Foodie

Alle für Nas-cëtta! (Teil 1)

Nur 967 Einwohner zählte das Dörfchen Novello Ende des Jahres 2020. Und viel mehr sind es auch 2021 nicht. Dabei hat das hochgelegene Novello, das mit dem neuen NoveLab in der ehemaligen Dorfschule ganz auf Zukunft, auf Digitalisierung und sogar 3-D-Drucker setzt, auch touristisch durchaus einiges zu bieten. Da ist z. B. der Wanderweg „Nas-cëtta di Novello“: In knapp zwei Stunden führt der 6,3 km lange Rundweg ab/bis Piazza Monviso in die Weinberge und auch zu einigen Weingütern, etwa der Cantina Le Strette oder zu Paolo Sartirano, der hier die Sansilvestro-Weine keltert. Und so ganz nebenbei sind die Weinberge von Novello ein grandioses Open-air-Museum der Extraklasse – und selbstverständlich seit 2014 Teil des UNESCO-Welterbes Langhe, Roero und Monferrato sind!

Noch schlauer scheint es indes, gleich die nagelneue Cantina Comunale di Novello aufzusuchen, um einige wunderbare Nas-cëtta-Weine zu verkosten oder sogar Valter Fissore anzutreffen. Er ist seit 2016 Präsident der Winzervereinigung „Nas-cëtta del Comune di Novello“ („Nas-cëtta der Gemeinde Novello“). Mit Gattin Nadia Cogno hat Valter Fissore zudem wesentlich dazu beigetragen, dass aus einer nahezu in Vergessenheit geratenen, einst als hochexquisit gefeierten Rebsorte wieder eine „Königin“ unter den Weißweinen wird: die Weinrebsorte Nas-cëtta, italienisch „naschetta“, im piemontesischen Dialekt von Novello indes „nas-zetta“ ausgesprochen!

Nun, coronabedingt hat nicht jeder die Zeit oder Möglichkeit, kurzerhand nach Novello aufzubrechen, in dessen Nachbarschaft sich das weitaus berühmtere Dörfchen Barolo und das Bilderbuch-Panorama-Dorf der Barolo-Weine, La Morra befinden. Aber da Novello nun hochmodern ist, entschloss sich die 2014 gegründete Winzervereinigung – anfangs sieben, heute 12 etablierte Mitstreiter – schon 2020, mit ihren Nas-cëtta-Weinen virtuell an die Öffentlichkeit zu treten. 2020 waren erst einmal 40 italienische Medienvertreter geladen, beim Online-Weinseminar mehr über die Nas-cëtta-Rebsorte zu erfahren und diese zu verkosten.

In der Cantina. Fotos: Associazione produttori di Nas-cëtta
In der Cantina. Fotos: Associazione produttori di Nas-cëtta

Und natürlich existierte für dieses Treffen auch ein veritabler Anlass: Man feierte das zehnjährige Jubiläum der Verleihung des DOC-Siegels für die Nas-cëtta-Weine der Langhe und des noch exklusiveren DOC-Siegels für die Nas-cëtta-Weine aus Novello: Seither dürfen ausschließlich die Winzer aus Novello ihre Weine mit der Bezeichnung „Langhe DOC Nas-cëtta del Comune di Novello“ schmücken. Schließlich ist Novello eben jener Ort, an dem die Nas-cëtta-Rebsorte ihren Ursprung nahm, wo sie erhalten blieb und seit Mitte der 1990er Jahre ihre fulminante Wiedergeburt feiert. 2021 besitzen die 12 Winzer von Novello zwar nur ein Drittel all jener Langhe-Weinberge, auf denen wieder Nas-cëtta produziert wird. Denn viele Winzer außerhalb von Novello haben sich von der Qualität überzeugen lassen und bauen nun selbst die Rebsorte an: ein erster Nachweis für den Erfolg!

Dabei bleiben die Nas-cëtta-Weine weiterhin eine besondere Rarität: 2020 wurden in Novello auf 15 ha Weinbergen gerade einmal 88 000 Flaschen der „Königin“-Rebe erzeugt.

Und die Auszeichnung „Langhe DOC Nas-cëtta del Comune di Novello“ hat ihren Preis: Während außerhalb von Novello nur 85 % Nas-cëtta in den so zum Blend gewandelten Wein muss und auf den Weinbergen 110 Quintale pro Hektar erlaubt sind, dürfen es in Novello nur 90 Quintale pro Hektar sein. Zudem muss der Nas-cëtta aus Novello absolut reinsortig, ergo zu 100 % Nas-cëtta sein. Und natürlich ist auch das Terroir von Novello, besonders das stark von der Sonne beschienene, höchst ausschlaggebend für die Qualität des Langhe DOC Nas-cëtta del Comune di Novello. Denn wie wohl jede Königin kann diese Rebsorte äußerst launisch sein, besitzt sogar ihre Tücken. Die Trauben sind dünnhäutig, gelten gar als anfällig für Krankheiten, verlangen viel Geduld und Pflege und können erst spät, Ende September bzw. im Oktober geerntet werden.

So erwarb sich die Rebsorte auch den Ruf, riskant und nicht sehr ergiebig zu sein. Dies scheint die Erklärung dafür, dass der schon 1877 und 1879 hochgelobte Weißwein – er wurde damals sogar als Messwein genutzt und auch als Süßwein und Passito geschätzt – im 20. Jh. beinahe in der Versenkung verschwand. Gleich blieb hingegen seit je der Name: Anascetta bzw. Nas-cëtta, und wie wir beim Online-Weinseminar durch den fachkundigen Winzer Savio Daniele erfahren, in keiner Weise mit Nebbiolo oder gar Vermentino zu vergleichen. Nas-cëtta darf als autochthone Rebsorte gelten, ist als solche auch seit 2001 registriert und bringt zwar wie andere piemontesische Weine wie etwa Barbera auch viele Gewürznoten mit, bleibt aber einzigartig!

