Farini ist Mitglied jener Kooperative der Berggemeinde Vallesanta, zu der Corezzo ebenfalls gehört, und vertritt heute seine Präsidentin: Daiana Dalla Porta ist verhindert, weil aktiv unterwegs, um die geschützte Spezialität des Dorfes überall in Italien bekannt zu machen. Es handelt sich um ein uraltes Gericht, das einst auf heißem Stein, heute eher auf Blech gebacken wird: den ebenso flachen wie quadratischen tortello alla lastra!
Stolz hält Sirio Farini ein Werbeplakat zu diesem Gericht aus der unendlichen Liste der Cucina Povera der Toskana in die Kamera, das nun auch von den Gewaltigen der italienischen Slow Food-Bewegung volle Anerkennung erhalten hat. Davon zeugt auch das Logo von Slow Food am neuen, riesigen Gemeindehaus neben der Grundschule, in dem sich nun das kulturelle und gesellschaftliche Leben von Corezzo abspielt – und sich jene Schulküche befindet, in der auch wir probeweise einige tortelli alla lastra zubereiten und dann verkosten werden.
Corezzo, das ist ein winziges Bergnest, aber immerhin mit einer Dorfbar ausgestattet, die auch als Laden funktioniert. Zudem bieten eine ganze Reihe von Dorfbewohnern auch Übernachtungen an, so dass Corezzo insbesondere für Bergwanderer auf dem Cammino di Francesco d`Assisi, dem Pilgerweg des Franz von Assisi, oder der Via Romea, einem der frühen Pilgerwege nach Rom, hochinteressantes Etappenziel ist.
Und die Bergdörfler aus Corezzo waren schlau: Denn mit dem Schutz ihrer ureigenen Spezialität, die stets leicht, mindestens drei bis fünf Tage haltbar und damit ideal für die oft tagelang vom Dorf entfernt arbeitenden Herren der Schöpfung war, haben sie mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits sind sie mit der Spezialität, der sie im August mit der Sagra del tortello alla lastra ein eigenes Festival widmen, in aller Munde. Dann konnten sie dank Förderung ihr neues Kulturzentrum bauen. Schließlich konnte auf diese Weise auch die Grundschule samt Kindergarten im Dorf erhalten werden. Und – nicht zu vergessen – der tortello alla lastra hat Arbeitsplätze für gleich mehrere Frauen des Dorfes geschaffen, die nun die Schulküche bewirtschaften und für das leibliche Wohl der Kids sorgen.
Dass der tortello alla lastra nicht wie etwa die Pizza zu einem Fastfood mit weltweitem Siegeszug ansetzte, ist zudem seiner Zubereitung zu verdanken. Denn die funktioniert nur per Handarbeit – und mit den richtigen Zutaten, die in Corezzo stets vorrätig waren. Man nehme 400 Gramm weißes Mehl (Sorte 0), 500 Gramm weiße Casentino-Kartoffeln, 500 Gramm Pecorino-Käse, drei Eier, dazu für die Füllung Zwiebel, Sesam, Knoblauch, Karotte, Salbei und Tomate, dazu Haselnuss, Muskat, Butter, Olivenöl, Salz und Pfeffer, bereite Teig und Blech entsprechend vor und schiebe den quadratisch gefalteten Leckerbissen in den vorgeheizten Ofen. Schon nach wenigen Minuten ist das kolossale Festessen fertig – samt brauner Kruste und wahlweise auch – statt Kartoffeln – mit toskanischem Schwarzkohl oder mit Kürbis zubereitet. Es folgt herrliches improvisiertes köstliches Festessen im Parkbereich des Kindergartens, ehe es wieder hinab nach Chiusi della Verna geht.
Dort sorgt Wirtin Maria Teresa in ihrem einfachen, aber gepflegten Albergo Letizia mit wiederum großartigem Ristorante und leckerer toskanischer Traditionsküche dafür, dass sich Pilger von allen Kontinenten dieser Welt hier jederzeit wohlfühlen können. Stets frische Zutaten garantieren perfekte Tortellini und Pici, Wildschwein steht ebenso regelmäßig auf der Speisekarte wie etwa eine typisch toskanische Zuppa di fagioli, die sämige toskanische Bohnensuppe.
So gestärkt, kann man sich zum Tourismusbüro von Chiusi della Verna an der Via San Francesco 42 begeben, das auch als Centro Visite Parco Foreste Casentinesi, als Besucherzentrum des Nationalparks der Casentino-Wälder fungiert. Guides wie etwa Irene Ziller führen von hier durch die dank der Franziskanertradition oft naturbelassenen erhaltenen, jahrhundertealten Buchenwälder hinauf zum Sanktuarium von La Verna. So ein Waldweg ist natürlich viel attraktiver als etwa per PKW hinauf zu jenem Kloster zu fahren, das der hl. Franz von Assisi gründete. 2024 feiert man hier sogar den 800. Jahrestag des Empfangs der Stigmata Christi im Jahr 1224. Und so nimmt es nicht Wunder, dass tatsächlich Besucher aus aller Herren Länder sich auf dem Klosterhof am mächtigen Holzkreuz einfinden, um dem äußerst populären Heiligen, der mit den Vögeln sprechen konnte und „Bruder Falke“ trotz Raubvogelbegierden in sein Herz schloss, die Ehrerbietung und Aufwartung zu machen. Tatsächlich ist die Kapelle der Stigmata ständig von Besuchern umlagert, ebenso der angeblich Schlafplatz des Heiligen etwas unterhalb in einer Grotte.
Heilige hatten schon immer eine besondere Bedeutung in diesem bergigen Landstrich. Dies erfährt man auch bei einem Besuch im Archäologischen Museum des Casentino in Bibbiena. Archäologe Riccardo Bargiacchi zeigt nicht nur etruskisch-römische Tempelreste, sondern auch hundert Exponate, die man im Lago degli Idoli am Monte Falterona, der höchsten Erhebung des Casentino fand. Dieser „See der Idole“ wurde trocken gelegt, um nochmals nach Artefakten aus Bronze und anderen Materialien zu suchen, die wohl schon vor bis zu 3000 Jahren von Gläubigen als Votivgaben im See versenkt wurden. Die größten von ihnen wurden schon im 19. Jahrhundert entdeckt und verschwanden in den Museen der Welt. Aber auch hier in Bibbiena sind bis zu 30 Zentimeter hohe Bronze-Idole ausgestellt, die den tiefen Glauben der Casentinesi schon weit vor Christi Geburt belegen. Gut auch, dass Bibbiena mit der Zeit geht und sich die ganze Altstadt als Open air-Museum für moderne Fotografie präsentiert. Es ist exakt dieser Charme des Casentino, der Uraltes neben neuem, Heilige und Idole neben profanem präsentiert und so seine Gäste in den Bann zieht.
Informationen:
Albergo/Ristorante Letizia, Chiusi della Verna: www.albergo-letizia.it
Chiusi della Verna: www.turistico.comune.chiusi-della-verna.ar.it/home.aspx
Santuario La Verna: www.laverna.it
Museo Archeologico Bibbinea: www.arcamuseocasentino.it
Communita della Vallesanta: www.vallesantacasentino.it
Corezzo und Tortello alla lastra: www.corezzo.it/tortello-alla-lastra
Region Toskana: www.visittuscany.com/de
Casentino: www.casentino.it
Parco Nazionale delle Foreste Casetinesi: www.parks.it/parco.nazionale.for.casentinesi
Fotos: Ellen Spielmann