Doch Johannes Paul II. landete hier trotzdem – dank des Hubschrauberlandeplatzes nahe dem Fußballplatz von Moggiona, der zuletzt zweimal heftig von Wildschweinrotten durchpflügt wurde, jetzt aber permanent durch sichere Zäume vor den unermüdlichen Rackern geschützt ist. Der Papst wollte natürlich ins drei Kilometer weiter bergauf liegende berühmte Kloster Camaldoli in 816 Meter Höhe, das Mönch Romuald für den späteren Kamaldulenserorden ab 1012 aufbaute.
Schon 1023 zog es ihn aber weiter bergauf, ihm war es rund um die Klosterkirche, die heute samt historischer ebenfalls täglich von Besucherscharen belagert wird, einfach zu laut geworden. Und so zog er mit einigen Gleichgesinnten nochmals drei Kilometer bergauf bis auf 112 Meter Höhe, um die Einsiedelei Camaldoli, das Eremo di Camaldoli zu gründen. Tatsächlich ist dieser einsame Ort bei weitem attraktiver, kann samt der 20 Mönchszellen auf Führungen besucht werden.
Wir befinden uns in der einzigen, von Roberto Corsini und Gattin betriebenen Dorfbar an der Via Camaldoli 20, Treffpunkt für alle Besucher des Dorfes, gegenüber öffnet das Traditionsküche bietende Ristorante Il Cedro, seit 45 Jahren in Familienbesitz und im Eingangsbereich mit herrlichen Schwarzweißfotos aus der Zeit um 1900 dekoriert, als der Dorfpfarrer noch im Mittelpunkt der Gemeinde stand.
Wir begnügen uns derweil vor der Bar mit dem Zufallsbesuch des Bürgermeisters der Stadt Poppi, acht Kilometer entfernt, zu der Moggiona verwaltungstechnisch gehört. Er ist gerade auf Wochenendradtour in den Bergen, strampelt vergnügt mit Gleichgesinnten im Apenninen-Nationalpark des Casentino und erholt sich so vom Stress, den die politische Arbeit rund um Poppis legendäre Burg der Grafen Guidi beschert.
Und klar: Mehr Touristen wünscht sich der Bürgermeister auch. Denn die besuchen zwar gern Poppi und das Kloster Camaldoli, aber von den Reizen des Nationalparks mit seinen verschwiegenen Bergdörfern wissen sie wenig. Da wäre zum Beispiel der Weiler Agna, gerade vier Kilometer von Poppi entfernt, ebenfalls in Richtung Camaldoli gelegen. Der Weiler beeindruckt mit seiner Dorfkirche und hat mit der Fattoria di Selvoli sogar eine echte Attraktion. Hier bauen Andreas und Arianna sowie Sohn Johannes Biogetreide an, mahlen Mehl und backen herausragendes Brot, das man dann in Poppis Läden und auch auf den Märkten in Arezzo erstehen kann. Eine jener lokalen Spezialitäten, wie sie auch der mit der Silbermedaille der World Cheese Awards ausgezeichnete mittelreife Pecorino abbacciato del Casentino aus der Fattoria di Bucena bei Moggiona darstellt.
Bruder Wolf
Anlass des Besuchs ist indes der neu eingerichtete Percorso del Lupo, der Wolfsrundweg. Anhand Schautafeln und mit dem Nachbau einer Wolfshöhle versucht Moggiona, seinen Besuchern die Welt des Wolfes open air näherzubringen. Dies erledigt Danilo Tassini, der ebenfalls sodann durch die wunderbare Multimedia-Ausstellung zum Thema Wolf im historischen Dorfzentrum führt. Mehr als 130 Wölfe leben heute wieder im Casentino-Apennin, gemessen an früher eine stolze Zahl. Und ganz im Sinne des von der Natur beseelten hl. Franz von Assisi ist der Wolf hier in Moggiona der „fratello lupo, der „Bruder Wolf“.
