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Ein Gläschen auf Napoleon!

Den 2. April 1808 hat man in Civitanova Marche an der Adriaküste wie in der gesamten italienischen Region der Marken bis heute nicht vergessen. Damals wurden die Marken per Dekret Kaiser Napoleons I. dem Gebiet seines neugeschaffenen napoleonisch-italienischen Königreichs einverleibt. Und dies war für den Kaiser wie für seinen in Italien stellvertretend herrschenden Vizekönig Beauhernais auch praktisch ein höchst attraktiver Schritt. Denn Napoleon Bonaparte, 1808 in der Blüte seiner Macht und Regent halb Europas, hatte zudem die Konfiszierung aller kirchlichen wie klösterlichen Ländereien verfügt.

Und dies bedeutete: 1050 Hektar bestes von den ein wenig salzhaltigen, milden Adriawind verwöhntes Agrarland, ein Viertel der Agrarflächen rund um Civitanova Marche, gehörten plötzlich ihm – persönlich, denn anfangs sollten diese dem päpstlichen Kirchenstaat abgeluchsten Ländereien ihm direkt als Apanage zufließen. Dann aber kümmerten sich erst einmal die Beauhernais um die attraktiven landwirtschaftlichen Flächen, auch über den Wiener Kongress 1814 hinaus. Denn eher unerwartet verblieben diese Ländereien, „Amministrazione Bonaparte“, „Verwaltung Bonaparte“ genannt, im Privatbesitz des Napoleon-Clans. Nach einigem Hin und her kamen die Ländereien schließlich ins Portfolio von Charles-Louis-Napoléon Bonaparte (1808 – 1873).

Und der wurde 1848 nicht nur für vier Jahre französischer Staatspräsident, sondern regierte die „Grande Nation“ von 1853 bis 1870 auch als Kaiser Napoleon III. und damit letzter Monarch. Um 1847 ersetzte Charles-Louis-Napoléon Bonaparte den letzten Gutsverwalter, einen Dragoneroberst und verdienten Veteranen der Napoleonischen Kriege, durch einen Ingenieur und später höchst verdienten Önologen. Es kam Paul Hallaire, sah und siegte auf den dann sogar 1855 im Kataster von Civitanova so sogenannten „Domaines privés de L`Empereur Napoléon III“ von Civitanova mit neuen Agrarmethoden aus Frankreich und der Anpflanzung von französischen Rebsorten. Dabei folgte Paul Hallaire erst einmal den Anweisungen seines 1847 noch nicht ins Kaisertum aufgestiegenen Chefs.

Und der hatte es eilig, denn 1947 war der Charles-Louis-Napoléon Bonaparte gerade echt knapp bei Kasse – und benötigte dringend politische Unterstützung. Also setzte er alles auf England und wies Hallaire an, in Civitanova, einen äußerst trockenen, niemals süßen Wein zu erzeugen, der noch dazu denjenigen, die das Meer schätzen und den englischen Geschmack teilen, unbedingt munden sollte. Und so gelangten Cabernet, Merlot, Sauvignon und Chardonnay in die Amministrazione Bonaparte –Hallaries größter Verdienst. Ab 1852 ließ Hallaire zudem nahebei die heute eher etwas verfallene, nicht zu besuchende Villa Eugenia errichten. Sie war nach Eugénie de Montijo de Guzman (1826 – 1920) benannt, der Gattin Napoleons III. und Frankreichs letzte Kaiserin von 1853 bis 1870.

Das imperiale N des französischen Kaisers. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia
Das imperiale N des französischen Kaisers. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia

Auch am einstigen Landarbeiterhäuschen, einer klassischen Casa Colonica, der nur 10 Hektar großen, rein für den Weinbau genutzten Tenuta Boccadigabbia prangt eine Keramiktafel mit der Kaiserkrone und dem berühmten Logo von Napoleon Bonaparte, dem legendären „N“. Denn auch dies Gebiet gehörte einst zur Amministrazione Bonaparte. Den entscheidenden Schritt hin zur Moderne vollzog damals nicht mehr Hallaire, sondern von 1883 bis 1918 der Önologe Celso Tebaldi. Er teilte die nun schon 1200 Hektar Land in 110 Kleinkolonien auf, die für drei neu errichtete große Weinkeller zuarbeiten sollten. Und Boccadigabbia, ein uralter Flurname, der in etwa „Sperre an der Einmündung“ bedeutet, gehörte zu den 110 jeweils von einem „Capodopera“, einem „Team- bzw. Arbeitsboss“ geführten Gütern und lieferte fortan beste Trauben an den Großgutshof Fontespina.

