Und dann werden wir auch schon vom herzlichen Team der Lodge in Empfang genommen. Wir sind überrascht, wie viele es sind, wenn man bedenkt, dass die Lodge lange keine Gäste empfangen durfte. Aber Chad Pike hält seinen Mitarbeitern eben auch in schwierigen (Pandemie)-Zeiten die Treue. Weil er es sich leisten kann. Vor allem aber: weil er sich in der Verantwortung sieht.
Tatsächlich fühlt man sich in der großzügigen Lodge am Ufer des Rio Palena mit ihren sieben Zimmern für maximal 14 Gäste sofort wohl. Als Willkommens-Trunk gibt es Mate mit einem Schuss Pisco – sehr erfrischend! Und ein leichtes Mittagessen steht auch schon bereit. Ja, wir wollen es uns gut gehen lassen, aber in erster Linie sind wir ja zum Fliegenfischen gekommen. Also schnell eine Etage tiefer und rein in die Wathosen und -schuhe, die schon in den vorab bestellten Wunschgrößen bereitstehen.
Keine halbe Stunde später sind wir mit unserem Guide Miles Marquez, einem waschechten New Yorker mit puerto-ricanischen Wurzeln, auf dem Rio Palena mit dem Driftboot unterwegs. Ich teile Boot und Guide mit Ross Purnell, seit mehreren Jahrzehnten Chefredakteur von „Fly Fisherman“, dem wichtigsten Fachmagazin auf dem US-Markt. Er platziert seine Trockenfliege mit traumwandlerischer Sicherheit genau an den Orten, an denen er sie haben will, oftmals unter überhängenden Weidenbüschen, den bevorzugten Standplätzen großer Forellen. Ich kann da nicht wirklich mithalten, aber im Fluss tummeln sich so viele Flossenträger, dass wir beide glücklich werden. Nur bei der Größe der „Browns“ (Bachforellen) und „Rainbows“ (Regenbogenforellen) ist noch Luft nach oben.
Weil es der schönste Tag der Woche ist und das Wetter morgen wieder „patagonisch“, sprich: windig und regnerisch werden soll, lädt das Team der Lodge gleich am ersten Abend zum Asado ein. Nun habe ich in Südamerika schon viele solcher Fleisch-Fiestas am offenen Feuer miterlebt, aber die Crew der Rio Palena Lodge inszeniert die Gaucho-Party auf besondere Weise: in einem eigens dafür vorgesehenen Patio; mit den besten Stücken von Rind und Lamm; mit würzigen Würsten; mit kräftigen chilenischen Rotweinen; mit knackigen Salaten und an der Bar frisch gemixten Cocktails. Es wird ein langer, denkwürdiger Abend, an dem die Chilenen den US-Kollegen einheimische Volkslieder und Tänze beibringen. Dass Trinidad, die als „Experience Managerin“ meine Reise-Arrangements beaufsichtigt hat, dabei in nicht ganz nüchternem Zustand einmal ins Feuer gefallen sein soll, ist selbstverständlich nur ein Gerücht.
Anderntags geht es mit den Geländewagen der Lodge zum Futaleufú, einem der besten Forellenflüsse Chiles. Wir steigen dort in Metallboote mit starken Außenbordmotoren, denn der „Futa“ ist ein großer, reißender Strom, der sehr viel Wasser führt. Die tiefen, türkisfarbenen Gumpen lassen uns ehrfürchtig staunen. Wie soll man hier nur den Fisch finden? Guide Miles hat natürlich einen Plan: „Die großen Forellen ziehen zum Jagen vom Lago Yelcho in den Fluss, weil sie wissen, dass dort Futter angeschwemmt wird.“ Damit ist auch klar: Ross und ich werden heute richtig hart arbeiten müssen, um unsere schweren Streamer an den richtigen Ort zu bugsieren, denn der Wind frischt merklich auf. Auch Miles, der zweifache Afghanistan-Veteran, reißt sich den Hintern auf und kämpft mit den Rudern gegen die Wellen, um das schwere Boot an aussichtsreichen Plätzen zu halten.
