Im Inneren birgt das Kastell Fresken, die Szenen aus Boccaccios „Decamerone“ illustrieren. Wir aber wollen zu einem kulinarischen Glanzpunkt im Tuffsteingebiet, zur auch von Slow Food sehr empfohlenen Osteria Ottava Rima. Häufig wird sie auch Cantina Ottava Rima genannt, ursprünglich hieß sie jedoch EnOsteria Ottava Rima, denn es sollte zur Osteria auch eine Weinbar entstehen.
Denn hier, in diesem einstigen Weinkeller, eben einer Cantina, die früher einem gewissen Domenico Papini gehörte, eröffnete im Augst 2004 der lokale Künstler und wunderbar experimentierfreudige Koch Nicola Santoro. Bis heute ist er hier aktiv, unterstützt von seiner Gattin in der Küche. Im Eingangsbereich stehen ein Sechser- und ein Zweiertisch, hier war einst der Stall. Dann geht es in den Bereich der Theke, wo früher mit nackten Füßen Weintrauben zerstampft wurden. Es folgt die frühere eigentliche Stätte der Weinherstellung, in der heute einige wenige Tische stehen, die maximal 20 Gästen Platz bieten. Denn Nicola bleibt sich treu und will nicht zu viele Gäste, setzt lieber auf ausgefallene Gerichte und Superküche.
Noch weiter in den Untergrund hinab geht es dann durch einen schmalen, faszinierend beleuchteten Gang bis zum alten Fasskeller. Hier im alten Weinlager hat Nicola seinen sogenannten „zweiten Himmel“ eingerichtet. Bei der Benennung folgte Nicola keinem Geringeren als den Heiligen Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153), der diesen mystischen Ausdruck prägte und dabei den Heiligen Geist im Sinn hatte, der die Seele in den Keller führe, um ihre die Glorie des Himmelreichs zu zeigen.
Und tatsächlich waren ja die Weinkeller jener Zeit die Schatzkammern der Klöster. Hier hat Nicola einige seiner Kunstwerke und die einiger Freunde wie Mauro Magni, Giacomo Scarcella und Andrea Marchetti ausgestellt. Aus Nicolas Hand stammt die 1999 geschaffene, aus einer Nähmaschine und einer Weinflasche bestehende Komposition „Fragments d`un vieux rencontre“, eine Hommage an den für seine „Gesänge des Maldoror“ weltberühmten französischen Dichter Comte de Lautréamont, der eigentlich Isidore Ducasse hieß (1846 – 1870).
Clou des Werks ist indes das Etikett auf der Flasche. Es stammt von Joseph Beuys. Ein mit Beuys befreundeter Winzer aus den Abruzzen schenkte es Nicola. Und dann geht es natürlich auch zu Nicolas Kochkunst, die, wie auch der Name der Osteria besagt, man „wie unter Freunden“ angehen sollte. „Ottava Rima“, die achte Zeile, spielt auf ein altes lokales Gesellschaftsspiel an, wo man miteinander sang und reimte und feststehenden Zeilen dann eine eigene, nach eigenem Gusto eigens erdachte „achte Zeile“ anfügte.
Und die sollte stets witzig, in jedem Fall inspirierend sein. Und so ist auch Nicolas täglich wechselnde Küche zu günstigen Preisen, die sich vieler lokaler Zutaten wie z. B. auch der trockenen Biscuits, der salzigen Biscotti aus Roccalbenga bedient. Zusammen mit „bietola“, Mangold, bilden sie als „trockene Suppe“ „Zuppa secca“ al biscotto salato di Roccalbenga eine der herrlichen Vorspeisen. Es darf aber auch ein Tatar vom Maremma-Rind sein. Oder auch Gnocchi oder Tortelli mit „vari condimenti“, „diversen Füllungen“. Das teuerste Gericht (16 Euro) sind Bio-Schnecken, die „lumache in umido“.
Oder Kompositionen mit einer längst vergessenen Birnensorte vom Monte Amiata: der Pera Picciola, die Nicola eingelegt in Glas wie andere Leckereien auch außer Haus verkauft. Wir entscheiden uns für die Tortelli mit sagenhaft schmackhaftem Inhalt. Einfach lecker! Und ob nun eingelegte Saubohnen und eine herrliche Auberginenkomposition oder eben Tatar oder Maremma-Schinken. Alles ist von vorzüglicher Qualität. Hinzu kommen die Weine. Etwa ein extra für die Osteria abgefüllter und etikettierter Ciliegolo IGT 2019 aus dem nahen Manciano. Und natürlich ist dieser wunderbare Rote ein Biowein. Aber auch der weiße Poggiolella Vermentino IGT Toscana ist Spitzenklasse. Zuletzt bewundern wir noch Nicolas neueste Kunstkreation, die Hommage an den Maremma-Schinken.
Dann geht es nach Pitigliano, wo nicht nur der wunderbare Panoramablick auf die auf einem Tuffsteinkamm errichtete Stadt mit ihrem einst berühmten jüdischen Ghetto, der Blick oder außerhalb von Lockdowns auch der Besuch der Synagoge und der jüdischen Bäckerei warten. Auch dort, aber nicht nur, findet man jenes historische süße Naschwerk „Sfratto dei Goym“, das man unbedingt als Souvenir in Pitigliano erwerben sollte. Denn seine Rezeptgeschichte erzählt auch von der Vertreibung der Juden und ist somit auf kulinarische Art ein Zeuge eher bedrückender Zeiten. Pflicht ist natürlich auch der Besuch des Palazzo Orsini mit seinem kleinen archäologischen Museum und wunderbaren, den Tierkreiszeichen darstellenden Fresken in der Kassenhalle des Palazzo.
Und wenn man dann noch Appetit entwickelt, bieten die vielen Tuffsteingrotten von Pitigliano, oft zu Restaurants umgewandelt, ausreichend Gelgenehit für weitere, oft sogar gargantueske Mahlzeiten. Sehr zu empfehlen ist die Trattoria La Pappalpomodoro (Via Roma 92). Und mit in den Koffer gehört natürlich auch der hauchdünne hellbräunliche Cialdino dei Tufi mit Aromen von Anis und Weißwein, den man in Sovana wie in Pitigliano erwerben kann.
Informationen:
Touristische Informationen: https://quimaremmatoscana.it/, www.provinciagrosseto.com/Default.asp#TitleSchedaHome
Toscana Promozione Turistica, www.visittuscany.com
Lokale Produzenten: https://quimaremmatoscana.it/it/produttori-locali
Fotos: Ellen Spielmann