Knapp eine Autostunde dauert es, um vom quirligen Hafen Portoferraio in den Ort am Capo Sant’Andrea zu gelangen. Und das ist gut so. Denn so steigt die Vorfreude auf das kleine Paradies am Meer, während sich die kurvige Straße durch eine üppig grüne, bergige Landschaft schlängelt – bis es einfach nicht mehr weitergeht: Endstation Strand! Da ist es: Sant’Andrea.
Bettenburgen? Weit gefehlt!
Umgeben von Zitronenhainen und Weingärten kleben die Wohnhäuser und Hotels terrassenförmig an den Hügeln. Was praktisch ist. Denn so können alle beste Aussichten genießen, die Urlauber wie die Einheimischen.
Es sind Ausblicke auf das Capo Sant’Andrea, das sich ins Tyrrhenische Meer erstreckt. Von Meer, Wind und Wetter rundgewaschene, etwa sieben Millionen Jahre alte Granitfelsen formen die Küstenlinie. Einerseits. Denn andererseits sind da auch der 200 Meter lange Strand in der Bucht von Sant’Andrea und der kleinere Cotoncello-Strand. Touristenrummel? Nicht hier. Bettenburgen? Weit gefehlt.
Wer in Sant’Andrea ankommt, atmet auf. Genießt die familiäre Atmosphäre, spürt Italien von seiner ursprünglichen Seite. Ein Tauchcenter, ein Supermarkt, Beachbars, einige gute Restaurants und Hotels, blitzblaues Meer, glasklares Wasser – jetzt im April beginnt die Saison.
Gemütlichkeit trifft Naturspektakel
Die Besucher erleben in dieser Jahreszeit gleich ein Naturspektakel. Denn die Blüten der Hottentottenfeigen setzen der Landschaft fröhliche, pinkfarbene Tupfen auf, viele Tupfen…
Die Hotels in Sant’Andrea sind klein, gemütlich, etwas günstiger als anderswo an der italienischen Küste. Sie entstanden ursprünglich in den 1950er und 1960er Jahren, als der Tourismus am Kap langsam aufkam und die Bauern und Winzer mehr Geld mit der Vermietung an Gäste, als mit der harten Arbeit in Landwirtschaft und Weinbau verdienen konnten. Das war auch in der Familie Garbati mit ihrem Hotel Sant’Andrea so, das hoch oben über der Bucht thront.
Tintenfisch mit Mais-Knusperkruste
Im Restaurant dort ist Sauro Garbati der Herr der Töpfe. Er hat dem Esstempel auch gleich nach sich selbst benannt: „Ristaurante Da Sauro“. Und da kocht der 72-Jährige mit Bravour auf. Seit 55 Jahren.
Große Kochschürze vor dem Bauch, warmes Lächeln: Dort ist er ganz in seinem Element. „Schon als Junge hat es mich immer in die Küche gezogen, wenn meine Mutter das Essen zubereitete“, erzählt Sauro Garbati. Die Frau Mama kochte „molto, molto bene“. Also ist der Funke übergesprungen – und eine große Leidenschaft begann.
Garbati liebt Fisch und Meeresfrüchte, er ist kein großer Freund von Fleisch. Tunfisch, Oktopus, Muscheln, das mag er – aber aus dem Mittelmeer müssen sie sein. „Und wenn sie aus den Gewässern rund um Elba stammen, um so besser.“
Zum Glück liegt der Nationalpark Toskanischer Archipel direkt vor der Tür. Mit 615 Quadratkilometern ist er das größte Meeresschutzgebiet Italiens.
Der Geschmack des Meeres
Garbati tischt besonders gern den „Geschmack des Meeres“ auf. „Sapore di Mare“ nennt er denn auch schon mal sein Menü. Tintenfisch in Mais-Knusperkruste kommt dann mit Apfelspalten und Kürbiscreme auf die Teller, bevor die kleinen Tintenfische Calamaretti mit ihrer Limoncello-Sauce betören.
Die Tagliolini danach sind in Gesellschaft von Anchovis und wildem Fenchel, während eine feines, auf den Punkt gegarte Tunfisch-Steak zu einem Auberginen-Mus folgt – bevor als süßer Abschluss die mit Äpfeln, Mandeln und Creme gefüllte Teigtaschen munden…
Lau ist der Abend, man sitzt in dem schönen, großen Garten des Hotelrestaurants. In den Gläsern funkelt der Wein, unten in der Bucht das Meer. Das sind diese Momente, die am besten niemals zu Ende gehen sollten.
Elbas autochthone Rebsorten
Ans Aufhören denkt der Chefkoch, der seinen Beruf leidenschaftlich liebt, so schnell nicht. „Solange ich die Kraft habe, mache ich weiter“, sagt er. „Bis ich 80 bin, oder vielleicht 90…“ Da hält er sich ganz an seine Mutter.
