Die Sonne hat sich zurückgezogen. Weiße Nebenschleier hüllen jetzt die sanften Hügel des Monferrato ein. Monferrato – so heißt ein Landstrich, eine knappe Autostunde nordöstlich von Turin. Gemeinsam mit den angrenzenden Gebieten Langhe und Roero darf sich Monferrato unter dem Titel „Weinlandschaften des Piemont“ seit 2014 mit dem Weltkulturerbe-Prädikat schmücken. Die Anerkennung hebt die außergewöhnliche Schönheit und kulturelle Bedeutung dieser zwischen Poebene und Ligurischen Alben gelegenen Landschaften hervor.
Weinberge und Wälder, pittoreske Dörfer und stolze Burgen auf den Anhöhen, Städte voll spannender Geschichte verschmelzen zu harmonischen Kulissen. Das Zusammenspiel von natürlichen Gegebenheiten und menschlichem Wirken hat zu staunenswerten Resultaten geführt, die sich in Architektur, Handwerkskunst, Kulinarik und in der Weinbautradition zeigen. Auf mehr als 43.000 Hektar erstrecken sich in Langhe Monferrato Roero einige der renommiertesten Weinbaugebiete der Welt. Hier sind der kraftvolle Barolo und der elegante Barbera zu Hause, der feine weiße Arneis und viele mehr.

Auf einem der Monferrato-Hügel thront Castello di Uviglie. Simonetta Bonzano, aktuelle Besitzerin des Kastells, begrüßt ihre Gäste und führt sie in den Showroom, wo die flüssigen Produkte des Weinguts perfekt in Szene gesetzt werden. Beispielsweise „Le Cave“, ein Rotwein aus Barbera-Trauben, die von den ältesten Rebstöcken des Weinguts gewonnen werden. Oder „Meridiana“, ein charaktervoller Rosé aus Pinot Nero und Barbera. Ebenso „1491“. Unter diesem Namen firmiert ein Rotwein aus den seltenen Albarossa-Reben, einer Kreuzung aus Barbera und Nebbiolo. Die Ziffern auf dem Etikett würdigen das Jahr, in dem der erste Weinberg von Castello di Uviglie angeelgt wurde.
Jagd auf schwarze Trüffel
Mit dem Kauf des Schlosses, das in der Vergangenheit so berühmten Familien wie den Cacherano di Bricherasio, den Gründern des Autokonzerns FIAT, gehörte, hat sich die Holzindustriellen-Familie Bonzano einen Traum erfüllt. Neben Wein und Weinverkostungen bietet sie Kochkurse mit anschließendem Gourmet-Menü an. Bevor es an diesem Abend in die Küche und an den Tisch geht, steht noch einiges an. Zunächst ein Treffen mit den Trüffelsuchern Marcella De Rinaldis und Stefano Giacchero. Das Paar ist mit seinen Hunden, zwei quirligen Vertretern der Rasse Lagotto Romagnolo, vorgefahren.

„Wir machen heute Trüffelsuche umgekehrt“, sagt Marcella als wir gemeinsam hügelabwärts marschieren. „Ihr macht Löcher und versteckt die Trüffel ein paar Zentimeter tief im Boden.“ Sie drückt jedem ein paar jener harten, durch und durch schwarzen Pilze in die Hand, die von Dezember bis März in den piemontesischen Wäldern an den Wurzeln von Eichen oder Haselnussbäumen gedeihen. Während sich die Trüffel-Verstecker mit Händen und Hacke zu schaffen machen, jaulen die Vierbeiner Bex und Blue oben am Schloss, wo sie Marcellas Partner angeleint hält.
Dann kommt Marcellas „go“. Bex und Blue rasen den Schotterweg hinab. Angespornt von sanften Kommandos kreisen sie am Boden schnüffelnd über den Acker. Sobald einer der Hunde zu buddeln beginnt, stoppt ihn Marcella mit knappem Befehl. Mit ihrer kleinen Hacke befördert sie jeden der versteckten Tuber melanosporum Vittandini behutsam ans Tageslicht zurück. Trüffelfans, die mehr Zeit mitbringen, können mit Marcella und Stefano auf echte Trüffelsuche gehen. UNS soll die kurze Vorstellung genügen. Hat sie doch gezeigt, wie gut Mensch und Tier im Piemont bei der Suche nach den begehrten kulinarischen Schätzen zusammenarbeiten – so gut, dass die UNESCO „caccia al tartuffo“, die „Jagd auf Trüffel“, als immaterielles Welterbe anerkannt hat.

