Spätestens bei drei Stunden Flugzeit von Oslo nach Alta mit kurzem Zwischenstopp in Tromsø werden einem die Dimensionen des Landes und die geographisch-klimatische Extremlage Nordnorwegen bewusst. Nicht selten begrüßt Alta (12.000 Einwohner), die größte Stadt der Finnmark, Anreisende mit heftigen Sturmböen, doch Gelassenheit und Freundlichkeit der Norwegian-Airline Crew und Erfahrenheit der Piloten dämpfen jedwede Aufgeregtheit und schwupps ist die Maschine schon gelandet.
Die Küstenstadt Alta, die den Beinamen „Stadt der Nordlichter“ trägt, wurde am 30.1.1945 im sogenannten „Unternehmen Nordlicht“ von der deutschen Wehrmacht in Schutt und Asche gelegt. Befehlsführer General Alfred Jodl stand als Kriegsverbrecher bei den Nürnberger Prozessen unter Anklage und wurde u.a. wegen der Kriegstaktik der verbrannten Erde, der die gesamte Finnmark zum Opfer fiel, verurteilt. Nach dem 2. Weltkrieg entstand eine hochmoderne Stadt mit Sehenswürdigkeiten wie der 2013 gebauten Nordlichtkathedrale, einem Wunderwerk der Architektur oder dem Sami-Denkmal auf dem Marktplatz, welches die schwere körperliche Arbeit des Schieferabbaus darstellt.
Dennoch galt Alta bisher vor allem als Tor zum Nordkap. Heute gelingt es zunehmend das Image als ein-Tages-Destination abzustreifen, Gäste bleiben länger, genießen die Ausflüge in die nahe Umgebung: zum Whalewatching im Alta-Fjord und zum Nordlicht-Observatorium auf dem nah gelegenen Berg Haldde, wo Norwegens Nationalheld Kristian Olaf Bernhard Birkeland ab 1899 das sagenhafte Naturschauspiel systematisch beobachtete und mit magnetischen Messungen in den Stollen der Kupfermine Kåfjord erstmals wissenschaftlich dem Naturphänomen Nordlicht auf die Spur kam.
Unbedingt sehenswert ist das sich der Kulturgeschichte der Finnmark widmende Alta-Museum, das 7000 Jahre Menschheitsgeschichte präsentiert. Alta gilt als „Wiege der Menschheit“, davon zeugen die bis zu 7000 Jahre alten Felszeichnungen von Hjemmelluft (samisch: Jiepmaluokta, das bedeutet Robbenbucht). Sie zeigen das Leben der Jäger und Fischer und stehen seit 1985 auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes.
Sami Siida – das traditionelle Sami-Muster-Dorf
Zum kick off auf der Fahrt in die winterliche Tundrasteppe der Finnmarksvidda, Lebensraum der Sami und ihrer Rentierherden, eignet sich Sami-Siida, das neun Kilometer südlich von Alta am Alta-Fluss gelegene Sami-Zentrum. Im familienbetriebenen kleinen Unternehmen kommt man nah an die majestätischen Rentiere heran, sieht und erlebt hautnah, dass jedes Tier anders ist in Zeichnung und Charakter.
Von Ann Kristine Sara Bongo und Espen Nystad, die uns in schönster traditioneller Kleidung begrüßen erfahren wir in einem crash Kurs die Basics über das Leben, Arbeit, Familie, Kleidung und kulturelle Ausdrucksformen der Sami. In ganz Skandinavien gibt es 3.500 Rentierherdenbesitzer, sei es Familien- oder individueller Besitz. Anders als in Finnland garantiert die Politik Norwegens ausschließlich den Sami Rentierherden zu besitzen. Wer zwischen 500 und 1000 Rentieren hat, kann davon leben, wer weniger Tiere sein Eigen nennt, benötigt weitere Einnahmequellen.