Großartig ist indes das Ökomuseum der Fassmacher, das Ecomuseo del Bigonaio. Moggiona war einst ein Hotspot für die Herstellung von Holzfässern und –kiepen, die einmal jährlich auf dem Fassmarkt von Arezzo verkauft wurden. Dann aber kam in den 1950er Jahren das Plastik auf, eine Zeitlang retteten sich die 50 Böttcher mit der Herstellung von hölzernen Schirmständern, dann aber war Schluss mit der Tradition. Erinnerungen aber bleiben zum Beispiel in den Büchern der Schriftstellerin Emma Perodi (1850 – 1918), in deren Büchern die alte Welt des Casentino lebendig bleibt.
Das „Mater“ ist eine großartige Erfahrung
Natürlich kann man in Moggiona auch übernachten, dazu bieten einige Dorfbewohner B&B an. Ganz luxuriös geht es indes im Vier-Sterne-Hotel I Tre Baroni am Ortsausgang zu. Hier empfängt die Familie Baroni ihre Gäste in herrlich hergerichteten Appartements, darunter Spa-Suiten, bietet zudem Pool und Yoga-Stunden, Trekking- und E-Bike-Ausflüge in die Natur und Kulturtrips nach Camaldoli und Poppi.
Ganz unerhört großartig ist dann aber ihr absolut sterneverdächtiges Restaurant „Mater“. Hier ist das Reich von Filippo Baroni, Jahrgang 1982, der schon ab 2004 mit seinen Brüdern Andrea und Matteo das Hotelresort aufbaute und sich dann 2017 dieses Top-Restaurants erfüllte, in dem der Gast durchatmen, Geschmäcker jahreszeitlich ausprobieren und sich erholen können soll. Dafür sorgt allein schon der Blick von außen wie von innen durch großflächige Glasscheiben auf die rege tätige Küchencrew, dafür sorgt aber auch die großartige Weinkarte, zu der auch eine gewaltige Auswahl an Spumante und Champagner gehört.
Trendy ist hingegen die Wahl eines Wermuts. Die Küche ist ausgesprochen modern ausgelegt, jedes Gericht ein Gemälde für die Augen. Wahlweise bestgellt man ein Degustationsmenü oder a la carte. Herrlich ist etwa als Antipasto der Hirschtatar mit Garum, Bittermandel und Sauerampfer oder die Forelle auf Moosbett mit Linsen, als Primo locken Plin vom Perlhuhn mit Rucola und Olive oder Spaghetti mit Pecorino abbucciato von der Käserei Bucena und Enzian.
Dazu wählt man zum Beispiel einen Enos I 2023 Maremma Toscana der Tenuta Montauto. Als Hauptgang locken Hirschfilet in einer Geleehaut aus 12 Jahre altem Whiskey mit Radicchio oder noch besser Taube mit Pilzen und Peperoni. Dazu könnte die Wahl auf eine lokale Rarität, den Il Bioselvatico Toscana IGT Rosso 2020 von Filippo Volpi gehören, der jährlich nur diesen Wein herstellt.
Dann warten die Desserts, etwa Birne mit Zabaione und Vin brulèe oder Litchi mit Enzian. Keine Frage, das „Mater“ ist eine großartige Erfahrung jenseits aller toskanischen Klassikküche, die das winzige Moggiona natürlich auch bereithält. Zumindest Mitte August, wenn zum Fest der Funghi Porcini den Gästen von der Dorfgemeinschaft gleich 6000 Steinpilzgerichte an Tischen auf offener Straße gereicht werden.
Informationen:
Cooperativa di Comunita di Moggiona: www.moggiona.it
Bar Birreria Pub di Roberto Corsini, Moggiona: www.moggiona.it/dove/index.html#Dove_Mangiare
Hotel Tre Baroni, Moggiona: www.itrebaroni.it
Rest. Mater, Moggiona: www.ristorantemater.it
Fattoria di Selvoli, Poppi-Agna: www.fattoriadiselvoli.it
Fattoria di Bucena, Poppi-Bucena: www.caseificiobucena.it
Region Toskana: www.visittuscany.com/de
Gebiet Casentino: www.casentino.it
Parco Nazionale delle Foreste Casentinesi: www.parks.it/parco.nazionale.for.casentinesi, www.parcoforestecasentinesi.it
Fotos: Ellen Spielmann