Und Celso Tebaldi, ein Pionier der Landwirtschaft, entwickelte die „Verwaltung Bonaparte“ zu einem der modernsten Mustergüter Italiens. Tebaldi hatte allerdings auch einen guten Sinn für Geschichte: Denn zu dein historischen Ortsnamen wie Boccadigabbia und Phantasienamen wie „Benprovvisto“ suchte er für die neuen 110 Parzellen vor allem auch Namen aus dem Leben Napoleons und seiner Familie aus. Und so gab es Kleingüter mit Namen wie „Murat“, „Guzman“ oder sogar „Maria Walewska“. Bekanntlich hatte die polnische Gräfin eine Liebesliaison mit Napoleon I., und mit ihm einen Sohn…

Das Ganze ging dann bis zum Zweiten Weltkrieg gut. Dann aber entscheid sich Italien Anfang der 1950eer Jahre für die Landreform, neue Arbeits- und Steuergesetze und die verarmten Kleinbauern verließen das Gebiet um Civitanova in Scharen. Und so trat ein Herr auf den Plan, den man vorher nie in der Amministrazione gesehen hatte: Louis Napoléon Bonaparte (1914 – 1997), seit 1926 letzter männlicher Thronfolger der Bonaparte-Dynastie. Erst 1950 hatte er, der väterlicherseits von Jerome Bonaparte, dem einst in Kassel residierenden „König von Westphalen“ (Westfalen) abstammte, seinen Anspruch auf den französischen Thron mit dem möglichen Titel Napoleon VI. aufgegeben. Nun aber benötigte seien kaiserliche Hoheit, Prinz Louis Napoléon Bonaparte, Geld und verkaufte alles 1956 direkt und persönlich an die Familie Alessandri.

Panoramabild Boccadigabbia. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia
Panoramabild Boccadigabbia. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia

Dies war ein Glücksfall, denn die 10 Hektar Weingärten von Boccadigabbia befinden sich in Südlage, verwöhnt vom milden Meeresklima der Adria und somit ein außergewöhnlich guter Ort für den Weinbau. Werst aber machten die Alessandri Ende der 1960er Jahre einen Fehler, denn sie dann 1986 wieder behoben. Sie ließen kurz vor Gründung des Weingutes 1970 die alten, oft autochthonen lokalen Rebstöcke entfernen, was zum unwiederbringlichen Verlust uralter Klone führte. Aber dann entschied man sich 1986 doch wieder für die Wiedereinführung der französischen Rebsorten Hallaires. Cabernet, Merlot und Pinto Noir, Chardonnay, Sauvignon, Pinot Grigo und Cabernet Sauvignon wurden und werden wieder angepflanzt.

Ziel war nun, wie schon Ende des 19. Jh. erreicht wieder allerhöchste Weinqualität zu erzeugen. Dabei setzt Eigner Elvidio Alessandri mit seinem beratenden Önologen Emiliano Falsini und dem Önologen Francesco Pennesi im Weinkeller bezüglich der Tenuta Boccadigabbia auf internationale Weine. Hingegen werden auf dem 1996 hinzugekauften Weingut La Floriana die autochthonen Rebsorten Ribona, Malvasia di Candia, Verdicchio, Sangiovese oder Montepulciano gepflegt.