Zuerst rufen wir noch „Viva la Patagonia!“ gegen den Wind, doch dann wird daraus „Putagonia!“. Hijo de la puta«, das ist auf Spanisch der „Hurensohn“, und jeder kann sich zusammenreimen, welches Wetter man in „Putagonia“ erwarten darf. Forellen fangen wir trotzdem, sogar ein ganzes Dutzend. Mit maximal 21 Zoll (53 Zentimeter) sind sie zwar nicht so lang, wie wir erhofft hatten, aber Spaß macht das auf jeden Fall in dieser urwüchsigen, wilden Natur. Wer Glück hat, bekommt hier schon mal eine kapitale Bachforelle im zweistelligen Pfund-Bereich an den Haken.
Als wir durchgefroren und müde an der Lodge ankommen, sind wir froh, dass Hot Tub und Sauna bereits aufgeheizt und startklar sind. Mit Blick auf den Rio Palena genießen wir feine Häppchen und den ersten Pisco Sour des Tages. Das Leben kann so einfach sein, wenn man einen Gastgeber wie Chad Pike hat. Der „Frührentner“ ist übrigens ein wirklich passionierter Fliegenfischer. Und auch ein Mann, der sich aktiv für den Erhalt der Wildfisch-Bestände und ihrer Reviere einsetzt und dafür Geld locker macht. Er ist unter anderem Vorstandsmitglied der „National Fish and Wildlife Foundation“ in den USA und Vorsitzender des „North Atlantic Salmon Fund (U.S.)“. 2018 erhielt er von dieser Organisation sogar den „Lee Wulff Salmon Conservation Award“, weil er maßgeblich an der Unterzeichnung eines Abkommens mitgewirkt hatte, das ein zwölfjähriges Moratorium für die kommerzielle Lachsfischerei vor Grönlands Küsten vorsieht.
Die EE-Lodges passen da durchaus in sein Konzept: Pike möchte mit seinen Gästen nicht nur seine Leidenschaft für die Natur teilen, sondern sie im Idealfall mit außergewöhnlichen Erlebnissen so berühren, dass sie selbst zu Umweltschützern werden. Wie einzigartig die Natur Patagoniens ist, erleben wir am nächsten Morgen, als wir mit dem Hubschrauber der Lodge an den Rio Tigre fliegen. In dem kleinen Fluss, den man bestens bewaten kann, wimmelt es nur so vor Bachsaiblingen. Die meisten sind nicht sehr groß, aber wunderschön gezeichnet. Für Anfänger ist das eine feine Übung mit der Trockenfliege in einer atemberaubenden Landschaft.
Gerne wären wir noch länger geblieben, um später nur mit der „Libelle“ erreichbare Bergseen zu befischen, in denen XL-Forellen schwimmen sollen, doch der Pilot drängt zum Aufbruch, weil sich die Wolken schnell absenken. Und es wäre doch jammerschade, die Nacht auf einer Schotterbank zu verbringen, wenn man doch in der komfortablen Lodge erwartet wird. Den Nachmittag befischen wir abermals den Rio Palena – mit dem Chopper dauert der Revierwechsel keine halbe Stunde. Leider überzeugt uns die Ausbeute auch an diesem Tag nicht wirklich.
Der Futa scheint die deutlich bessere Wahl für unseren letzten Tag zu sein. Doch der Wind bläst so stark, dass wir Mühe haben, die Fliegen gegen den Sturm anzuwerfen. Nach einem üppigen „Shore Lunch“ mit vier Gängen und etwas zu viel Rotwein flüchten wir in die Seitenarme des Futa, wo uns Büsche einigermaßen abschirmen. Beim Fischen auf Sicht überlisten wir mehrere schöne Bachforellen, ehe uns die Aussicht auf den mit heißem Wasser gefüllten Holzbottich einfach zu verlockend erscheint. Als ich mit Ross und Brian auf die vergangenen Tage anstoße, stellen wir übereinstimmend fest: Mr. Pike hat ganz schön viel richtig gemacht in seinem Leben!
Informationen:
Eleven Experience, https://elevenexperience.com
Direkter Link zur Rio Palena Lodge, https://elevenexperience.com/angling-chile
Fotos: Eleven Experience / Brian O’Keefe