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Markus Schneider: „Ohne Herzblut geht es nicht“

Die Zeit scheint schneller zu vergehen, je älter man wird. Man mag es kaum glauben, dass das Weingut Schneider im pfälzischen Ellerstadt mittlerweile schon auf eine drei Jahrzehnte lange Geschichte zurückschauen kann – insbesondere, wenn man wie der Autor dieser Zeilen im nahen Wachenheim an der Weinstraße aufgewachsen ist.

„Als ganz junger Kerl mit fünfzehn Jahren, hat mich die Idee vom eigenen Weingut gepackt und nicht mehr losgelassen“, blickt Markus Schneider im Gespräch mit dem KULINARIKER zurück. 1994 begann die Reise mit viel Enthusiasmus, Tatendrang – und dem unerschütterlichen Glauben seiner Eltern an seine Idee. Angesichts seines Erfolges könnte man an dieser Stelle schreiben: Der Rest ist Geschichte. Doch das wäre zu kurz gegriffen, denn sein hürdenreicher Weg ist für Schneider untrennbar mit dem Ziel verbunden, das er auch nach mittlerweile 30 Jahren noch nicht erreicht sieht.

Markus Schneider im Weinberg. Foto: Markus Schneider
Markus Schneider im Weinberg. Foto: Markus Schneider

„Es war hart, mit Anfeindungen und Rückschlägen“, erzählt der 49-Jährige, der zweifellos zu den Ausnahmetalent der deutschen Weinszene zählt. Anfangs musste er Fasswein, halbtrockenen Dornfelder oder süßen Portugieser in der Literflasche verkaufen, um den Geschmack seiner Kunden zu treffen. Trockener Spätburgunder war ein Ladenhüter, nur süß abgefüllt als Kabinett fand er seine Abnehmer. Zeitweise musste gar der Parkplatz eines großen Möbelkaufhauses als Verkaufsfläche herhalten.

„Ein Leben vor dem Wein gab es nicht“

„Manche haben erstmal gebissen“, erinnert sich Schneider, „und das war dann für mich – mit meiner romantischen, Vorstellung, dass alle Menschen Brüder sind – ein Aufschlag auf den Stahlbetonboden.“ In den ersten Jahren halfen ihm seine Großeltern. Vater Klaus lässt es sich nicht nehmen, mit dem Fahrrad aufs Gut zu fahren und seinem Filius zu assistieren, Mutter Rosemarie ist ebenso wie Schwester Nicole die gesamte Woche im Weingut und kümmert sich samstags zusätzlich um die Besucher der Vinothek. „So funktioniert Familie“, freut sich der Ellerstadter, der sich als „Pfälzer durch und durch“ bezeichnet. Natürlich habe es auch hin und wieder gerappelt. „Wir sind auch nur Menschen“, sagt Schneider, „aber am Ende des Tages ist es die Stärke der Familie und diese Harmonie, die bleibt“. Zu seinen Mentoren – auch in puncto Menschenführung – zählt er Fritz Knorr, den 2012 im Alter von 59 Jahren viel zu früh verstorbenen ehemaligen Kellermeister des Wachenheimer Spitzenweinguts Bürklin-Wolf. Er hat ihm während seiner Ausbildung das Laufen beigebracht.

Das Gut in den Weinbergen. Foto: Markus Schneider
Das Gut in den Weinbergen. Foto: Markus Schneider

„Ein Leben vor dem Wein gab es nicht“, lautet die Maxime von Schneider, der zielstrebig und unbeirrt seinen Weg ging – unabhängig von EU-Subventionen oder Investoren. Stillstand gibt es nie. Auch nach 30 Jahren sprüht er vor Kraft, Energie, Enthusiasmus und Ideenreichtum. Sein Know-how ist begehrt in der Branche. Eines der prominentesten Beispiele sind Günther und Thea Jauch, die Schneider vor der Übernahme des Weinguts von Othegraven nach Potsdam eingeladen hatten, um seine Meinung zu Ihren Überlegungen zu hören. 

Eine, die ihn schon lange kennt, ist die Sommelière-Ikone Paula Bosch. „Vor ziemlich genau 30 Jahren überreichte mir Markus Schneider ein paar Flaschen Wein zum Probieren, darunter ein roter Portugieser, etikettiert mit dem Namen „ROTWEIN“ was ich witzig, aber damals zugleich nicht sehr originell fand“, erinnert sich die Grande Dame der deutschen Weinszene. „Der Wein schmeckte super gut und war mit circa fünf D-Mark so günstig, dass ich mich nicht traute, die sofort 120 gekauften Flaschen, auf die Tantris-Weinkarte zu schreiben.“ Sie nahm sie daher im Samstag-Mittagsmenü auf. „Die Flaschen waren innerhalb kürzester Zeit weg“, sagt uns Bosch – „und das im Zwei-Sterne-Tempel Tantris“.