Dass die Suche nach internationalen Spitzenweinen in Boccadigabbia aufs Vorzüglichste gelingt, beweist allein schon ihr Flaggschiff, der „Boccadigabbia Akronte Marche IGT 2015“. Die Trauben dieses reinen Cabernet Sauvignon wachsen auf sandig-kalkhaltigen Böden (3 ha) in Meeresnähe und lagern nach der Mazeration für 18 bis 20 Monate in neuen Barrique-Fässern aus französischer Eiche, ehe sei bis zur Markteinführung noch weitere Monate auf der Flasche reifen müssen. Das Ergebnis ist ein roter Klassewein mit 14,5 % Alkoholgehalt, der kräftig, reich an Aromen, trocken im Geschmack ist und mit komplexen, intensiven Noten wirbt. Er passt ideal zu Bratengerichten, Wild und internationaler Küche. Seinen Namen verdankt dieser Spitzenwein einem Flüsschen, dem Caronte, der am Südrand der Weingärten verläuft. Und der hieß bei den Langobarden einst „Akronte“. Für eine 0,75-l-Flasche muss man allerdings auch berechtigte 40 € rechnen.

Keller des Weinguts. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia
Keller des Weinguts. Foto: Azienda Agricola Boccadigabbia

Heute produziert Boccadigabbia, auch dank der 30 zusätzlichen Hektar Land auf dem Gut La Floriana, jährlich 150 000 Flaschen, die vor allem in den USA, Japan, der Schweiz, in BeNeLux, Dänemark, Schweden, in Deutschland Russland und Irland geschätzt werden. Und natürlich gilt dies auch für Italien. Dafür stehen vor allem auch die autochthonen Weine, allen voran der „Boccadigabbia Ribona Colli Maceratesi DOC 2019“: Die selten gepflanzte Ribona-Traube gedeiht vorwiegend im Gebiet von Macerata und wird daher auch „Maceratino“ genannt. Die Reben dieses exzellenten Weißweins werden auf 2 Hektar des Gutes La Floriana gezogen und dann im September per Handlese geerntet. Die sandigen Weinberge sind dort im Schnitt 25 Jahre alt.

Nach der Reifung in Stahl kommt ein wunderbar kräftiger, intensiver Weißwein (13 % Alkoholgehalt) heraus, der seinem dritten Namen, „Verdicchio Marino“, „Meeres-Verdicchio“, alle Ehren macht und perfekt zu Fischgerichten, speziell von der Adriaküste passt. Zu 100 Prozent ein Ribona ist auch der „Boccadigabbia Le Grane Colli Maceratesi Ribona DOC 2018“, dessen Trauben von Weingärten in Nordost-Ausrichtung in La Floriana stammen. Anfang September per Hand gelesen, wird dieser Wein zweimal fermentiert. Die zweite Fermentierung nennt man „fare le grane“, daher der Name. Sie dauert nach den ersten 12 Tagen Fermentierung nochmals zehn Tage. Allein schon die Wahl der seltenen Rebsorte macht diesen Wein zum Erlebnis. Die wunderbare goldschimmernde Farbe des „Le Grane“, seien volle, harmonische Struktur und die Aromen von reifen Früchten machen ihn außergewöhnlich. Und mit satten 14,5 % Alkoholgehalt überragt er seine Weißwein-Pendants auch in diesem Punkt und verspricht zudem Langlebigkeit.

Zum reichen Portfolio von Boccadigabbia gehören zudem der „Garbi’ Marche Bianco IGT“ (40 % Pinot Grigio, 30 % Sauvignon Blanc, 30 % Verdicchio), der „Rosèo Marche Rosato IGT“ (ein reiner Pinot Nero), der „Rosso Piceno DOC“ (60 % Montepulciano, 40 % Sangiovese), der „Saltapicchio Marche Sangiovese“ (reiner Sangiovese) und der „Pix Merlot“ (reiner Merlot). Keine Frage: Die Tenuta Boccadigabbia lädt zu weit mehr als nur einem guten Gläschen Wein ein. Und große Freude am Wein hatte schließlich auch Napoleon Bonaparte, obschon er ja ansonsten kulinarisch eher ein ziemlicher Kostverächter war.


Information:

Azienda Agricola Boccadigabbia, www.boccadigabbia.com 

Fotos: Azienda Agricola Boccadigabbia

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