Tourismus bietet eine sehr gute Option. Ausflüge mit dem Rentier-Schlitten, um Nordlichter zu jagen, ist sicher das spektakulärste Programm. Im Angebot sind Workshops, etwa um traditionelle Kleidung herzustellen. Im großen Javvu (Sami-Zelt) in dessen Mitte ein Holzfeuer lodert, nehmen wir auf Knien sitzend auf weichen Fellen Platz, trinken heißen Kaffee. Er wird in den typischen leichten runden Holztassen mit Stil serviert.
Joik – samischer Gesang gestern und heute
Ann Kristine, imposant mit ihrem großen Silberschmuck, liefert uns mit der Performance ihr „Joik“ am wärmenden Feuer. Joik ist ein rhythmischer ursprünglich ritueller Gesang, der zu den ältesten Formen der Volksmusik zählt. Er wird von Männern und Frauen praktiziert. Die Gabe zu joiken ist nicht jedem gegeben, sie wird innerhalb der Familie von Generation zu Generation auf bestimmte Mitglieder übertragen.
In jüngster Zeit erlebt das joiken eine neue Ära, es gibt vielfältige moderne Interpretationen, Joik-Wettbewerbe zu Ostern, auch international reüssiert die hohe Kunst: 2019 trat die norwegisch-samische Gruppe KEiiNO, mit einem Mix aus Pop, Electronica, Dance und Joik, für Norwegen beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv an.
Klassische Küche: „Bidus“ und „Finnbiff“
Das Highlight in Sami Siida ist zweifellos das große gemütliche Restaurant in dem natürlich Rentierfleisch im Zentrum steht. Neben seinem erwiesenen höchsten Nähr- und Gesundheitswert überzeugt sein einzigartiger Geschmack, der von den Aromen der Gräser, Kräuter und Flechten, Beeren und Pilzen, der Nahrung der Rentiere rührt. Topgericht ist Bidus, der Rentiereintopf. Dessen Hauptzutaten sind Rentierfleisch, Karotten und Kartoffeln, die langsam mit Salz und Zwiebeln geköchelt werden. Bidus, das Festessen, wird zu Hochzeiten und Konfirmationen serviert.
Sehr beliebt ist auch ein weiterer Eintopf „Finnbiff“, dessen Basis Reinskav – geschnetzeltes Rentierfleisch ist, es wird mit Pilzen, Speck, Sauerrahm, Milch, Ekte Geitost (süßer brauner Ziegenkäse), Wacholderbeeren und getrocknetem Thymian zubereitet. Røkakjøtt, geräuchertes Rentierfleisch, steht nur im Herbst, Winter und Frühjahr auf der Speisekarte, es wird mit Kartoffeln und gestampften Rüben sowie Preiselbeermarmelade kredenzt.
Es gibt aber auch Stežan, Rentierschnitzel (paniert) dazu Bratkartoffeln, gebräunte Zwiebeln und Preiselbeer-Sauerrahm. Auch Lachs fehlt nicht auf der Karte. Durch den Tourismus bietet die Küche gezwungenermaßen auch ein veganes Gericht an: „Ninas Grüne Suppe“ aus Karotten, Sellerie, Lauch, Paprika, Reis und Brezen. Hier in der Arktis können klimabedingt in den kurzen Sommermonaten eigentlich nur Kartoffeln und Karotten in geringer Menge angebaut, alles andere muss energie- und kostenaufwendig aus dem Süden importiert werden.
Eines ist klar und deutlich: wer kein Rentierfleisch isst, kann auf Dauer in der Finnmark nicht überleben. Doch nun zum süßen Dessert: Knuspriger Kuchen mit Moltebeerensahne, süßer Reis (in Sahne gekocht) mit roter Beerensoße, Pannacotta und Johannisbeerensoße und Eis. Buorre borranmiella! Guten Appetit!
Informationen:
Visit Norway: www.visitnorway.com
Destination Sápmi: www.destinasjonsapmi.no/kommuner/english
Visit Alta: www.visitalta.no
Canyon Hotel: www.canyonhotell.no
Alta Museum: www.alta.museum.no
Kulturzentrum und Restaurant: www.samisiida.no
Fotos: Ellen Spielmann