Natur um den Weinberg. Foto: Markus Schneider
Natur um den Weinberg. Foto: Markus Schneider

Revolutionär des deutschen Weinbaus

„Dem Naturtalent glückte es schon damals, in den ersten Jahren seines Schaffens, mit seinem Talent, Weitblick und großer Vision, hochgesteckte Ziele step by step zu erreichen“, lobt Deutschlands erste Sommelière, „dabei verlor er weder seine Kundschaft, noch Weinfreunde oder Weintrinker sowie die unabdingbare Realität ‚Wein muss unkompliziert bleiben‘ aus den Augen“. Für Bosch war und ist das der Schlüssel für Schneiders unvergleichlichen Erfolg in der deutschen Weinszene – bis zum heutigen Tag.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist seine Art zu führen. Schneider ist ein Menschenfänger, der sein Team an sich zu binden versteht. Er ist zugleich Spiritus rector und Primus inter pares – ein Überflieger, der die Bodenhaftung nicht verloren hat. 

Der Winzer ist so etwas wie der Revolutionär des deutschen Weinbaus. Er hat auf beeindruckende Art und Weise gezeigt, dass sich guter Wein und eigenwilliges Marketing nicht ausschließen müssen. Mit dem Verzicht auf Lagenbezeichnungen und Prädikatsstufen sowie eigenwilligen Namensgebungen wie Tohuwabohu, Holy Moly oder Hullabaloo hat er schon in seinen Anfangsjahren die deutsche Etikettenkultur auf den Kopf gestellt und neue Maßstäbe gesetzt. Sein betörender Sauvignon Blanc trägt den Namen Kaitui, die neuseeländische Übersetzung für Schneider. Ex-Kanzlerin Angela Merkel kredenzte ihn im Sommer 2013 in Berlin bei einem Staatsbankett dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama. 

Wachsprägung auf der Flasche. Foto: Markus Schneider
Wachsprägung auf der Flasche. Foto: Markus Schneider

„Game-changer für den deutschen Merlot“

Aus den Steinen, die ihm einst in den Weg gelegt wurden, wurde das Fundament für Schneiders Erfolg. Heute blickt er auf „30 Jahre im sechsten Gang“ zurück und spielt mit seinem Merlot „Mon Église“ in der Top-Liga mit. Es ist der erste reinsortige Merlot seit 2009. Schneider war damals davon überzeugt, dass diese Rotweinsorte in Deutschland enormes Potenzial birgt und hatte sich daher vor allem auf die Pflanzgenetik fokussiert. Eine wichtige Rolle dabei spielte die Tatsache, dass die Pfalz in puncto Klima die Verhältnisse von Bordeaux in den 90er Jahren erreicht hat. In Verbindung mit dem in der Region vorherrschendem Terroir sind das nach Meinung des Wein-Visionärs „perfekte Voraussetzungen für ‚cool Climate‘ Merlot“.

Mit diesem Wissen pflanzte er die ersten Merlot-Massale-Selektionen aus Bordeaux in Ellerstadt – und war schon in den ersten Jahren vom Ergebnis begeistert. Mit dem 2019er kam der erste Jahrgang Merlot „Mon Église“ auf den Markt, der kürzlich vom Nachfolger aus 2020 abgelöst wurde. Ausgebaut wird der Wein in neuen und mehrjährigen Holzfässern verschiedener Formate.

Markus Schneider zwischen den Zeilen im Weinberg. Foto: Markus Schneider
Markus Schneider zwischen den Zeilen im Weinberg. Foto: Markus Schneider

James Suckling kürte die 2020er Edition mit 95 Punkten. „The second vintage of this wine and a game-changer for German merlot“, schreibt der ehemalige Chef-Verkoster des US-Magazins „Wine Spectator“. Aktuell stellt „Mon Église“ die Spitze von Schneiders umfangreichen Sortiment dar. Doch das Beste kommt noch, blickt der Mastermind voraus. Ganz ohne Glaskugel, denn 2028 soll der Syrah Crue in den Verlauf kommen, der dann zehn Jahre in der Flasche gereift sein wird. 

Noch viel im Köcher

Neben seiner „wunderbaren Familie“ und dem Wein bestimmt der Fußball seinen Rhythmus. Seit Kindesbeinen hat er als treuer Fan des 1. FC Kaiserslautern sämtliche Höhen und Tiefen des Traditionsvereins miterlebt. Die Nationalmannschaft hat er bei vielen Reisen begleitet, mit manchen (Ex)-Spielern wie Roman Weidenfeller verbindet ihn zwischenzeitlich eine Freundschaft. Während der Fußball-Europameisterschaft war Schneider mit einem guten Glas buchstäblich auf Ballhöhe. Sein Weingut war als Lieferant der Hospitality Experience in allen zehn Stadien der EURO 2024 stets mit von der Partie. „Sie haben sich nachhaltige deutsche Produkte und kurze Wege gewünscht. Das ist ja alles das, was wir liefern am Ende des Tages“, schmunzelt der Fußball-Aficionado. 

Blick auf die Haardt, dem Mittelgebirgszug am Ostrand des Pfälzerwalds. Foto: Markus Schneider
Blick auf die Haardt, dem Mittelgebirgszug am Ostrand des Pfälzerwalds. Foto: Markus Schneider

Die Zeit vergeht schneller, als uns lieb sein kann. Im nächsten Jahr wird Markus Schneider 50. „Ich glaube, dass da noch viel im Köcher ist“, zeigt er sich zuversichtlich, „die besten Weine kommen noch“. Dafür gibt es für den bodenständigen Überflieger einen ebenso profanen wie einleuchtenden Grund: „Ein Winzer ist richtig gut, wenn er ein gewisses Alter und viele Flaschen entkorkt hat.“ 

Fotos: Markus Schneider

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