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Kanzler trifft Kant in Potsdam

Immanuel Kants Spätschrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) wurde zum Anlass genommen um seine Position zum russischen Krieg zu erklären: Kant verhandelt hier in Form eines Friedensvertrags, ob und wie Staaten dauerhaft Frieden gewähren können. Da ist, frei nach Kant, die Politik am Ruder. Frieden ist kein natürlicher Zustand, er muss politisch „gestiftet“ und vor allem abgesichert werden. Um dies zu erreichen, muss Vernunft walten und die von der Vernunft abgeleiteten Maxime eingehalten werden. 

Position „kantig“ formuliert

Ein Land zu überfallen, wie Russland es tut, so der Kanzler, ruft Kants Maxime auf den Plan: „Das Recht der Menschen muss heiliggehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten“. Damit ist die deutsche Position „kantig“ formuliert, Frieden nicht um jeden Preis zu erhalten. Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ war bekanntlich die Basis für das moderne Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen. Bezüge zur Gegenwart ist auch das Hauptanliegen der Potsdamer Ausstellung, die im Rahmen des „Denkfest zum 300. Geburtstags von Immanuel Kant“ des Einsteinforums Potsdam stattfindet. Wahrlich kein leichtes Unterfangen angesichts der heftigen Kritik an dem großen Gelehrten der Aufklärung, die im Zuge der Debatten um Rassismus, kolonialer Ausbeutung und Fortschrittsglauben auch in Deutschland Fahrt aufnehmen.  „Mir war wichtig, die Macht und Kraft und Schönheit der Aufklärung zu zeigen und nicht das Trockene, Langweilige, Verstaubte – der im Kantschen Schulstoff des „kategorischen Imperativs“ vorkommt, sagt die Philosophin Susan Neiman (Kuratorin der Ausstellung, Direktorin des Einsteinforums Potsdam). 
Plakat der Veranstaltung „Die Macht der Aufklärung – Walking with Kant". Foto: Ellen Spielmann
Plakat der Veranstaltung „Die Macht der Aufklärung – Walking with Kant". Foto: Ellen Spielmann
Drei Jahre Vorbereitungszeit bedurfte es auch um die renommierten holländischen Künstler Saskia Boddeke, Peter Greenaway engagieren zu können. Sie reüssierten in Deutschland 2015 mit der fulminant sinnlichen Ausstellung „Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen“ über die biblische Erzählung Abrahams, der auf Befehl Gottes den eigenen Sohn opfern soll, im Jüdischen Museum in Berlin.

Was inspirierte Kants Denken?

Denn der Filmemacher und die Multi-Media Künstlerin haben weder Angst vor Schönheit noch vor Horror, beides können sie kongenial vermitteln. Wie aber wird Kant in einer Ausstellung sinnlich erfahrbar? Und wie kommt Horror hinein? Zunächst einmal liefert die Orangerie im Neuen Garten Potsdam eine historisch nahezu authentische Kulisse für die Inszenierung, da sie in etwa zeitgleich mit Kants Wirken in Königsberg ist. Im ersten Raum folgt der Einstieg in einige der großen Themen und Ideen Kants: Gleichheit, Freiheit, Wissenschaft. Dann betreten die Besucher Kants Arbeitszimmer und Königsbergs historische Stadtkulisse. Was inspirierte Kants Denken? Der französische Philosoph Rousseau ist durch ein Portrait vertreten, Isaac Newtons revolutionäre Physik, die Entdeckung der Schwerkraft, durch das Experiment mit dem Apfel. Im dritten Raum erleben wir fünf Mal Kant in einer Videoinstallation, wir erleben Kant, wie er spricht, wie er im Dialog mit einer jungen Frau über heutige aktuelle Fragen Antworten gibt. Sie insistiert mit der Frage, was kann ich hoffen? In dem fiktiven Gespräch gesteht Kant auch Fehler ein. Danach sind im wunderschönen Ambiente des Palmengartens der Orangerie in Schaukästen die Originalbände der „Drei Kritiken Kants“ zu sehen. Hier wird auch das Rahmenprogramm, u.a. Neuaufführungen der „Zauberflöte“ des jungen britannischen Ensembles „Wild Arts“, stattfinden. 

Apokalypse darzustellen…

Highlight der Ausstellung ist sicher der vierte Raum, der die filmische Begegnung mit den „Vier Reitern der Apokalypse“ in Wasser und Regen liefert und dabei alle Sinne antastet. Die Aufklärer waren alles andere als naiv, sie wussten über die Schrecken der Welt, Krieg, Verderben, Revolution, Krankheit, koloniale Eroberung bestens Bescheid. „Kein Zeitalter hat besser über das Böse reflektiert, die Möglichkeit genutzt, eine Apokalypse darzustellen, aber auch die Möglichkeiten formuliert sie abzuhalten“, konstatiert die Kuratorin.
Einer der Räume in der Ausstellung. Foto: Ellen Spielmann
Einer der Räume in der Ausstellung. Foto: Ellen Spielmann

Im letzten Raum erwartet uns in Kants Esszimmer eine Soundinstallation. Man hört die Gespräche von Kants Gästen beim täglichen Mittagessen. Die Maxime der Konservation waren nicht abstrakte philosophische, sondern große dringliche Fragen wie, was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen? 

Dass „Walking with Kant“ den richtigen Drive bekommt und ideal auch für ein jüngeres Publikum ist, liegt an der weisen Entscheidung der Künstler Peter Greenaway und Saskia Boddeke, bei der Arbeit ihre Tochter Pip Greenaway mit ins Boot genommen zu haben.


Informationen:

www.einsteinforum.de/veranstaltungen/die-macht-der-aufklarung

Fotos: Ellen Spielmann

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