hammel hängen vor Metzgerei und Schlachtbetrieb am staubigen Straßenrand. Frische Tajine bereiten die Händler auf ein paar Kohlen zu, der Duft frisch gegrillten Spießchen dominiert die Luft.

Der Rückweg zum Pass ist heftig, ein Anstieg, der ohne Hilfe nicht zu machen wäre. Das Rad läuft auf Turbo, bis die Gruppe nach und nach auf der Höhe ankommt. Der Rückweg ist dagegen ein Kinderspiel, wir rollen langsam hinab ins grüne und wunderschöne Tal von Tigdouine mit seinen terrassenartigen Feldern mit Orangenplantagen. Unsere zweitägige Tour geht zu Ende, wir verladen die Räder, steigen in den Bus. Es geht zurück nach Marrakesch. Einer nach dem anderen fällt in Schlaf. Das ist besser. Denn auch nachts sind die Lkw mit den gigantischen Felsen unterwegs.

Fotos/Text: Eva Reik

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