„Sie hat noch mit 92 Jahren im Winter jeden Sonntag für die ganze Familie mit zehn Personen gekocht“, Sauro Garbati schmunzelt, als er das sagt. Was sind da schon 72 Jahre?
Sauro Garbatis Familie lebt seit Generationen auf Elba. Und die nächste Generation steigt mittlerweile ebenfalls ins Geschäft ein. „Ganz wunderbar ist das“, freut sich der Vater zweier Töchter.
Und schenkt sich einen Vino Bianco aus Elba ein, einen Procanico. Das Tröpfchen steht genauso auf seiner persönlichen Favoritenliste wie Weine aus der autochthonen, weißen Inselsorte Biancone di Portoferraio.
Weingärten und Obstbaumhaine
Sauro kennt sich damit aus. Seine Familie lebte wie viele andere im Dorf Sant’Andrea vor dem Beginn des Tourismus vom Weinbau. Per Segelboot wurden die Fässer in alten Zeiten insbesondere zum italienischen Festland nach Genua verschifft. Und mögen auch nach und nach die Urlauber den Ort entdeckt haben, alte Weingärten und Obstbaum-Wiesen sind bis heute erhalten.
Loriano Anselmi, Jahrgang 1948, ist einer von denen, die noch heute mit Leidenschaft Wein keltern. Seine „Cantina“ ist ein Weinkeller, in dem die Zeit stehengeblieben ist. Klein ist er. So klein, dass sich die Produktion auf gerade mal 600 Liter pro Jahr beläuft.
Das hindert Anselmi allerdings nicht daran, ihn großzügig an die Besucher auszuschenken. „Ihr müsst den Wein unbedingt probieren, gleich hier“, sagt er und gießt ihn auch schon in die Kelche. Von seinen über 100 Jahre alten Weinstöcken erzählt er dann.
Dass er die Weißweinrebsorten Biancone und Agliatico anbaue, letztere ist ebenfalls ganz typisch für Elba. Auch vom gemischten Satz beim Vino rosso berichtet er, bei dem alle Rotweinrebsorten von dem Weinberg kurzerhand zusammen gekeltert werden.
Selbstbewusst wie Asterix‘ Gallier
Gleichzeitig ist er der Besitzer des Hotels Gallo Nero in Sant’Andrea, das mittlerweile in dritter Generation betrieben wird. Gebaut von Anselmis Großvater haben auch seine eigenen Söhne Matteo und Gabriele ihr Herz für die Hotellerie entdeckt.
Wenn Loriano Anselmi durch seinen Weingarten geht, dann strahlt er diese Zufriedenheit von Menschen aus, die lieben, was sie tun, wo sie es tun. Und die nicht im Traum daran denken, sich ihr Stückchen vom Paradies wegnehmen zu lassen.
Jedenfalls stemmten sich Bewohner wie er gemeinsam gegen allzu geschäftstüchtige Investoren, die es auf Sant’Andrea, diese Perle auf Elba vor der toskanischen Küste, abgesehen hatten und den Tourismus im ganz großen Stil aufziehen wollten. Doch daraus wurde nichts. „Nicht mit uns“, hieß es.
Und als die Straße, die ins Dorf führt, ausgebaut werden sollte, auf dass große Reisebusse die Gäste gleich scharenweise ankarren, da hätte man die Sant’Andreaner sehen sollen.
Nach der Devise „Unser Dorf soll seinen Charakter bewahren“, haben sie sich mit Händen und Füßen gegen derlei Infrastrukturmaßnahmen gesträubt. „Es ging da schließlich auch um unsere Lebensqualität“, sagt Anselmi.
Und so kommt es, dass die Uhren in Sant’Andrea noch heute ein wenig anders ticken als anderswo. An diesem schönen Flecken Erde, das als Geheimtipp gehandelt wird…
Informationen:
Übersicht über Hotels, B&Bs etc.: www.caposantandrea.it
Hotel Gallo Nero, umgeben von Weingärten: www.hotelgallonero.it/de
Hotel Sant’Andrea mit dem Ristorante da Sauro: www.hotelsantandrea.com
Hotel Cernia Isola Botanica: www.hotelcernia.it
Ristorante Il Gabbianow: www.caposantandrea.it/de/struttura/bar-restaurant-il-gabbiano
Barsa Bistrot: www.caposantandrea.it/de/struttura/restaurant-barsatime-bistro
Tauchcenter Il Careno: www.ilcareno.com
Bootsausflüge: www.velaelba.it
Fotos: Roberto Ridi, Kirsten Lehmkuhl