Unterirdische Kathedralen für den Wein
Bex und Blue haben ihren Job getan und bekommen Leckerlies. Für die Besucher von Castello di Uviglie geht es nun in die „unterirdische Kathedrale“. Der Ort, zu dem die Bonzanos ihre Gäste mit Golfplatz-Mobilen chauffieren, wird seinem Namen durchaus gerecht. Auf Knopfdruck öffnet sich das Gittertor. Dann schauen die Augen in einen mindesten zehn Meter hohen Gewölbegang, dessen Ende sich nicht erahnen lässt. Jahrhunderte lang haben sich die Menschen in dieser Gegend an der Gestein-Sohle unter ihren Füßen bedient. Aus dem Ton-Kalkstein-Sand-Gemisch haben sie Häuser, Palazzi und Kirchen gebaut. So sind gigantische Hohlräume entstanden.
„Wir spazieren hier zwischen Gesteinsschichten und können in ein fernes Erdzeitalter blicken“, sagt Simonettas Schwager Stefano Bonzano, der durch die fast zwei Kilometer langen Gänge des stillgelegten Steinbruchs führt. „Vor rund 17 Millionen Jahren war diese Gegend von einem Meer bedeckt. Aus seinen Ablagerungen entstand dieses Gestein.“ Der Steinbruch sei ein Glücksfall für das Weingut, schwärmt Bonzano. „Ein gigantischer Keller, der weder beheizt noch gekühlt werden muss.“ Ganzjährig herrscht hier eine Temperatur von 14 Grad. „Für das Reifen der Weine ideal.“

Artischockentörtchen, Tagliatelle, Trüffel & Mousse
In der Show-Küche von Castello di Uviglie hat Köchin Gea Mussi schon alles vorbereitet – Schürzen für alle, auf der Arbeitsfläche ein Mehlhäufchen und ein rohes Ei pro Person. Die Tagliatelle gelingen mit ein paar helfenden Handgriffen durchaus passabel. Nach Artischockentörtchen mit Fondata, geschmolzenem Käse, und Haselnusskrokant gefolgt von einem knusprigen Eigelb auf Kartoffelcreme kommt unsere Pasta „all’uovo al burro e tartuffo“ – mit Butter und schwarzen Trüffeln – auf den fein gedeckten Tisch.
Zu den Vorspeisen schenkt Simonetta Bonzano Le Cave Extra Brut, einen 48 Monate gereiften Edelschaumwein ein. Zur Trüffel-Pasta gibt es San Bastiano Grinolino DOC, einen Rotwein, den man entweder sehr oder überhaupt nicht mag, sagt die Hausherrin und lacht. Die Meinung am Tisch ist zweigeteilt. Mit Zabaione-Mousse und Vino Passito zum Dessert geht ein erlebnisreicher Tag zu Ende.

Auf nach Asti und Alba
Morgen aber wird die Tour durch die UNESCO-Landschaften weitergehen. Sie wird nach Asti führen, wo Türme und Palazzi, Torbögen und Laubengänge von einer großen Vergangenheit als Handels- und Geldverleiher-Metropole des Mittelalters künden. Auch Alba liegt auf unserer Route. Die Stadt gehört zu den reichsten Gemeinden Italiens. Die Straßen des gepflegten Centro Storico sind ein tolles Shopping-Pflaster – egal, ob es um Kulinarisches, um Schuhe oder Textilien geht.
Feinschmeckern ist Alba als „Hauptstadt des Weißen Trüffels“ bekannt. Im Herbst lockt die fiera internazionale del tartufo bianco d’alba Gourmets aus aller Welt. Zu jeder Saison können Interessierte in Albas neuem Trüffelmuseum in die Welt eines der teuersten Lebensmittel der Welt eintauchen, und mit Hochgenuss speisen lässt es sich in der Stadt, die wegen ihrer gastronomischen Verdienste zu den „Creative cities“ der UNESCO zählt, ohnehin an 365 Tagen im Jahr.
Fotos: @af.anastasiaflorea, GettyImages, Archivio Ente Turismo LMR, Giorgio Gulmini