Die Schweiz steht bei versierten Weinkennern mit gutem Grund weit oben auf der Agenda – sowohl international als auch bei den Eidgenossen selbst. Bezogen auf den jährlichen Weingenuss pro Einwohner steht die Schweiz mit 33 Litern nämlich weltweit auf Platz vier, auch wenn sie mit Blick auf die 148 km2 Anbaufläche nur den 20. Platz belegt. Die vier am meisten angebauten Rebsorten – Blauburgunder, Chasselas, Gamay und Merlot –machen knapp drei Viertel des Anbaus aus.
Für 2020 erwarteten Winzer und Experten gleichermaßen einen sehr guten Jahrgang. „Wir können uns auf eine tolle Ernte freuen“, blickt Sommelière Yvonne Heistermann voraus, die die virtuelle Weinreise durch die Schweiz begleitet. Zu den besonderen Favoriten der Dozentin der Deutschen Wein- und Sommelierschule zählt vor allem der autochthone Chasselas. Von der Vereinigung zur Förderung der auch als Gutedel bezeichneten Sorte wurde die Karlsruherin im schweizerischen Aigle zur Botschafterin gekürt. Zudem gehört die profunde Kennerin des Schweizer Weinbaus auch der Jury des Mondial du Chasselas an.
Die erste Station ist das Wallis, wo rund 4800 Hektar mit Chasselas bestockt sind – so viel wie sonst nirgends in der Schweiz. Zu den Vorzeigegütern gehört mit Bonvin das älteste Weinhaus des Kantons. Die Weinberge der seit 1858 in Sion sesshaften Kellerei umfassen eine Fläche von 23 Hektar. Der im Stahltank ausgebaute Fendant (im Wallis ein Synonym für die Chasellas-Traube) Sans Culotte überzeugt mit seiner schönen Mineralik und zeigt sich am Gaumen fruchtig mit floralen Noten und einer sehr milden Säure.
Petite Arvine – Salznoten im Abgang
Aus dem Waadtland steht ein Epesses Grand Cru AOC Lavaux „Rocanet“ vom Weingut Obrist auf der Verkostungsagenda. 1854 in Vevey am Ufer des Genfer Sees als Händler gegründet, zählt Obrist heute zu den wichtigsten Weinproduzenten und -händlern in der Schweiz. Die Trauben wachsen in Steillagen mit kargen Böden, der Wein präsentiert sich mineralisch-cremig mit Nussaromen und einer markanten Mineralik.
Petite Arvine ist eine weitere autochthone, sehr alte Weißweinsorte der Schweiz. Dem 2019er Petite Arvine du Valais AOC „Valais d’Or“ 2019 aus dem Weingut Marice Gay ist sein Alkoholgehalt von 14 Prozent nicht anzumerken. Duftnoten alpiner Flora und Grapefruit, am Gaumen vollmundig mit gehaltvoller Struktur und intensiven Zitrus- und Rhabarberaromen. Im Abgang punktet er mit dem für die Rebsorte so typischen Hauch von Salz. Ein weiterer Qualitätsausweis ist der mit 700 Gramm pro Stock sehr geringe Ertrag.
Die virtuelle Weinreise führt weiter nach Malans in Graubünden. Die Trauben für den Steinböckler Pinot Noir AOC des Jahrgangs 2019 werden traditionell auf der Maische vergoren und im Edelstahltank ausgebaut. Im Glas strahlt der Wein kräftig rubinrot. Samtig-weich zu Beginn, gehaltvoll im Mittelteil und langanhaltend im Abgang.
Animierende Versuchung aus Neuchâtel
Der Neuchâtel Blanc non filtré 2019 aus dem Château d’Auvernier ist immer der erste Wein des Jahres, der ab dem 3. Januar in Neuenburg auf den Markt kommt. Dieses Konzept stammt aus den 1970er Jahren und hat sich längst fest etabliert. Das 1559 erbaute Château und sein Weingut sind seit 1603 im Besitz der Familie Grosjean, Patron Thierry Grosjean repräsentiert bereits die 17. Generation. Auf dem Weingut werden Trauben von rund 60 Hektar Reben verarbeitet, 16 Hektar davon sind eigene Rebstöcke. Bei kühlen sieben Grad Celsius ist der Blanc non filtré eine animierende, vor ungefilterter Aromatik strotzende Versuchung. Mit einem hellen grüngelb schimmert er im Glas. Knackig-zitronig die Aromen mit einem unmissverständlichen Hefegeschmack.
Den Abschluss der vinophilen Reise durch die Schweiz bildet das Tessin. Rubinrot im Glas schimmert die Cuvée Rossi IGT 2017 Merlot aus dem in Lamone bei Lugano angesiedelten Weingut Tamborini, das 2019 sein 75-jähriges Jubiläum feierte. Etwa die Hälfte der Erträge stammt aus der eigenen Traubenproduktion, hinzu kommen zugekaufte Trauben von 140 Vertragswinzern. Das milde Klima und die Bodenqualität eignen sich hervorragend für die Bestockung mit der frühreifenden Merlot-Traube. Die intensiv nach Brombeeren und Kirschen duftende Cuvée präsentiert sich mit schönem Körper und einem kompakten Säure-/Gerbstoffverhältnis. Feine Tannine begleiten den Abgang bis zum Schluss.
Kulinariker-Tipp: Sämtliche Weine sind beim Importeur Lionhouse zu beziehen.
Fotos: Swiss Wine