Einige Nas-cëtta Weine. Foto: Jürgen Sorges
Einige Nas-cëtta Weine. Foto: Jürgen Sorges

Verantwortlich für den Niedergang war Anfang des 20. Jh.s Phylloxera, die Reblaus-Katastrophe. Und dann kam vor allem die Armut der Nachkriegsjahre, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Die örtlichen Winzer setzten auf Sicherheit, vor allem auf resistentere und produktivere Rebsorten: Der Siegeszug des Nebbiolo setzte ein.

Doch einige Reihen Nas-cëtta blieben in Novello für den Hausgebrauch erhalten. Sie spielten bei der Renaissance der Nas-cëtta-Rebe eine herausragende Rolle. Diese begann 1991 dank eines Zufalls: Damals war Professor Armando Gambera auf Recherchebesuch im Haus von Franco Morengo. Dort wurde ihm eine der letzten Flaschen Nas-cëtta des Jahrgangs 1983 angeboten. Mit anwesend waren auch Elvio Cogno und Schwiegersohn Valter Fissore. Und auch sie konnten sich von Aromen und Noten von Iris, weißen Akazienblüten und Honig überzeugen und durften die Langlebigkeit dieses Wundertropfens feiern. Die Liebe zur Nas-cëtta-Rebe entbrannte aufs Neue!

Zu welchem qualitativem Erfolg diese neue Leidenschaft führte, davon konnten sich nun die 34 Teilnehmer des zweiten, nun internationalen virtuellen Weinseminars „Nas-cëttaland Virtual 2“ überzeugen. 1994 erntete Valter Fissore das erste Mal Nas-cëtta von vielen umliegenden Weinbergen von Novello – und füllte ganze 800 Flaschen ab. 1996 übernahmen Tochter Nadia und Schwiegersohn Valter das Erbe von Elvio Cogno, der zuvor noch die zwei ältesten Weinberge in Novello, 1948 mit Nas-cëtta bepflanzt, erworben hatte. So wurde das Weingut Elvio Cogno (mit insgesamt 15 ha Rebfläche!) das einzig autorisierte, das Replikate von Nas-cëtta-Setzlingen für neu zu bepflanzende Weinberge herstellen durfte.

Von Beginn an dabei war auch das von Mauro und Savio Daniele geführte Weingut Le Strette, das 1997 erstmals Nas-cëtta erntete und 1999 die ersten Nas-cëtta-Flaschen verkaufte. Ihm gehört heute der einzige noch existierende dieser 1948er-Weinberge: Pasinot. 2021 und somit exakt ein Vierteljahrhundert nach der Übernahme des Weingutes und 27 Jahre nach der ersten neuen Nas-cëtta-Weinlese 1994 scheint sich das Credo von Valter Fissore erfüllt: „Um einen Wein zu machen, muß man eine Idee haben und mit Klauen und Zähnen dafür kämpfen, mit dem Risiko, dafür als dickköpfig gescholten zu werden. Einen Wein zu machen, bedeutet eine Vision zu haben.“

Weinberg in Novello. Fotos: Associazione produttori di Nas-cëtta
Weinberg in Novello. Fotos: Associazione produttori di Nas-cëtta

Welchen Erfolg solche Hartnäckigkeit zeigt, beweisen heute die Bewertungen der internationalen Weinkritik: Die Jahrgangsweine des Langhe DOC Nas-cëtta del Comune di Novello erhalten durchweg um die 90 Punkte, Spitzenerzeugnisse erzielen bis zu 92 Punkte – sehr hoch für Weißweine!

Die Einführung ins Weinseminar übernahm Präsident Valter Fissore, der sich erst einmal auf die eingangs dargestellte Geschichte der Rebsorte und die Ziele der Winzervereinigung konzentrierte. Savio Daniele äußerte sich dann zu den Charakteristika des Nas-cëtta. Er beschrieb ihn als „medium aromatic wine“, im Gegensatz zu den „classical aromatic wines“ mit hohem Wiedererkennungswert wie etwa Chardonnay oder Moscato. Und tatsächlich ist der Nas-cëtta stets fruchtig und frisch, ihn zeichnet aber auch große Komplexität aus. Eine wie auch immer geartete „Identität“ des Weins ist aber nicht angesagt. Denn zwar sitzen die 12 Winzer regelmäßig zusammen, diskutieren etwa auch über die beste Hefe und beraten über die weitere Steigerung der Qualität dieses Weißweins.

Doch eine geschmackliche „Normierung“ sei, so Savio Daniele, gar nicht erstrebenswert. Schließlich mache man dies beim Nebbiolo auch nicht! Schwierig, aber möglich sei sogar, aus dem Nas-cëtta einen Schaumwein (Spumante) zu erzeugen. Dies gelang in Novello erstmals dem jüngsten Mitglied der Vereinigung, der Azienda Agricola von Massimiliano und Luciana Passone, die 2020 ihren „Bolletta“ (in etwa: „kleines Bläschen“) edierten. Der war 36 Monate auf der Hefe, wurde nach der klassischen Methode hergestellt und ist natürlich zu 100 % ein Nas-cëtta. In der Langhe gibt es zudem weitere Winzer, die sich erfolgreich am Nas-cëtta-Spumante in der 85-Prozent-Version versuchen.

 

Informationen:

Associazione produttori di Nas-cëtta del Comune di Novello, www.nascettadinovello.com/en/ 

Fotos: Associazione produttori di Nas-cëtta del Comune di Novello / Produzenten, Jürgen Sorges 

Teilen: